David Johansen – funky but chic
Als Sänger der New York Dolls reproduzierte er, angetan mit Stöckelschuhen, Make up, Klunkern und Hakenkreuzen, auf der Bühne Mick Jagger-Allüren. Anfang dieses Jahres nahm David Johansen - drei Jahre nach dem Split der Dolls - erstmals wieder eine Platte auf. Mittlerweile hat sich das amerikanische Publikum auch an seinen neuen Stil gewöhnt: funky but chic, wie ein US-Kritiker in Anlehnung an einen seiner Songtitel schreibt. In den kommenden Wochen will er sich in Deutschland vorstellen, heißt es.
Als David Johansen unseren New Yorker Mitarbeiter traf, war er völlig heiser. Kein Wunder, denn fünf Monate lang war er durch die Staaten getourt, um seine Solo-LP „David Johansen“ zu promoten. „Wir waren den ganzen Sommer über auf Tournee,“ seufzte David zufrieden. Er und seine Band, zu der mittlerweile auch schon wieder sein ehemaliger Dolls-Mitstreiter Sylvain Sylvain (g, p) gehört, hatten sogar dort Erfolg, wo man in den vergangenen Jahren eher desinteressiert auf den Namen Johansen reagiert hatte.
Seit einiger Zeit beschränkt David seine Auftritte jedoch auf die nähere Umgebung von New York, damit er zuhause wohnen kann. Zusammen mit Syl schreibt er diszipliniert neue Songs. Ende des Jahres will er nämlich für die Produktion seiner zweiten Solo-LP ins Studio gehen. Über den Namen des Produzenten schweigt er sich jedoch noch aus: „Eine heiße Sache, wenn es alles so läuft, wie ich es mir vorstelle,“ sagt er nur. In Insiderkreisen spekuliert man auf Jimmy lovine, der in den Record Plant Studios schon mit Patti Smith und Bruce Springsteen arbeitete.
Davids Musik wird heute ebenso zwiespältig aufgenommen, wie einst der Rock’n‘ Roll der New York Dolls. New York’s Underground hatte sie in den Jahren 73/74 innig gepflegt. David, Sylvain, der Gitarrist Johnny Thunders, Bassist Arthur Kane und Jerry Nolan, der Drummer Bill Murcia nach dessen ungeklärtem Tode Ende 1972 ersetzte, waren mit ihren Songtexten nicht gerade zimperlich. Die Schocktherapie wurde durch die schreiende Transvestitenmasche noch verstärkt. Hierzulande gab man sich in der Beurteilung ihrer musikalischen Qualitäten im allgemeinen weniger euphorisch als die Amerikaner. So spricht das Rocklexikon von „hausbackenem Rock’n’Roll“, und ME-Mitarbeiter Werner Zeppenfeld erinnert sich noch in seiner Rezension von „David Johansen“ (ME 7/78) daran, daß die Dolls“ ihr Image sorgsamer pflegten als ihre Songs“. Johansen solo fand er – bis auf den einen oder anderen „sauberen Rocker“ – eigentlich auch nicht viel attraktiver.
Für die Amis dagegen bleibt David Johansen offenbar eine Art Kult. Der Rolling Stone druckte bereits im Mai dieses Jahres die nahezu euphorische Bewertung der Johansen-Solo-LP durch einen gewissen Paul Nelson ab. Dieser Paul Nelson hatte Anfang der 70er Jahre als Artist & Repertoire-Mitarbeiter der Firma Mercury den Vertrag mit den New York Dolls perfekt gemacht. Wen also wundert da die geradezu sentimentale Anhänglichkeit an eine Band, die im Nachhinein als Initiator der Punk-Bewegung gilt? Zwei LP’s („New York Dolls“, ’73 und „Too Much Too Soon“, ’74) brachten sie zusammen. Dann war der Ofen aus. Firma, Management, Gruppe und sogar die Musiker untereinander verstrickten sich in Kommunikationsschwierigkeiten, sodaß die Gruppe 1975 offiziell auseinanderbrach.
David und Syl versuchten danach noch für eine Weile, das Projekt am Leben zu halten – vergeblich allerdings.
Jerry Nolan und Johnny Thunders formierten später dann die Heartbreakers – voll eingeklinkt auf die Neue Welle. Aber besonders ein gewisser Malcolm McLaren setzte seine Erfahrungen mit den Dolls (deren Kostümierung er als Manager ausgebrütet hatte) in England in Geld um: Er kreierte und zerstörte gleichzeitig die kurzlebigste Rock n Roll-Sensation der Welt: Die Sex-Pistols. Doch das ist eine andere Geschichte.
David Johansen indessen hat mit Punk und New Wave nichts am Hut. Bevor er seine heutige Vorliebe für astreinen Soul kultivierte, ging er allerdings durch eine barbarische Phase. Als absolutes Horrorkind, mit dem keiner in der Straße mehr spielen durfte, reagierte er sich ab, indem er die Schallplatten seiner Schwester über dem Feuer einschmolz. Diese Gelüste ließen erst nach, als er vom rauhen Sound der Stones, der Animals, der Pretty Things und Them überrascht wurde.
Das brachte ihn auf die Idee, Platten in Zukunft lieber abzuspielen. Kurz darauf beschloß er, Sänger zu werden, „weil meine Familie ziemlich arm war und ich mir darum kein Instrument kaufen konnte.“
Das Kapitel New York Dolls hatte für ihn an dem Tage begonnen, als Arthur Kane und Billy Murcia auf Superplateausohlen vor seiner Tür standen. „Sie hatten gehört, daß ich Sänger war…“ Die chaotischen Jahre mit den Dolls gehören aber heute zu seiner bewältigten Vergangenheit. „Damals hat jeder auf der Bühne für sich selbst gearbeitet, aber bei den Schallplattenproduktionen hat sich die ganze Band nur nach dem Produzenten gerichtet. Die erste LP haben wir in sechs Tagen eingespielt, am siebenten wurde gemischt. Für das zweite Album ließen wir uns drei Wochen Zeit. Die Entscheidung, welche Titel auf die LP’s kamen, haben wir immer dem Produzenten überlassen, weil wir meinten, daß er das Business halt kenne.“
Die Zusammenarbeit mit Richard Robinson (Flamin‘ Groovies, Lou Reed) gestaltete sich dann, Jahre später, weitaus professioneller. David legte ihm 15 Songs seiner engeren Wahl vor, zwölf davon nahmen sie
schließlich auf. Drei Jahre, in denen er mit verschiedenen Bands unterwegs war, ohne ein Studio zu betreten, haben seinem Selbstbewußtsein als Songschreiber gutgetan. Trotzdem wird er manchmal unsicher: „Manchmal wird es ziemlich hart, wenn ich mich mit den Terminen bis auf die Minute festlege. Ich habe dann schonmal den Eindruck, dummes Zeug produziert zu haben. Aber wenn ich merke, daß andere es gut finden, meine ich, daß ich mich nicht dafür schämen muß.“
Und wenn David sich nicht gerade mit Syl einschließt, um neue Songs zu produzieren, geht er an seinen freien Abenden downtown, um sich bis in die frühen Morgenstunden mit Brandy vollaufen zu lassen, hält sich mit Vorlieben auf offiziellen Parties für andere, befreundete Interpreten (zum Beispiel Cheap Trick) auf oder hört zuhause Soulkassetten. Mittlerweile ist seine Soul-Leidenschaft schon soweit bekannt, daß Fans ihm für seine umfangreiche Sammlung Bänder zuschicken.
„Kennst Du Evelyne Champagne‘ King?“ fragt er und rekelt sich auf dem Riesensofa, das sein L-förmiges Appartment beherrscht. „Sie arbeitete als Putzfrau in einem Studio und wurde von einem Produzenten entdeckt, als sie im Badezimmer beim Saubermachen sang . . .“ Wie schön für sie. Doch David spekuliert im Moment auf attraktivere Ablenkung. Er spricht von seiner Europa-Tournee, die ebenfalls einige Gigs in der BRD einschließen soll. „Ich stehe besonders auf Frankreich“, schwärmt David. „Es ist zwar Europa, doch es ähnelt sehr New York. Keiner schert sich einen Dreck um dich. Du mußt wirklich ein Individualist sein und wissen, wie du dich in dem, was du tust, selbst verwirklichst, um damit klarzukommen; um Freude daran zu haben. Diesmal haben wir jedoch auch Skandinavien in den Tourneeplan aufgenommen,“ erklärt er und grinst: „Ich soll da sehr angesagt sein. Wahrscheinlich glauben die wegen meines Namens, ich sei einer von ihnen!“