Der Epilog
Nach fünf Alben soll Schluss sein mit The Streets. Mike Skinner will nicht mehr. Unser Autor verabschiedet sich von unserem liebsten Geezer.
Er mag nicht mehr. Zehn Jahre lang war Mike Skinner die Verkörperung von The Streets, ist mit seinem Projekt zu erheblichem Ruhm gekommen, hat vier Alben veröffentlicht und mehrfach die Welt umrundet. Doch jetzt, so der Apologet der britischen Jugend der Nullerjahre, sei alles gesagt und getan, seien alle Wege beschritten. Nach Computers And Blues soll Schluss sein, Skinner will wieder Mike Skinner sein, woraus man schließen kann, dass er und The Streets nicht ganz deckungsgleich sind oder er zumindest fest davon ausgeht, dass deutliche Unterschiede bestehen.
„I smoked one too many cigarettes / I heard one too many lies / I have gambled one too many bets / I lost it all to this life“, singt er in „Lock The Locks“, was einigermaßen unversöhnlich klingt, wenn man bedenkt, dass Skinner mit The Streets künstlerisch wie kommerziell auf eine Karriere zurückblicken kann, wie sie keinem anderen britischen Künstler in den vergangenen Jahren gelungen ist.
Die Entwicklung verlief bislang wie folgt: 2002 veröffentlicht der damals 23-jährige Skinner das wunderbare Streets-Debüt Original Pirate Material, das hinsichtlich hektischem Gerede und Gerumpel Maßstäbe setzt. Zur allgemeinen Überraschung wird die im Grunde völlig unkommerzielle Platte ein großer Erfolg und Skinner ein kleiner Star. Er wird sofort für den Brit Award nominiert, der aber ungerechterweise an Ms. Dynamite geht, an die sich heute niemand mehr erinnert. Dennoch kommt der zuvor eher bescheiden lebende Skinner zu etwas Geld, was ihn 2004 auf die Idee zu A Grand Don’t Come For Free bringt – ein Konzeptalbum über das Unglück, 1 000 Pfund zu verlieren. Auch dieses Werk kommt bei Kritik und Käuferschaft bestens an, Geld spielt inzwischen keine Rolle mehr, und wenn die Drogen alle sind, kauft man sich eben neue.
Doch Drogen, so muss Skinner lernen, sind auf die Dauer auch keine Erfüllung. Er starrt der Fratze des Ruhms in die hohlen Augen, überdenkt sein Leben und hält es wie so viele junge Stars für eine gute Idee, eine Platte über die Schattenseiten des Ruhms aufzunehmen. Das Ergebnis trägt den schönen Titel The Hardest Way To Make An Easy Living und handelt auf heitere Weise von Selbstmordgedanken, drogeninduzierten Höhenflügen, Abstürzen, Zusammenbrüchen, kreativen Hotelzimmerzertrümmerungen, idiotischen Finanzdebakeln, unvermeidlichen Tourkatastrophen, beiläufiger Gewalt, noch beiläufigerem Sex, innerer Leere, Orientierungslosigkeit sowie einem One Night Stand mit einem britischen Popsternchen, das schon zum Frühstück eine Crackpfeife raucht.
Danach konnten nur Totalabsturz oder Läuterung folgen. Also ging Mike Skinner erst einmal in sich und kam zwei Jahre später mit Everything Is Borrowed wieder zum Vorschein. Das Werk verblüffte durch allerhand bodenständige Lebensweisheiten und gebrauchsphilosophische Überlegungen (Auch der Mensch ist ein Tier. Nur die Liebe zählt. Eigentum ist bloß geliehen.) und wurde ohne den Einsatz von Samples eingespielt – alles in allem wirkte es wie das exakte Gegenteil von Original Pirate Material. In dem Video zu „The Escapist“ sah man Skinner zu Fuß von Dover nach Südfrankreich marschieren, was seine pinkfarbenen Reeboks, bei denen es sich um ein Musterpaar handelte, von dem auf der Welt kein zweites existierte, natürlich vollständig ruinierte. Turnschuhsammler wie Streets-Hörer verweigerten daraufhin den Kauf des Albums und wandten sich empört ab. Hatte Mike Skinner möglicherweise den Verstand verloren? Vielleicht, jedenfalls war er mit Everything Is Borrowed am Ende jenes Weges angelangt, den er The Streets nannte. Eigentlich hätte danach Schluss sein können.
Aber Skinner hatte vor zehn Jahren einen Vertrag über fünf Alben abgeschlossen, weshalb man die Geschichte von The Streets abschließend als einen Entwicklungsroman in vier Teilen sehen kann – mit einem Epilog in Gestalt des neuen Werks. Hatten die vorherigen Streets-Alben ein Konzept oder ein Thema, hat dieses bestenfalls das Thema, kein Thema zu haben. In „Outside Inside“ philosophiert er zu einem ansprechend geloopten Sample aus dem Apple-Musikprogramm GarageBand über das Spannungsverhältnis von Innen und Außen, die tolle erste Single „Going Through Hell“ ist ein schwungvoller Stampfer, bei dem es möglicherweise um Faustkämpfe geht, bei „Roof Of Your Car“ handelt es sich um einen herrlich billigen Popsong mit beispielhaft geschreddertem Frauengesang und in „Puzzled By People“ wird die Erkenntnis, dass Leute nerven können, auf die denkbar eingängigste Weise zum Ausdruck gebracht – und das sind nur die ersten vier Titel.
Computers And Blues ist so etwas wie ein Best-of aus neuem Material. Die Gesamtanmutung ist schwungvoll, fast jeder Song ein Hit. Die schönsten Ideen der vorherigen Alben werden wieder aufgenommen und ins Lebensfrohe gekippt. Mitunter geht es auch ein wenig nachdenklich zu, etwa wenn Skinner in „Blip On A Screen“ über das Ultraschall-Bild seiner inzwischen geborenen Tochter Amelia singt, ohne dass sich die Nachdenklichkeit in den Vordergrund drängen würde. Im Grunde geht es um Frohsinn und Erleichterung, weshalb Computers And Blues ein ungeeigneter Titel ist – das ist dann aber auch die einzige Schwäche des Werks. Wenn Computers And Blues nun aber der Epilog zu einem Entwicklungsroman namens The Streets sein soll, wovon hat dieser Roman dann eigentlich gehandelt? Letztlich wahrscheinlich von dem Rapper Mike Skinner, der vor zehn Jahren versuchte, mit ein paar Stücken groß in der UK-Garage-Szene herauszukommen. Doch weder hat sein Vortrag der klassischen Vorstellung von Rap entsprochen, noch haben seine Stücke in der Garage-Szene groß Eindruck gemacht. Skinner ist ein Sonderfall, der überraschend zu Ruhm kam, und seinen Weg dorthin und wieder zurück wort- und erkenntnisreich beschrieb. Mit seinen Alltagsschilderungen hat er dem Bekenntnispop von Lily Allen den Weg geebnet und Rappern wie Plan B und Professor Green den Horizont erweitert. Aber nie hat Skinner es mit irgendwelchen Nachahmern zu tun gehabt, nie ließen sich seine Songs zufriedenstellend kategorisieren, außer als Streets-Musik.
Und jetzt? Will er Filme machen. Er schreibt an einem Drehbuch. Der soll, wie jetzt schon eine Reihe von Kurzfilmen, auf seiner Homepage veröffentlicht werden. Und es soll noch ein weiteres Album geben, namens Cyberspace And Reds, das aber offenbar nur im Internet veröffentlicht wird. Und dann wird sich Skinner wahrscheinlich nicht mehr The Streets nennen, da ist er konsequent, nur wird das im Grunde nichts ändern, nichts ändern können. Denn aus seiner Haut kann auch ein Skinner nicht heraus.