Der beste Entertainer der Welt
Der Musiker Bernd begemann sagt, er könne überall spielen. Und er tut das auch. Seit 20 Jahren tourt er auf und ab durchs Land wie kein Zweiter. Wir haben ihn drei Tage begleitet durchs Hinterland des Pop.
Wir sind im Schnitzelhimmel!“ Bernd studiert die Speisekarte im Aushang des Gasthofs „Zur Post“. Er strahlt. Der gebürtige Ostwestfale liebt Hausmannskost. Da stimmen der Geschmack und die Portionen. Bernd Begemann ist ein ordentlicher Esser, das kann er nicht verhehlen. Gute Frage: Will oder kann dieser Mann, mündig und freimütig wie kaum ein anderer Musikant dort draußen, überhaupt irgendetwas verhehlen?
Jetzt erst einmal einchecken. Die „Post“ in dem Städtchen Buchloe ist ein zutiefst bayerischer Flecken: Gasthaus schon vor den Kriegen, burgendicke Mauern. So viel Rustikalität lässt sich nicht kaputt renovieren. Ein Ort, an dem die großen Schnitzel und die kleinen Gedanken ganz allmählich vor sich hin brutzeln.
Bevor wir zu unseren Zimmern hochsteigen, frage ich die Rezeptionistin: „Wann müssen wir auschecken?“ „11 Uhr“, sagt sie. Am Treppenaustritt bremst mich Bernd aus. „Nie fragen!“ Seine Augenbrauen rutschen tiefer. „Nie fragen, wann man auschecken muss – einfach liegen bleiben!“ Bernd Begemann, 49, ist Rockmusiker. Er verwüstet keine Hotelzimmer. Aber er wohnt sie richtig aus. Saugt alle Kraft aus den Kissen. Als gäbe es kein Morgen. Vor 12 Uhr gibt es ja auch keinen. Und dann ist schon Mittag. Bernd: „Was wollen sie denn machen – die Polizei holen?“
Vor 20 Stunden haben wir uns getroffen, rund 100 Kilometer nordöstlich von hier. In Neuburg an der Donau, genau am Scheitel der 180-Grad-Kurve der Hofgartenstraße, die hoch führt zum Stadtschloss. Vor „Rob’s Pub“. Oben in dem steinalten Häuschen wohnt Rob. Unten der Pub. Und der hält, was der Name verspricht: Mehr Pub kann eine Kneipe diesseits des Ärmelkanals und der Donau kaum sein. Der ganze Raum Holz, der halbe Raum Theke. Die Wand übersät von Werbeschildern aus Blech. Barhocker, zwei Sitznischen. Für den Rest: Stehplätze. Rob trägt einen Pferdeschwanz und im Partnerlook mit seinem Sidekick Felix ein St.-Pauli-Totenkopf-T-Shirt. Felix ist unser Kontaktmann. Er mahnt: „Können wir einigermaßen pünktlich um neun anfangen? Die Leute müssen morgen arbeiten!“
Bernd Begemanns Konzert ist ausverkauft, verkündigt ein signalroter Aufkleber in Sperr-schrift auf dem Plakat neben der Eingangstür. Es bleibt weit und breit der einzige Hinweis auf das Gastspiel des Hamburgers, der in der 28 000-Seelen-Stadt zu entdecken ist. Dass übermorgen René Kollo ein Kirchenkonzert geben wird und bald auch noch „Monster Trucks“ in das Städtchen einfallen, das hingegen weiß hier jede Wand. Doch Heldentenor und Verschrottungsspektakel sind keine Konkurrenz: Rob und Felix haben ihr Stammpublikum rekrutiert für Bernds zweiten Besuch in ihrer Bar. „Ausverkauft“ heißt in „Rob’s Pub“: rund 40 zahlende Gäste.
Für Bernd, der gerade ein neues Album mit seiner Band Die Befreiung veröffentlicht hat (Wilde Brombeeren), ist dieser Gig der erste Auftritt in der „neuen Saison“, wie er sagt. Bei einem kaum abreißenden Strom von über 100 Konzerten im Jahr dient es seiner Orientierung, ein paar Start- und Zielfähnchen zu setzen.
BERND: Das Plakat ist besser als beim letzten Mal, oder? Das war vielleicht ein wenig zu indirekt, nur mit diesem Bild von der Tänzerin …
FELIX: Ja, das haben wir gar nicht erst aufgehängt.
BERND: (lacht)
FELIX: Da stand ja nur dein Name drauf, kein Gesicht, das bringt ja nichts.
Der fahrende Sänger wird an diesem Abend wieder in seinem Outlet-Anzug von Joop auftreten, den die Reporterin der „Augsburger Allgemeinen“ im vergangenen Jahr in ihrem Bericht als „schlecht sitzend“ und „grell beigefarben“ beanstandete, gleich im ersten Satz ihrer ansonsten wohlwollenden Konzertkritik. Und er wird auf einer Bühne stehen, deren Fundament aus zwei Holzpaletten gezimmert wurde. Der Sound wird über die Stereoanlage des Pubs kommen. Bernd wird seine zweite Gitarre, die akustische, schon allein aus Platzmangel im Koffer lassen. Und er wird aufpassen müssen, dass er mit dem Hals der ersten keinem das Weißbierglas aus der Hand schlägt. Denn einige Neuburger werden ihm hier richtig auf der Pelle sitzen. Und doch werden manche für Bernd Begemann unerreichbar bleiben. Niemals kann er sie alle kriegen. Obwohl er es wieder versuchen wird. Und der Berichterstatter, den die Lokalzeitung diesmal geschickt hat, hat nichts weiter als recht, wenn er aus seiner Sitznische verkündet: „Ist das eine Rampensau!“ Garniert mit einem dreckigen Lachen.
Ja, der Entertainer Begemann kämpft – und er tut das als Hybridmodell. Er ist Liedermacher, Rock’n’Roller, Crooner, Animateur. Und er ist auch der Clown, denn die Leute wollen den Clown sehen, und wenn er ein melancholisches Lied singt – von denen hat er einige: Liebeslieder, traurig, recht klar und unverklausuliert -, glauben einige, dass er nun eben ein trauriger Clown sei und lachen sicherheitshalber weiter. Sogar einen „Kabarettist“ werden sie in Bernd in „Rob’s Bar“ erkennen. Wenigstens nennt ihn keiner „Comedian“.
Abende, an denen das Hybridmodell Begemann heiß läuft, gegen alle Widerstände kämpft und gleichzeitig damit, dass es nicht nach einem Kampf aussieht, sondern leicht und spielerisch und höchstens ein wenig aufgewühlt, können zu denkwürdigen Abenden werden – selbst für solche Gäste, die er am Ende damit doch nicht herumbekommt. Dann ruft Bernd mit überschnappender Stimme, in gespielter Hysterie: „Ich werde euch unterhalten, und wenn es das Letzte ist, was ich tue!“ Und meint es ernster, als alle glauben. Er könnte jetzt auf den Biertisch springen, mitten zwischen die Gläser. Hat er im Repertoire. Oder „You Keep Me Hangin‘ On“ von den Supremes mit Playback vom iPod schmettern. Hat er frisch einstudiert.
Er will sie alle kriegen, und wenn er sie hat, will er „Verwirrung stiften“ unter ihnen, aber eben auch Romantik verbreiten. Das ist die Taktik, das Hü und Hott, nach dem Bernd Begemann spielt. Doch am Ende des Abends in „Rob’s Bar“, an dem nur die absoluten Hits wie „Kelly Family Feeling“ zünden, keiner die schweren Fragen seines improvisierten Filmquiz zu beantworten vermag, manche Ansagen zu selbstreferenziell geraten und sich der rudernde Entertainer in den Freiheiten seiner freihändigen Show schließlich vergaloppiert, steigt ein Bernd Begemann von der Bühne, der kaum weniger verwirrt ist als sein Publikum.
Hinter dem Tisch, auf den er den Großteil seiner beeindruckenden Diskografie zum Verkauf ausgelegt hat, sinkt er zusammen. Mit dem Handtuch um den Hals. Ein Boxer nach zwölf Runden. Für einen Moment schaut er durch die Welt hindurch und stöhnt, allerdings stöhnt Bernd mit seiner sonoren Stimme fast immer ein wenig beim Sprechen: „Hm, das war vielleicht ein wenig unfokussiert.“ Nicht doch, es war großartig! Und ja, am Ende vielleicht ein wenig unfokussiert.
Die meisten Leute sind nach dem letzten Song schnell gegangen. Müssen morgen arbeiten. CDs hat Bernd keine verkauft. Aber jemand hat eine Schüssel Wurstsalat auf die Theke gestellt. Reste vom Gasthaus um die Ecke. Wir naschen mit den Fingern von der essigsauren Delikatesse, bevor Rob Gabeln holen kann. „Der weiße Presssack ist am besten!“, empfiehlt eine Frau mit Platz direkt an der Schüssel und schnappt uns lachend Stück für Stück davon weg. Bernd isst auf, zieht sich hoch, geht zu der Palettenbühne und rollt stumm seine Kabel zusammen. Er hat eine Theorie zu diesem Ritual: „Das ist das Beste zum Wiederrunterkommen. Ansonsten würdest du einfach dasitzen mit immer noch voll durchgetretenem Gaspedal – aber im Leerlauf. Und was bleibt dir dann übrig, dann musst du saufen oder eine Line ziehen.“
Der nächste Tag. Wir rollen übers Land, die 100 Kilometer nach Buchloe hinunter. Ein Katzensprung, selbst für eine Deutschlandtour, wo ja ohnehin alles lächerlich nahe beieinander liegt. Auf der Bundesstraße drücken wir uns hinter einem Lastwagen einer Gartencenter-Kette herum. Links die leeren Notenlinien einer Überlandleitung, rechts der Schienenstrang der Regionalbahn. Deutschland – Infrastrukturland. Alle Bands und Musiker werden bald nur noch Landstraße fahren, wenn die Autobahn-Maut für Pkw kommt, prophezeit Bernd, und viele Touren kleiner Bands werden überhaupt nicht mehr finanzierbar sein. Er sitzt wach und aufgeräumt am Steuer seines rundherum gleichmäßig verbeulten Familienmobils. Den Tachostand von 250 000 Kilometer hat es bereits überschritten, nach sechs Jahren. Bernd rechnet vor: Er fährt pro Jahr fast einmal um die Welt, „nur eben nicht um die Welt, sondern kreuz und quer durch Deutschland“. Der nächste Wagen muss auch wieder eine komplette Band schlucken. Tatsache: Bernd Begemann & Die Befreiung, vier Musiker inklusive Instrumentarium und Gepäck, passen in einen VW Touran.
Bernd kauft uns ein Eis auf dem Autohof. Durchschnittlich einmal im Monat erkenne ihn jemand an Tankstellen, bei McDonald’s, auf der Straße, berichtet er – „Deutschlands dienstältester unabhängiger Musikschaffender“, wie ihn „Spiegel online“ letztens nannte. Das läuft dann ungefähr so:
JEMAND: Sag mal, Du bist doch Bernd Begemann! (seltsam vorwurfsvoller Tonfall)
BERND: Ja, hallo …
JEMAND: Du wirst Dich vielleicht nicht mehr erinnern, aber Du hast vor fünf Jahren meinem Bruder eine CD unterschrieben …
Was hat Bernd Begemann hier draußen nun eigentlich verloren? Nichts gegen Neuburg und Buchloe, aber was kann einer wie er – großartiger Entertainer/eigenwilliger Entertainer – reißen jenseits von, sagen wir wenigstens: Nürnberg und Bamberg? „Nun, ich kann überall spielen. Weil ich keine Berührungsängste mit Leuten habe, die noch nie so was gehört haben“, sagt der Sänger: „Und das ist meine Chance.“ Er spricht von Menschen, die nicht drei- oder viermal im Monat Schlange stehen vor dem Indie-Club. Und Menschen, die überhaupt noch nie vor irgendeinem Club standen. Eine Zielgruppe, die zwar unendlich groß, aber gleichzeitig so heterogen und übers ganze Land verteilt ist, dass sie als eine Zielgruppe eigentlich nicht zu greifen ist. „Die sagen sich:, Schauen wir uns heute was auf Video an oder gehen wir zu diesem Konzert, Schatz? … Der Typ scheint ja ganz lustig zu sein.'“ Und dann ist Bernd Begemann lustig, „lustiger als so ziemlich jeder Comedian, der mir einfällt“, wie er sagt. Und vielleicht kommen sie ja wieder. Bernd Begemann kommt auf jeden Fall wieder.
Auch im „Hirsch“ in Buchloe-Lichtenberg, 1 370 Einwohner, spielt er heute schon zum zweiten Mal. Vom Kirchberg aus, der sich direkt hinter der ehemaligen Brauerei und Käserei erhebt, kann man die Alpen sehen. Am „Hirsch“ wiederum kann man sehen, dass „subkulturelle“ Angebote, wie man sie früher nannte, auch in der Provinz ihren Platz finden. Wenn der Einsatz stimmt. Wumi, der 40-jährige Wirt vom „Hirsch“, hat den einst zum Abriss bestimmten Gasthof vor elf Jahren gekauft. Davor war eine Hardrock-Kneipe darin. Heute sitzen drahtige Burschen mit tätowierten Armen, buschigen Bärten, tief sitzenden Mützen und Hosen auf den Stufen im Treppenhaus und schauen ernst. Die jungen, lustig durcheinanderquasselnden Frauen, die gerade hereingekommen sind, diskutieren ihre neuesten Dirndl-Einkäufe.
Wohnzimmermöbel aus Haushaltsauflösungen machen die große Gaststube des „Hirsch“ rund um den mächtigen Kachelofen gemütlich wie eine WG-Küche. Mit den 60er- und 70er-Jahre-Lampen ließen sich bei Ebay durchaus ein paar Hundert Euro machen. An den Wänden hängen Leserbriefe aus der Lokalzeitung, in denen über die Lärmbelästigung gestritten wird, die der wild gewordene „Hirsch“ angeblich verursacht. Bevor das Konzert beginnt, tragen die drahtigen Burschen Dämmwände herein und verbarrikadieren damit die Fenster. Das größere Problem gibt es allerdings mit der Feuchtigkeit, sagt Wumi. Die steckt überall in dem Gemäuer. Sie sanieren tapfer dagegen an.
Gestern in „Rob’s Bar“ drängten sich die Leute bedrohlich nahe vor ihm, beim Auftritt heute liegen ein paar terrakottafarbene Fußbodenfließen zu viel zwischen Bernd Begemann und seinem Publikum, das sich auf den Sofas, der Eckbank und an der Bar verstreut hat. Unweigerlich werden seine Gesten ausladender. Mit dem Fuß stößt er eine Blumenvase um, die ominöserweise direkt vor seinen Effektpedalen hindekoriert wurde. Über zwei Stunden strengt es schon mächtig an, allein gegen diese räumliche Distanz anzusingen. Auch wenn hier ein paar Leute seine Lieder kennen, wenigstens ein paar davon, und so auch Wünsche vortragen können. Aber Bernd will mehr, er möchte die Leute spüren.
Doch die, die er gerade am meisten spürt, stehen hinten an der Theke, trinken ausdauernd und schwatzen ungerührt. Bernd stänkert ins Mikrofon: „Wenn jetzt noch der Fredl, der Wastl und der Sepp damit aufhören könnten, sich über ihre Traktoren zu unterhalten.“ Ein Lacher. Aber keine Wirkung. Die zeigt dafür „Unten am Hafen“, der alte Schlager von Bernds ehemaliger Band Die Antwort. Den wollen fast alle mitsingen. Weil das nicht weniger als selig macht.
BERND: Alle singen!
„HIRSCH“: „Unten am Fluss“!
BERND: Und wo da?
„HIRSCH“: „Unten am Hafen“!
BERND: Wo genau?
„HIRSCH“: „Wo die großen Schiffe schlafen“!
Eine Handvoll CDs gehen heute wenigstens über den Wohnzimmer-Tisch – jede mit persönlicher Widmung. Und doch: „Das letzte Mal waren doppelt so viele Gäste hier“, rekapituliert Bernd. Da spielte er samt seiner Band Befreiung im „Hirsch“. Mit Band kommen also mehr Leute? Nein, so einfach geht die Rechnung nicht auf. Einmal ist es so und dann wieder anders. Heute war noch mal Biergartenwetter. Vielleicht lag es daran. Bernd sinniert: „Die Belohnung für das, was ich tue, ist nie linear.“ Gutes Stichwort: Gibt es eigentlich noch was von dem Zwetschgendatschi, den Wumis Mutter heute beim Soundcheck vorbeigebracht hat? Nein? Ich biete Bernd an, dass ich zurück zum Hotel fahren könnte. So kann er seine Zwetschgen im Obstbrand zu sich nehmen. Zwei Gläschen. Schlagen sofort an bei ihm. Er muss doch noch die Kabel aufrollen!
Der dritte Tag. Nach Karlsruhe sind es wenigstens drei Stunden Fahrt. Unterwegs suchen wir in einem Unterhaltungselektronik-Markt nach einem neuen Navigationsgerät, das auch über Infrastrukturmaßnahmen der letzten fünf Jahre informiert ist. Wer von Bernd Begemann an einem Samstagnachmittag in solcher Kulisse für ihn so typisch aufgeregt darüber belehrt wird, weshalb die Band Radiohead überflüssig und prätentiös sei und warum „das die Popjournalisten nicht kapieren“, der hält vielleicht auch schon mal nach der nächsten Stadtbus-Haltestelle Ausschau. Wer den Künstler drei Stunden später erneut beim Sprudeln und Beinahe-Überlaufen erlebt, wenn er im Backstageraum über die Großartigkeit von The Shangri-Las doziert, fängt jedoch Feuer. Erst brennt Bernd und dann brennt man selbst: „Das hier ist für mich profund! Über einen solchen Song kann ich tagelang nachdenken.“ Er spielt die Beethoven-Bearbeitung „Past, Present And Future“ der 60s-Girlband vor. „Hörst du das? Den Text?! … Da muss etwas Unsagbares passiert sein!“ Der Mann hat recht.
Bernd Begemann ist ein Hüter des hohen Gutes Lied: „Lieder sind 10 000 Jahre alt, und sie sind anders als Literatur, und sie sind auch etwas anderes als Musik. Lieder drehen sich um Menschen, um Augenblicke, die nicht vergehen dürfen.“ Wenn seine Lieder mit den Erfahrungen und Gefühlen des Publikums Schnittmengen bilden, funktioniert Bernds Experiment. Denn, tatsächlich: „Ich bin Experimentalmusiker“, sagt er. „Aber ich experimentiere nicht mit Sounds, sondern mit Bedeutungen, Worten, ihren verschiedenen Färbungen …“ In diesem Moment rollen Nudeln, Fleischsoße und Salat in Hausmacherportionen in das von Neonlicht geweißte Zimmer. Noch 45 Minuten bis zum Auftritt.
TECHNIKER: Und wegen der Bühnenbeleuchtung, da gehen wir gleich noch mal miteinander Dein Programm durch.
BERND: Ich habe kein Programm.
Zum Konzert im Jugendbegegnungszentrum in der Karlsruher Fußgängerzone, einem Zweckbau mit dem Charme einer Gesamtschule aus den frühen Achtzigern, kommen über 50 Leute. Im Konzertsaal verteilen sich die Zuschauer an versetzt gestellten Tischen mit roten Deckchen. Das hier muss der Ball der einsamen Herzen sein. Aber die Ausgestaltung erfüllt ihren Zweck: Jeder Platz wird heute Abend besetzt sein. Bernd Begemann wird von Scheinwerfern in allen Regenbogenfarben beschienen. Die Bühne ist beinahe so groß wie „Rob’s Pub“. Bernd hört sich und den vollen, warmen Klang seiner Gitarre durch ordentliche Monitorboxen. Er ist an einem Ort angekommen, wo nicht dauernd improvisiert werden muss. Und obwohl er die Herausforderungen und Unmittelbarkeit der Konzerte ganz weit draußen liebt und über diese „grünen Lungen der Kulturlandschaft“ mit größter Anerkennung spricht: Er ist erleichtert, heute Abend hier spielen zu dürfen, das ist ihm deutlich anzumerken. Er klingt besser, singt besser, tanzt besser, sieht besser aus – und selbst die Leute im Publikum scheinen schöner zu singen.
Bernd Begemann ist Musiker. Er lebt von diesem Beruf seit vielen Jahren. Er kann seine Tochter mit versorgen, von deren Mutter er getrennt lebt, sagt er, und sich alle sechs, sieben Jahre ein neues Auto kaufen, das groß genug ist für eine komplette Band. Und damit fährt er und fahren sie immer wieder durchs Land, um für die Menschen zu spielen.
Doch niemand macht diesen Job 30 Jahre lang, weil er einigermaßen davon leben kann. 30 Jahre lang macht das nur ein Besessener. Bernd Begemann ist ein Besessener, der seine Besessenheit erklären kann. Er sagt: „Es geht darum, dass du liebst, was du tust. Ich will genau das hier machen … Ich will keine Bücher schreiben. Oder Fernsehen machen, das kann jeder Idiot.“ Er darf das sagen, er hat Fernsehen gemacht. „Schau, ich bin überzeugt davon, dass mein Vater der beste Tierarzt der Welt war – aber er war das in Bad Salzuflen. Und es gibt Abende, da bin ich der beste Entertainer der Welt – aber ich bin es in Buchloe.“
bernd begemann
Der Adoptivsohn einer Tierarzt-Familie wächst in Bad Salzuflen auf. Er betreibt dort mit Freunden das Label Fast Weltweit, bei dem u.a. Jochen Distelmeyer und Frank Spilker mitmischen. Mit 20 macht er sich auf nach Hamburg, um mit seiner Band Die Antwort wenig erfolgreiche Major-Platten zu veröffentlichen. Seine 1992 beginnende Solokarriere läuft besser. Erst seit dieser Zeit tourt er derart fleißig wie kaum ein anderer deutscher Songwriter und Musiker. Begemann hat bis heute 20 Alben aufgenommen, u.a. zwei mit Dirk Darmstaedter (mit dem er 2010 Letzter beim „Bundesvision Songcontest“ wird), hatte für drei Folgen eine eigene TV-Sendung („Bernd im Bademantel“) und arbeitete u.a. für und mit Jasmin Wagner, Tobi & Das Bo und Paul Kuhn.