ME.Helden

Unser Mann im Himmel


Wie David Bowie David Bowie wurde und die ganzheitliche Popmusik erfand, wie wir sie lieben. Eine Hymne auf sein Frühwerk, zuerst erschienen in unserem Jahresrückblicksheft 2013.

Es ist genau fünfzig Jahre her, dass David Bowie sich endgültig für den Musikerberuf entschied. Der größte Songschreiber der Welt wollte er werden. Bowie überließ die Band sich selbst und kündigte als Werbezeichner, zog aus Bromley fort und übernachtete in einem Kleinbus vor dem „Marquee“-Club. Drinnen trat er mit den Hooker Brothers und den King Bees auf, trug auf der Bühne die vorauseilende Arroganz des Rockstars vor sich her und setzte Bittbriefe an einflussreiche Plattenproduzenten auf. Im Frühjahr 1964 nahm er mit den King Bees „Liza Jane“ auf, ein erschreckend abgründiges Stück. Die B-Seite der Single war eine verstörende Version von „Louie Louie Go Home“ von Paul Revere and the Raiders, das im Original eine Verneigung war vor „Louie Louie“ von den Kingsmen. Jeder Song, den Bowie jemals eingespielt hat, wirkt chamäleonhafter als jede Figur, in die er sich jemals verwandelt haben soll. Er hat sich alles anverwandelt, was er je zu hören bekam. Im Winter 1965 sang und blies er mit den Manish Boys im Studio „I Pity The Fool“ von Bobby Bland, die B-Seite stammte wieder von ihm, hieß „Take My Trip“ und klang auch so. Da nahm einer den progressiven und erwachsenen Rock vorweg in seiner Jugend, spielte mit der Studiotechnik wie bereits die Beatles und die Beach Boys, und er trug die längsten Haare im Vereinten Königreich und kam damit ins Fernsehen. Nur der Erfolg blieb ihm versagt. Er tourte mit The Lower Third in einem alten Rettungswagen unter Blaulicht durch die britischen Provinzen und spielte mit ihnen in Paris. Mit seiner nächsten Band The Buzz versuchte er sich vorwiegend an eigenen Songs, für die sich ebenfalls kein breites Publikum erwärmen mochte.

David Bowie schwor dem R’n’B ab, er entdeckte eine neue Quelle der Inspiration: Anthony Newley, der im Fernsehen Schlager sang wie „The Candy Man“, ein alt gewordener Kinderstar. Es war die feierliche Ironie, mit der Newley dem Volk seinen Schmalz darbot, die Bowie überzeugte. Das war noch kein Camp. Aber wie Bowie es verstand und seinen eigenen Liedern einschrieb, war es Camp. „Can’t Help Thinking About Me“ entstand im Sommer 1966. „I wish I was a child again / I wish I was secure again“, singt Bowie. Seine Biografen weisen gern Ken Pitt die Schuld zu, einem amerikanischen PR-Profi, dem ehemaligen Manager von Judy Garland. In die sollte Bowie angeblich verwandelt werden – was den künstlerischen Eigensinn des damals 18-Jährigen dramatisch unterschätzte. Man muss nur „Rubber Band“ musikhistorisch hören – es klingt wie ein Kampflied von Hanns Eisler. „The London Boys“ sollte man autobiografisch hören. Erst 1989 brachte Bowie „London Bye Ta Ta“ aus jener Zeit heraus: Das war bereits der Britpop wie ihn Suede und Blur in London erst noch pflegen sollten. Als „The Laughing Gnome“ erschien, am selben Tag wie SGT. PEPPER’S, fiel die Single durch. Die Zeiten wurden ernster. Musiker reisten nach Indien, nahmen LSD und warben für die Liebe. Seine Welttour von 1990 bestritt Bowie mit den Lieblingsliedern seiner Fans nach einer Telefonabstimmung. Zwischen „Heroes“ und „Let’s Dance“ wurde „The Laughing Gnome“ gewünscht. Denn Bowie war immer am besten, wenn er quer zum herrschenden Zeitgeist stand.