Depeche Mode


Kaum bat sich der U2-Film als mittlerer Flop erwiesen, bringen die Synthie-Popper Depeche Mode ihre Live-Film "101" in Kinos und Videotheken. Sylvie Simmons stach bei Martin Gore ins Wespennest.

Der Name „U2“ fällt – und Martin Gore zuckt zurück wie der Vampir vor dem Kreuz, windet sich im Sessel und sucht Halt bei seiner Teetasse.

Die Druckerschwärze auf den Werbepostern zu U2’s „Rattle And Hum“ ist kaum getrocknet, da veröffentlichen Depeche Mode „101“, das Album zum Video zum Buch zum Film. Ebenso wie bei „Rattle And Hum“ handelt es sich um einen Konzertmitschnitt, dem letzten und 101. Gig ihrer Welttournee ’88 in der Pasadena Rose Bowl, einem Football-Stadion bei Los Angeles.

„Das Timing war wirklich schlecht“, murmelt Gore mit kaum hörbarer Stimme. „Als wir vor zwei Jahren mit der Planung begannen, kamen wir überhaupt nicht auf die Idee, daß möglicherweise jemand andres etwas Ähnliches vorhaben könnte. Damals waren Live-Sachen aus der Mode, seit ewigen Zeiten hatte niemand mehr Live-Mitschnitte herausgebracht – und nun ist es auf einmal wieder in.

Ich glaube trotzdem, daß unser Konzept anders ist. U2 haben einen Generalangriff auf die Medien gestartet, der Film wurde überall gezeigt, in Amerika, in Europa, einfach überall. Unser Film dagegen kommt zuerst auf Video raus und wird in England wahrscheinlich nur in ein paar Kinos zu sehen sein. In Deutschland vielleicht überhaupt nicht. Wir haben jedenfalls nicht vor, um die Welt zu reisen und bei irgendwelchen Premieren aufzuspielen.“

Obwohl sie in Europa eine ansehnliche und treue Fangemeinde haben und man in Amerika, Zitat aus „The Face“, „ebenso ehrfürchtig von ihnen spricht wie von New Order oder sogar Kraftwerk“, könnte man meinen, daß die vier Synthie-Popper vielleicht doch nicht zu den ganz Großen wie U2, Dylan, Bowie oder Talking Heads gehören, die allemal einen abendfüllenden Konzertfilm wert sind.

„Das mag sein“, unterbricht Gore, „aber in den meisten anderen Ländern haben wir einen besseren Ruf als in England. Das hat seine Vorteile, weil wir hier leben und über die Straße gehen können, ohne daß irgendjemand Notiz davon nimmt.“

Er lacht. „In England denken die meisten, wir wären so etwas wie eine ältere Ausführung von Bros, ein bißchen perverser vielleicht – obwohl ich meinen Leder-Mini schon seit Jahren nicht mehr auf der Bühne getragen habe!

Ein weiteres Vorurteil ist, daß elektronische Musik live nicht abgeht. Das stimmt nicht, wir haben schon sehr früh angefangen live zu spielen – 1980 lourten wir durch Clubs und hatten nicht mal eine Platte – und die Atmosphäre auf unseren Konzerten ist immer gut. die Leute stehen wirklich drauf.

Live spielen war immer sehr wichtig für uns, und deshalb wurde es nach neun Jahren Zeit für ein Live-Album wurde. Wir haben bereits einmal einen Konzertfilm gemacht, 1984 in Hamburg, glaube ich, der aber nicht sehr typisch für die Band war. Nach langem Überlegen kamen wir dann auf Pennebaker, weil wir hofften, daß ein neuer Film mit ihm sicher viel interessanter werden würde als mit einem der derzeit angesagten Regisseure, die eine Band nach der anderen abklappern und mit jeder den selben Film drehen.“

D.A. Pennebaker ist wahrscheinlich am bekanntesten durch „Monterey Pop“ und Dylans „Don’t Look Back“. Soweit man das nach ein paar kurzen Ausschnitten beurteilen kann, stand das Konzept des Dylan-Films – eine Mischung aus Live-Szenen und Momentaufnahmen hinter der Bühne oder zwischen den Gigs – Pate für das neue Projekt.

“ Viele denken, daß wir den Regisseur, der schon mit Dylan und Hendrix gearbeitet hat, gewählt haben, um uns selbst aufzuwerten. Aber eigentlich war es ein Risiko, weil er seit Jahren nichts mehr in der Richtung gemacht hat. Wir hielten ihn ganz einfach für ein Genie.“

„Ein reiner Konzertfilm wäre furchtbar langweilig gewesen“.

schließt Martin Gore das Thema ab.

„Der Cure-Film ,Live in Orange‘ hat mich z.B. sehr enttäuscht. „

Das Album könnte auch „Depeche Mode’s Greatest Maxi Hits“ heißen – mit ein bißchen Applaus hier und da. Die meisten Songs für das nächste Studio-Album, das Anfang 1990 erscheinen soll, hat Gore schon geschrieben. Zur Zeit befinden sich Depeche Mode mal wieder auf einer ihrer langen Sample-Expeditionen ins Reich der außergewöhnlichen Klänge. (Bei denen sie in der Vergangenheit beispielsweise Flaschen auf Eisenbahnschienen zertrümmert oder „Andy mit einem Lineal vertrimmt und den Schlag und seinen Schmerzensschrei zusammen gesampelt“ haben.) Zum Pflichtprogramm auf der Suche nach dem perfekten Sound gehören zur Zeit außerdem Platten mit Aufnahmen russischer Chöre und 50er-Jahre Doowop.

Die innige Umarmung durch die House-Szene in „Chicago“ und „Detroit“, wo Depeche Mode einer der Hits auf den Tanzflächen ist, erstaunt Gore, denn „ich mag Tanzmusik nicht besonders, ich setze mich nie hin und versuche, etwas zum Tanzen zu schreiben“.

Die Frage, was denn mehr nach seinem Geschmack wäre, läßt er unbeantwortet, aber vielleicht erübrigt sie sich, wenn im Mai Martins Solo-Minialbum mit Coverversionen von Songs aus den frühen 80ern erscheint.

„Die Leute sagen seit Jahren zu uns: ,Eure Musik ist aus der Mode, die große Zeit der Synthesizer war 1981, jetzt sind schräge Gitarren angesagt‘. Aber ich denke, mittlerweile ist es schon wieder in Ordnung, eine Synthie-Band zu sein. Ich finde unsere Musik aufregend, laut und kraftvoll – ich hoffe, das klingt nicht allzu sehr nach Heavy Metall – und sehr europäisch. Wir waren schon immer eine europäische Band. Aber wir haben nie versucht, so wie Bros zu sein. „