Der böse Onkel
Wirr von Hitler faseln, dann vom Cannes-Festival fliegen: Provokateur Lars von Trier hat wieder zugeschlagen.
Das böse N-Wort und das böse H-Wort ließen Lars von Trier erst stolpern und schickten ihn dann auf eine groteske Höllenfahrt. Aber an deren Ende standen vor allem, so könnte man sagen, die Medien schlecht da. Zudem hatte sich das Filmfestival von Cannes zumindest ein bisschen lächerlich gemacht. Der dänische Regisseur freute sich dagegen spitzbübisch über den hart erkämpften Titel „Persona non grata“ und schwieg, als sich wegen seiner Äußerungen auch noch die Polizei einschaltete. Zunächst hatte alles harmlos angefangen. Die Stimmung auf der Pressekonferenz nach der ersten Vorführung von „Melancholia“ war entspannt, als die Sätze fielen, die kurz darauf zum „Nazi-Skandal von Cannes“ wurden und um die Welt gingen. Kein anwesender Presse-Vertreter wies von Trier zurecht – wie in der Vergangenheit durchaus öfter geschehen – weil die Sätze in dem Kontext, in dem sie fielen und aus dem sie später gerissen wurden, eben nicht so brisant oder anstößig wirkten.
Es herrschte Schweigen, als Lars von Trier an jenem 18. Mai 2011 sich selbst einen Nazi zieh und scheinbar Verständnis für Hitler äußerte. Dass der „Nazi“ ein humorvoll gemeinter Ausdruck für die eigene Ungläubigkeit war, gerade richtigen Stuss über das Judentum verbreitet zu haben und das rhetorische „Verständnis“ für Hitler sich wohl auf dessen Einsamkeit in den letzten Tagen und in keinster Weise auf dessen Verbrechen bezog, war schnell egal. Übrig blieben die Schlagworte: Nazi! Hitler! Juden! Da war er, der: CANNES-SKANDAL!
Die Eigendynamik wurde verstärkt durch eine Kehrtwende der Festival-Verantwortlichen: Offenbar schwer unter Druck gesetzt von Politik und Sponsoren, revidierte man die zunächst formulierte Verwarnung von Triers und erklärte den Regisseur, der seit 1984 jeden seiner Filme nach Cannes gebracht und der 2000 für „Dancer In The Dark“ die Goldene Palme gewonnen hatte und von dem jeder weiß, dass er vieles ist, aber bestimmt kein Nazi, tatsächlich kurzerhand zur „unerwünschten Person“ und verwies ihn des Festivals. Ja, war da was los in Cannes auf einmal.
Wer in all dem Tohuwabohu einen Schritt zurücktrat und kurz nachdachte, konnte sich nur wundern über Ausmaß und Vehemenz des sogenannten Skandals. Spätestens seit 2009, als von Trier in „Anti-Christ“ sprechende Füchse und Genitalmutilationen in den Ring schickte und das Chaos regieren ließ, lag ein für den Regisseur nicht gerade schmeichelhafter Gedanke sehr nahe: Das leicht größenwahnsinnige Genie inszeniert seine Filme längst nicht mehr für ein Publikum da draußen irgendwo in der Welt, sondern einzig und allein für diesen einen Moment in Cannes, für die erste Pressevorführung und für die anschließende, obligatorische Pressekonferenz, als Teil einer von Größenwahnsinn geprägten Performance.
Schon 2003 hatte er die amerikanischen Journalisten nach „Dogville“ düpiert, als er erklärte, man müsse nicht in Amerika gewesen sein, um zu wissen, dass das Land stinke. Nach „Anti-Christ“ hatte er sich zum größten Filmemacher aller Zeiten deklariert. Es scheint, als habe er sich diesmal unbedingt übertreffen und um jeden Preis eine provozierende Show hinlegen wollen. Oder aber er konnte es einfach nicht ertragen, dass sein „Melancholia“ gemocht wurde. Am Ende gab es nur Verlierer. Außer Kirsten Dunst, die – Skandal hin oder her – von der weisen Jury als beste Schauspielerin ausgezeichnet wurde.
Ob sie sich richtig freuen konnte in diesem Moment, darf bezweifelt werden.