David Coverdale: Auf Pump ins Paradies
Alte Brücken hinter sich abzubrechen, war nicht seine Absicht. Dennoch sagte er Frau, Familie und Wahlheimat München ade, um in Amerika ein neues Glück, ein neues Weib und das große Los zu ziehen. Der Exilant wider Willen schilderte ME/Sounds-Redakteur Andreas Kraatz seine Gratwanderung zwischen Pleite und Paradies.
„Ich mußte einfach die Flucht nach vorn antreten, ich mußte ins kalte Wasser springen! Andernfalls wäre ich als Musiker vom Psychoterror der englischen Medien aufgerieben worden. Die haben mich mit ihren Haßtiraden tatsächlich an den Rand des Wahnsinns getrieben.“ Der Exil-Brite und frühere Fan bayrischen Starkbiers, der seit dem zehnmillionenschweren Album „1987“ von Los Angeles aus sein Hardrock-Reich mit eiserner Faust regiert, hat die einstige Schmach noch längst nicht vergessen.
Mit dem Rücken zur Wand, zog sein beleidigtes Ego anno ’87 die Notbremse. Warum die plötzliche Panik, wo doch der eigene Stall weltweit bestens bestellt schien, wo doch noch jedes Album zumindest in den europäischen Charts prächtig florierte?
„Ich hatte keine andere Wahl: Die Band lag nach ihrem letzten Konzert beim ‚Rio‘-Festival praktisch auf Eis – niemand wußte, ob wir uns wieder zusammenraufen würden. Doch statt apathisch Däumchen zu drehen, zog ich kurzerhand einen Schlußstrich unter die Whitesnake-Vergangenheit und setzte alles auf eine Karte. Immerhin stand ich Anfang 1987 mit satten drei Millionen Dollar bei meiner Bank in der Kreide, also praktisch schon mit einem Bein im Ruin. Meine letzte Hoffnung war daher Amerika, das ich mit meinen Platten bis dato nicht hatte knacken können. Es war wie beim Roulette: rot oder schwarz, alles oder nichts.“
Dennoch: Das liebe Geld allein war’s nicht, das ihn in die Offensive zwang. „Ich mußte diese winzige Chance mit beiden Händen ergreifen oder mich weiterhin, privat wie geschäftlich, mit faulen Kompromissen und einem negativen Umfeld abfinden. Aber zum Masochisten habe ich nunmal kein Talent.“
Torschlußpanik nennt der Volksmund das Phänomen, das sich für Coverdale jedoch im amerikanischen Rock’n’Roll-Mekka Los Angeles nicht nur in Wohlgefallen auflöste, sondern ihm gar einen spektakulären zweiten Frühling bescherte. „Ich wollte mit diesem Bruch niemanden verletzen, ich war auch nicht geil auf den Weihrauch eines Superstars. Mir ging’s einzig und allein darum, mit meinen eigenen Händen den Traum meiner Kindheit zu verwirklichen. Und der heißt: ohne jeden Kompromiß das tun und lassen zu können, was ich wirklich will.
Ich muß zugeben: Das Schicksal hat es in den letzten Jahren verdammt gut mit mir gemeint, aber einen dunklen Deal zwischen mir und dem Herrgott gibt’s nicht. Ich habe sehr hart ums Überleben kämpfen müssen.“
Wenn nicht der Herr im Himmel, so sprechen zumindest die Zahlen eine eindeutige Sprache: Zehn Millionen Mal verließ das Album die Preßwerke der Plattenfirma und katapultierte Coverdale endgültig in die Hardrock-Oberliga. Und auch die neue Platte, Slip Of The Tongue tituliert, geht weg wie warme Semmeln. Natürlich hat jeder Erfolg auch seine Väter, und die heißen in Coverdales Fall eindeutig: uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit und offenkundiges Eheglück.
Das holländisch-englisch-amerikanisch besetzte Unternehmen Whitesnake hört auf sein Wort wie Moses im Dornbusch auf die Stimme des Herrn. Als weniger folgsam hingegen erweist sich seine neue Herzensdame, das Ex-Model Tawny Kittaen, die sich einst als Darstellerin im Soft-Porno „Die Geschichte der O“ einen zweifelhaften Namen machte, inzwischen aber Coverdale mit sanfter Gewalt in den Hafen der Ehe dirigierte. Das zarte Geschöpf liegt kränkelnd darnieder und hält ganze Garnisonen von Ärzten auf Trab. Derweil sitzt der holde Gatte geduldig im Hotelzimmer nebenan und faßt seine Glückssträhne noch einmal in Worte: „Dies ist die mit Abstand positivste Phase in meinem ganzen Leben.“