David Lynch


David Lynch, der Mann mit der Silbertolle, meditiert bekannterweise zweimal täglich. In Interviews gibt er sich folglich im Einklang ganz mit seinem Werk, wenn auch manchmal etwas einsilbig, seinem Gegenüber dennoch stets zugewandt. So sind sie, die großen Meister des Autorenkinos -besonnen und etwas mysteriös. Es ist trotzdem nicht schwierig, an Lynchs Lippen hängen zu bleiben, während er über sich und seine Schaffenskraft spricht. Im Interview erklärt der amerikanische Regisseur, wie sein zweites Solo-Album, THE BIG DREAM, entstanden ist, seine Abneigung gegen Liveauftritte, was ihn an seiner Stimme stört -und warum er nicht gern duscht.

Herr Lynch, würden Sie sagen, dass THE BIG DREAM einen Fortschritt im Vergleich zu Ihrem Debüt darstellt? Oder denken Sie gar nicht in Kategorien wie „Fortschritt“?

Ich glaube an Evolution. Und ich denke, dass es ein Fortschritt ist. Mir kommt es vor, als hätten wir ein besseres Album gemacht.

Warum?

Es ist tighter.

Sehen oder hören Sie sich Ihre alten Filme oder Alben hin und wieder an?

Manchmal ist es gut, zurückzukehren und die alte Arbeit mal wieder zu besuchen. Es könnte sein, dass man dann etwas sieht oder fühlt, was man inzwischen vergessen hatte. Das trifft einen manchmal wie ein Schlag und führt zu etwas Neuem. Es ist also manchmal gut, das zu machen.

Und das machen Sie auch mit der Musik?

Ja, ja! Manchmal höre ich dann etwas, wo ich denke: „Oho, davon müssen wir wegkommen“, oder: „Wow, darauf müssen wir zurückkommen.“

Schämen Sie sich manchmal für etwas, das Sie getan haben?

Sie würden das von mir nie hören, wenn es so wäre.

Was bedeutet, dass Sie sich dafür schämen!

Wissen Sie, wer experimentiert, begeht viele Fehler, während er sich seinem Ziel nähert. Du musst aber diese Experimente und damit auch diese Fehler machen, um etwas Neues zu entdecken. Das ist Teil des Prozesses. Es gibt viele sehr peinliche Dinge, große Fehler, aber das gehört immer dazu, wenn man ein unentdecktes Territorium betreten will. Und das ist doch eigentlich die schönste Landschaft – die unentdeckte.

Sie verändern mit jedem Song Ihre Stimme, nie hört man den „echten“ David Lynch. Warum?

Weil ich meine eigene Stimme furchtbar finde. Sie ist entsetzlich und …

… grauenvoll?

Ja, wie ein Fluch, der auf mir lastet. Aber mit all diesen verschiedenen Plug-ins und Sachen, mit denen sich eine Stimme beliebig verfremden lässt, kann auf beinahe magische Weise auch ein Charakter gefunden werden. Außerdem finde ich, dass sich eine Stimme mit dem Song verheiraten muss. Und das ist ein kniffliges Geschäft, weil es nur um ein Gefühl geht. Deshalb arbeiten wir sehr lange daran, die Stimme in den Song einzufügen. Und wenn ich dann mit diesen Effekten singe, verwandele ich mich in einen Charakter, und das hilft wiederum dem Song. Es ist sehr wichtig, dass so lange an der Stimme gearbeitet wird, bis sie sich korrekt anfühlt.

Dann ist es aber nicht mehr Ihre Stimme. Sie schlüpfen in einen Charakter. Ist das Schauspielerei?

Es ist wie Schauspielerei! Und das ist eben nicht so schwierig, wenn die Stimme einen bestimmten, mir fremden Klang hat. Es vereinfacht es, mich in diese Rolle hineinzuversetzen, weil ja dieser Charakter, den ich sozusagen spiele, auch eine ganz eigene Weise singt.

Werden Sie vielleicht trotzdem eines Tages mit Ihrer eigenen Stimme Frieden schließen?

Nein, nein, nein. Ich erwarte nicht, eines Tages Frieden zu schließen mit dieser Stimme.

Bis auf wenige Ausnahmen geben Sie den Akt des Singens selbst nicht aus der Hand. Sie hassen Ihre Stimme, singen aber gerne? Ist es das?

Es ist seltsam, denn ich mochte es nie. Ich hatte eigentlich immer eine sehr große Angst davor. Nur Dean („Big“ Dean Hurley, der Produzent, Toningenieur und Mitmusiker – Anm. d. Red.) sieht mich singen, und er schaut dabei auch nicht hin. Gerne singe ich nur unter gewissen Umständen.

Wenn Sie betrunken sind?

Ich trinke eigentlich nicht.

Dann … unter der Dusche?

Genau dort. Obwohl ich nicht gerne dusche. Ich mag es nicht, nass zu werden.

Waren Sie jemals ein Tänzer?

Nein, nie. Ich bin kein Clubgänger. Ich mag langsames Tanzen mit einem Mädchen in einem dunklen Raum. Aber ich bewundere große Tänzer.

Die Technik?

Die Magie. Ich denke dabei an Elvis Presley. Er erwachte mit seiner Musik erst zum Leben. Wenn er sich bewegte, waren da massive Schübe an Elektrizität.

Und Sexualität.

Ja. Und zwar die volle Packung.

Sie gehen nicht auf Tournee. Warum?

Es geht leider nicht. Und das ist wirklich sehr schade. Denn das wäre der einzige Weg, mit Musik Geld zu verdienen. Ich glaube aber nicht, dass Dean und ich dergleichen jemals machen werden.

Aber wäre das nicht auch eine Herausforderung? Unerforschtes Gelände?

Es ist eine Zeitfrage. Ich glaube, wir müssten auch eine Band aufstellen und verdammt viel proben. Ich weiß nicht, ob das klappen würde. Ich bezweifle, dass wir eine Show hinbekommen würden, an denen die Leute wirklich ihre Freude hätten. Es gibt einfach Künstler, die sind live unglaublich, sie legen schlichtweg eine großartige Show hin. Ich denke, wir sind eher eine Studioband.

Es könnte doch für Sie als Regisseur interessant sein. Was ist ein Konzert anderes als ein elektrifiziertes, musikalisch getriebenes Theater?

Das ist sehr interessant. Ich habe darüber auch schon nachgedacht, als Regisseur. Es könnte eine Show geben, in der die Musik eine Rolle spielt, aber nicht auf die traditionelle Weise. Mehr kann ich nicht verraten.

Und reizt es Sie gar nicht, Ihre eigene Musik zu visualisieren, die Clips dazu zu drehen?

Videoclips sind eine schwierige und zwiespältige Sache. Wenn ich Musik höre, habe ich meine eigenen optischen Eindrücke im Kopf. Aber die haben nicht notwendigerweise etwas damit zu tun, was in den Köpfen anderer Leute stattfindet. Musik ist so abstrakt. Sie fährt in dich hinein und stellt dort etwas sehr Persönliches mit dir an. Musikvideos limitieren den Song, weil dann die Menschen eher die gebotenen Bilder damit assoziieren und nicht mehr ihre eigenen entwickeln.

Mit dem Musical gibt es ein Genre, das beide Welten miteinander verbindet. Wäre das nicht für Sie interessant?

Das wäre es, Arno, das wäre es.

Aber es wird nie passieren?

Das habe ich nicht gesagt. Ich mag die Idee. Wenn ich eine Idee hätte und einen Weg finden könnte, es auf eine Weise zu machen, die mich aufregt, dann mache ich es. Ein Musical aus den bestehenden -oder anderen -Songs wäre sehr reizvoll. Leider fehlt mir eine Idee und damit die Motivation.

Auf dem letzten Album sang Karen O von den Yeah Yeah Yeahs, diesmal ist Lykke Li Ihr Gast. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Ich kenne sie schon seit einer ganzen Weile. Und dann spielte sie in der Eröffnungswoche des Nachtclubs „Silencio“ in Paris, den ich eingerichtet und kuratiert habe. Und sie hat mich ein paar Mal in Los Angeles besucht und wollte immer etwas in meinem Studio machen. Ich habe ein schönes Studio in einem Haus, es ist ein Raum in einem Raum. Und dann brachte Lykke Li eines Tages einen Song mit, die Texte und alles. Eigentlich hat sie die ganze Zeit mit Dean daran gearbeitet, ich habe gar nichts gesagt und saß nur in der Ecke.

Sie waren gar nicht beteiligt?

Doch. Ich war Zeuge.

Ihre Songs entstehen durch das Jammen, ganz klassisch …

Ja, der Prozess beginnt mit einem Jam. Wir spielen vor uns hin, bis etwas Besonderes passiert, auf dem wir aufb auen können. Alles ist wichtig. Die Geschwindigkeit des Beats, der Klang der Gitarre, die Farbe der Wände. Alle diese Dinge sind so wichtig, um weniger die Musik selbst als vielmehr Möglichkeiten zu erzeugen. Wenn man nur ein Detail ändert, kann sich alles ändern und etwas völlig anderes dabei herauskommen. Das ist so magisch und macht so irrsinnig viel Spaß wie kaum etwas anderes

Ist der Regisseur David Lynch endgültig an die Musik verloren?

Nein. Jedes Medium, in dem ich arbeite, wird von mir geliebt. Aber die Musik ist ein Medium, das für sich steht. Es ist eine eigene Welt, und es ist eine schöne Welt, die Welt der Musik.

Auf THE BIG DREAM covern Sie auch „Ballad Of Hollis Brown“ von Bob Dylan. Warum dieser Song? War es der Text oder die Musik?

Dean hat diesen Song ausgesucht. Er sagte: „David, das wäre doch gut für dich!“ Und so führte eines zum anderen, und nun singe ich die „Ballad Of Hollis Brown“. Aber die Version, nach der wir uns gerichtet haben, ist das Cover von Nina Simone. So viel Kraft, so viel Schönheit.

Eigentlich fühlen Sie sich doch dem Blues näher als, sagen wir, der großen amerikanischen Folktradition.

Ja, ich mag viel verschiedene Musik, ich höre auch Folk. Aber nur der Blues kickt mich wirklich, der elektrische Blues in der Sekunde, in der die Gitarre eingestöpselt wird.

Dylan wurde ja auch einst elektrisch …

Ja, das wurde er. Und es kickte ihn.

Kickt Meditation?

Ich meditiere zweimal täglich jeweils 20 Minuten, und das seit fast 40 Jahren. Ja. Es kickt.

Ist in diesem mentalen Zustand Raum für Sie so etwas wie Musik?

Ich praktiziere transzendentale Meditation. Das ist eine Technik, die dich nach innen führt, ganz nach innen in das einheitliche Feld puren Bewusstseins. Wenn ein Mensch sich diesem uferlosen Feld nähert und darin wächst, dann wird das Leben besser auf viele, viele, viele, viele, viele verschiedene Weisen. In der Meditation kann es durchaus passieren, dass du auf Ideen kommst. Die gute Nachricht ist: Nach der Meditation kommst du besser auf bessere Ideen, als das vor der Meditation der Fall gewesen sein mag. Es erleichtert also den Flow der Kreativität und den Flow des Glücklichseins, den freien Flow von Intelligenz, Energie, Liebe, all dieser Dinge.

Meditation ist für Sie also kein Werkzeug.

Nein, dazu kann man es nicht benutzen. Aber wie ich schon sagte: Erweiterung des Bewusstseins erleichtert den Fluss der Ideen. Es gibt Musiker, die das Gefühl beschreiben, im Spiel und im Moment völlig aufzugehen und sozusagen

… versunken zu sein?

Genau. Versunken.

Ist dieser Zustand vergleichbar mit dem Erlebnis einer Meditation?

Das ist eine sehr interessante Frage. Die Frage lautet doch: Kannst du tiefer und tiefer und tiefer in einem Medium versinken? Und die Antwort ist: Ja. Alles ist unendlich tief. Du kannst tiefer und tiefer gelangen, so tief, dass du das Gefühl hast, alles andere um dich herum ist verschwunden – aber das bedeutet nicht, dass du den ganzen Weg nach unten zur Transzendenz geschafft hast. Im Moment der Erleuchtung gibt es nichts Unterbewusstes mehr und auch nichts, was außerhalb von dir existiert. Es ist alles da. Erleuchtung bedeutet, zur Wirklichkeit zu erwachen. Und es ist eine wundervolle Wirklichkeit. Dieser Musiker auf der Bühne mag also tief in seiner Sache stecken. Und wenn er so tief hineingelangt, ist es so ungeheuer schön, dass ich sicher bin, für ihn fühlt es sich so an, als spiele nicht er die Musik, sondern die Musik ihn.

Passiert Ihnen das auch?

Manchmal, wenn wir jammen, kann so etwas schon vorkommen. Aber um die Form der Versenkung zu erreichen, von der wir eben sprachen, spiele ich einfach nicht gut genug Gitarre.

Nicht jeder hat das Glück, ein Künstler zu sein wie Sie. Es gibt Menschen, die ihr Leben am Fließband verbringen, mit den immer gleichen stumpfen Handgriffen seit 30 Jahren. Diese Leute sind auch versunken in ihr Medium. Kann diese Tiefe, von der Sie sprechen, nicht auch ein sehr dunkler und seelenfressender Ort sein?

Eine sehr schwierige Frage. Ich glaube, Negativität ist nicht wirklich real.

Wie das?

Dunkelheit ist nichts anderes als die Abwesenheit von Licht. In diesem Sinne ist Negativität nichts anderes als die Abwesenheit dieses ozeanischen Feldes der Einheit, dem wir alle angehören, dieses Feldes der Liebe, dieses Feldes des Glücks. Und je mehr Gold du sozusagen aus der Tiefe mit nach oben bringen kannst, umso weniger Negativität ist da. Je mehr Licht du anhäufen kannst, umso weniger Dunkelheit ist da. Mag sein, dass das von Individuum zu Individuum verschieden ist. Aber auch jemand, der leidet und in einem miserablen Leben gefangen ist, kann die Technik erlernen, hinabzutauchen, Licht zu fördern und damit das Leiden irgendwann hinter sich zu lassen.

Ist Ihre Musik auf gewisse Weise eine Anleitung dazu?

Nein. Es ist nur Musik.

CD im ME S. 5, Albumkritik S. 88

DER MENSCH

David Lynch, Jahrgang 1946, ist Hollywoods Mann für Avantgarde. Der Regisseur schuf Filmklassiker wie „Eraserhead“(1977),“The Elephant Man“(1980),“Blue Velvet“(1986),“Lost Highway“(1997) und die TV-Serie „Twin Peaks“(1990-91). Seine Vorliebe für nichtlineare, abstrakte Erzählformen stößt bei der Kritik nicht ausschließlich auf Gegenliebe. Dankenswerterweise bedient der Amerikaner eine ganze Reihe von Themen, an denen man sich geschmäcklerisch abarbeiten kann. Lynch ist nämlich nicht nur Filmemacher, sondern auch Designer, Maler und Musiker. Zuerst schrieb er einige Lieder für andere Künstler sowie Stücke für seine eigenen Filme. Im November 2011 veröffentliche er dann sein erstes Solo-Album CRAZY CLOWN TIME.

DIE MEDITATION

Transzendentale Meditation ist etwas, was David Lynch seit knapp vierzig Jahren praktiziert. Und zwar zweimal täglich, wie er nicht müde wird, zu betonen. Erfunden hat diese Technik spiritueller Erhabenheit niemand Geringerer als Maharishi Mahesh Yogi, besser bekannt als der Beatles-Guru, der die Fab Four in Indien in die Lehre einwies. Lynch selbst begegnete dem sanftmütigen Maharishi in den 70er-Jahren, spätestens seitdem folgt er der Bewegung. Inzwischen hat Lynch sogar eine Stiftung gegründet, die an transzendentaler Meditation interessierten Studenten ein Stipendium ermöglicht. Wer mehr zum Thema „yogisches Fliegen“ erfahren möchte, dem sei der Dokumentarfilm „David wants to fly“ des deutschen Regisseurs David Sieveking angedient. Darin widmet sich der Autor Lynchs Obsession für TM.