David Bowie im Interview: The Man Who
Wenn man sich David Bowie gegenübersetzt, braucht man erst mal ein Minütchen. Egal, wie viele Fotos man im Laufe der Jahre davon gesehen hat – auf diese Augen ist man nicht vorbereitet, und man muss sich ein bisschen zusammenreißen, ihn nicht anzustarren. Und egal, wie viele gut gelaunte joviale Bowie-Interviews aus jüngerer Zeit man gelesen hat, man ist auch nicht ganz vorbereitet auf das wahre Ausmaß der gut gelaunten Jovialität, die einem hier entgegenschwappt. Mit einem Tässchen Tee schlendert Bowie aus der Kochnische einer Suite des Thompson Hotel im New Yorker Künstler-Viertel Soho. „Hi, l’m David“ {„Daivid“ sagt er, nach Jahrzehnten in den USA immer noch mit schwerem Londoner Akzent), ein Händedruck, eine launige Bemerkung über den Straßenbaulärm von draußen, dann fläzt er sich auf das Sofa. “ Und? Gefallt dir mein neues Album?“}* doch. „Dann werden wir gut miteinander auskommen.“ Bowie lacht. Er wird viel lachen und kichen albern wirken. Man hat den Eindruck eines Mannes, der in sich ruht, seine Grenzen in 30 Jahren Medienerfahrung abgesteckt hat und es genießt, innerhalb dieser Grenzen den Charmebolzen zu geben. Das metallicblaue Minidisc-Gerätläuft. „EinetolleFarbeistdas! , lobt Bowie. Äh, danke.
Stimmt es, dass Erich Heckeis Gemälde „Roquariol“ als Inspiration für die Cover von „Heroes “ und Iggy Pops „The Idiot“ diente?
„Heroes“ nicht, das war „Junger Mann , ein Holzschnitt von Heckel. Aber „The Idiot“ haben wir direkt von „Roquariol“ abgeschaut.
Das Bild wurde letzte Woche aus dem „Die Brücke -Museum in Berlin gestohlen.
Ah! Richtig, davon habe ich gehört! Als ich damals in Berlin gewohnt habe, habe ich immer gedacht, wie leicht man aus diesem Museum etwas hätte mitgehen lassen können. Es gab keine Wachmänner, die Bilder waren nicht einmal an der Wand befestigt. Die vertrauten da sehr auf die Ehrlichkeit der Besucher. Ob ich was mit dem Raub zu tun hatte? Äh … ich habe keine Ahnung, was du meinst! Haha!
Du hast oft gesagt, die Zeit in Berlin sei wie eine Therapie für dich gewesen. Hast du danach irgendwann noch einmal den Wunsch verspürt zurückzukehren?
Das wäre sinnlos gewesen, eine Lebensphase kann man nicht einfach nochmal zurückholen. Seit knapp zwölf Jahren lebe ich ja in New York, das auf seine Art gewisse Parallelen mit Berlin hat. Diese Art von Community. Den Leuten hier ist egal, ob du prominent bist, die stehen da drüber, vor allem downtown. Uptown ist es ein bisschen anders, da gibt’s viele Touristen, (mit Proll-Stimme) „Hey! David Bowie! Wir sind aus Texas!“ -(mit Bowie-Stimme) „Ah. Okay. Fuck off.“ Haha! Berlin war sehr inspirierend, die ganze Stadt war eine Muse. New York hat das auch, du wirst hier ständig auf irgendeine Art stimuliert.
Ist es wahr, dass du hier mit der U-Bahn fährst?
Oh ja. Obwohl, zugeben, nicht mehr so viel seit 9-11. Weil jeder irgendwie auf den nächsten Knall wartet.
Du warst in Upstate New York, in einem Studio in der Nähe von Woodstock, als es passierte.
Ja, genau. Aber meine Frau war hier. Ich habe den brennenden ersten Turm im Fernsehen gesehen und sofort angerufen, weil wir nicht weit weg vom World Trade Center wohnen. Ich sagte: „Was zum Teufel ist los? Das sieht furchtbar aus!“, und sie: „Ja, ich bin gerade in der Küche und mache Frühstück“ – für unser Baby Lexy – „und sehe das da draußen“, und plötzlich schreit sie „Mein Gott! Jetzt hat es den zweiten Turm erwischt!‘ In dem Moment war mir klar, dass das ein Angriff sein musste. Ich sagte: „Sieh zu, dass ihr da rauskommt!“
Konnten sie denn raus?
Sie lief mit dem Kinderwagen 15,20 Blocks Richtung Uptown und blieb da drei Tage lang bei Freunden. Ich sagte: „Kommt doch nach Woodstock“, aber meine Frau behält immer einen sehr klaren Kopf: „So etwas wird nicht ein zweites Mal passieren.“ Ich meinte, okay, dann komme ich runter, aber sie war resolut: „Nein, nein. Arbeite weiter.“ Als ich dann fünf Tage später nach Manhattan kam, ging es da zu wie in einem Polizeistaat, überall Barrikaden. Um in meine Straße zu kommen, musste ich da durch, (mit Geschäftiger-Polizist-Stimme) „Mr. Bowie? Können Sie sich ausweisen?“ – „Sie haben doch eben meinen Namen gesagt!“ – „Ja, aber ich muss trotzdem einen Ausweis sehen.“ Meine Frau musste zur Absperrung kommen, reichte mir den Pass rüber, dann konnte ich durch. Blöd, was? (lacht) Die Leute in der Stadt haben sich recht gut gefangen, die sind hart im Nehmen. Aber man merkt eine Ängstlichkeit in ihren Augen.
Wie stehst du zu alt dem patriotischen Gemache ?
Ah, gefällt mir gar nicht. Ist mir sehr unangenehm.
Du hast aber beim “ Concert For New York gespielt.
Von den ganzen Briten, die letztendlich im Line-up waren, bin ich der Einzige, der auch in New York wohnt. Da hat natürlich sofort das Telefon geklingelt: „Hallo, wir machen da so ein Konzert…“ Haha.
Also warst du fast gezwungen zu spielen ?
Ich hätte auch absagen können. Aber das wäre unschön gewesen. Kleingeistig. Außerdem bin ich beim Spazierengehen oft an der Feuerwache um die Ecke vorbeigekommen, und die Jungs da waren immer hin und weg mit Lexy. Sie haben sieben Männer verloren. Also hatte das Ganze auch was Persönliches. Die Organisatoren wollten, dass ich die Show mit „Heroes“
eröffne. Ich sagte: „Hört mal, der Song handelt von zwei Betrunkenen an der Berliner Mauer. Was hat das hiermit zu tun?“ Ich habe dann mit Paul Simons „America“ angefangen, in dem es darum geht, wie jemand zum ersten Mal Amerika entdeckt. „Heroes“ ist ein toller Moral-Booster, aber „America“ mit seiner Atmosphäre von Verunsicherung passte vom Gefühl her viel besser, fand ich.
Kann es sein, dass das neue Album „Heathen“ die beiden poppigsten Bowie-Songs seit, sagen wir, „Modern Love“enthält?
Einer ist „Everyone Says Hi‘. Der andere?
,A Better Future, mit dieser „Walking Back To Happiness „-Keyboardline …
Die ist von Tony Visconti! Das sage ich ihm! (lacht) Ja, diese Songs sind poppig. Aber der Text von „A Better Future“ ist ja mehr eine Drohung an Gott. Ich wollte mit diesem Album gewichtige Themen anpacken und sie auf ein menschliches Maß eindampfen. Spirituelle Fragen anzugehen kann leicht ins Pompöse umkippen, kitzlige Angelegenheit. Aber ich wollte über solche Dinge reden.
Ein Thema ist Angst.
Angst. Isolation. Verlassensein. Diese Themen ziehen sich durch meine gesamte Arbeit, ich habe sie eigentlich auf jedem Album in irgendeiner Weise aufgegriffen. Ich bin noch immer auf dieser spirituellen Suche. Vor der Arbeit an dem neuen Album habe ich mich eingehend mit diesen Themen beschäftigt und dachte: „Ich muss sie mittlerweile völlig ausgewrungen haben!“ Aber dann schaue ich mir Autoren an, die ich mag, und die kreisen auch immer um diesen im Grunde kleinen Korb von Themen. Man nähert sich ihnen immer wieder aus anderen Blickwinkeln, findet neue Aspekte. Das ist mein Beruf. ->
Über die Texte deines letzten Album „hours… „hast du gesagt, sie seien reine Fiktion, und du bist der Schauspieler, dessen Job es ist, sie mit Emotionen zu füllen.
Ja, aber das hier ist jetzt ein sehr persönliches Album. Ich glaube, die Texte auf „Heathen“ sind alle recht repräsentativ dafür, was mir so durch den Kopf geht.
Was hast du für Ängste?
Wohl nicht recht viel andere als jeder andere. Dass ich nicht begreife, warum wir hier sind. Dass ich nicht weiß, wo wir hingehen. Dass ich Gucci und Armani nicht auseinanderhalten kann. Bedeutsame Fragen eben, (lacht) Die Angst vor Einsamkeit ist, glaube ich, sehr stark in mir. Und die Sorge um meine Familie, mehr als alles andere. Sehr traditionelle Ängste also.
Bei alten Fotos von mir finde ich es oft schwierig, die Person darauf als „ich „zu begreifen. Welche Probleme musst du ols., Chamäleon “ da erst haben ?
(lacht) ich finde es oft schwierig, noch nachzuvollziehen, was im Kopf dieser Person vorging, die ich da sehe. Ich kann mich in etwa daran erinnern, wie es mir mit 24,25 ging. Ich erinnere mich, wie begeistert ich von allem war. Sehr, sehr schwer fallt es mir, das für die Zeit nachzuvollziehen, in der ich all die Drogen genommen habe. Es ist extrem schwierig nachzuvollziehen, was genau ich damals gefühlt habe. So in den 80-ern holt mein Gedächtnis dann auf, ich kam langsam wieder zu mir. Ich erinnere mich, dass ich es toll fand, wieder am Leben zu sein. Aber auch daran, wie schmerzhaft es war. Mitte der 80-er war ich furchtbar unzufrieden, als Künstler, privat – da hat nichts gestimmt. Ich kann mich erinnern, wie enttäuscht ich war – und dann, wie so um 1989/90 plötzlich alles anfing zusammenzupassen, wie ein Neuanfang. 1990 lernte ich auch meine Frau kennen. Und meine Musik veränderte sich, Tin Machine wurden gegründet… alles lief gut. Und seither geht es nur bergauf.
Du hast dein Gedächtnis einmal mit Schweizer Käse verglichen.
(lacht) Richtig, ja. Der schlimmste Teil war aber die Zeit in der zweiten Hälfte der70-er.
In der du deine wichtigsten Alben gemacht hast.
Ja, aber das Interessante ist, dass ich bei den Aufnahmen clean war. Das muss so ’76/ 77 gewesen sein … die „Low“-Periode… ich kann mir Daten so schlecht merken. Zu der Zeit habe ich hart daran gearbeitet, clean zu werden. Ich bin wieder etwas in die Sache reingerutscht, als wir fertig waren. Aber zu den Aufnahmen wollte ich wirklich clean sein, weil ich mit Brian Eno arbeitete und wusste, wie sehr er gegen Drogen war. Da dachte ich, das ist ein guter Grund, es zu versuchen. Jim (Osterberg alias Iggy Pop, mit dem Bowie in Berlin war) und ich haben verzweifelt versucht, clean zu werden. Dass man sich dabei professionell helfen lassen konnte, wussten wir damals nicht. Wir wussten nur, dass man sich in eine teure Klinik in Los Angeles einchecken konnte, um gesund zu werden. Also haben wir uns einfach gegenseitig auf die FingeT geschaut, so „Du brauchst heute nichts, Jim! Hör auf! Geh weg vom Telefon!“ (lacht). So auf die Art.
Eine lustige und eine weniger lustige Drogenstory?
Oh … (lacht) Alle weniger lustigen Drogenstories wiegen bei weitem jede lustige auf. Hmm. (grinst) Ich glaube, die lustigste … Okay. Hier ist eine gute, die mir gerade einfällt: Als ich damals in L.A. gelebt habe, stand ich in Kontakt mit einer Professorin an der UCLA, Thelma Moss. Sie erforschte die Auswirkungen von Kirlian-Energie und hatte mit ihren Studenten eine exzellente Kirlian-Kamera entwickelt.
Kirlian-Energie?
Das ist die Energie, die unser Dasein umgibt, die elektrischen Impulse, die Körper und Dinge aussenden. Die Russen haben die ersten Fotos davon gemacht, die UCLA stellte dann einen Forschungsetat und Professor Moss hat diese fantastische Kamera entwickelt. Ich hatte mir eine ausgeliehen und war völlig begeistert: Ich habe Kruzifixe fotografiert. Und Drogen. Ich wollte ihre Energie sehen. Unglaublich. Dann lud mich Moss in ihr Institut ein, weil sie eine Kamera für mich gebaut hatte. Ich war total aus dem Häuschen. Und bei der Heimfahrt verpasste ich meine Ausfahrt (kichert) und fuhr und fuhr und fuhr – bis rauf nach SEATTLE! (lacht laut los) Ich habe ab und zu getankt, aber es kam mir nicht in den Sinn, dass es von der Uni bis zu mir nur 15 Minuten waren.
Was für Substanzen waren da im Spiel ?
Eine Combo aus Koks und Speed. Ich war seit Tagen wach gewesen und einfach … ich meine, ich konnte die Straße gar nicht klar sehen, ich war total durch. In Seattle wurde mir klar, was los war. Ich nahm mir ein Zimmer und fuhr am nächsten Tag zurück. Ich machte mir echt Sorgen. Ziemlich schlimm. Aber rückblickend auch lustig. (Pause; kokett grinsend) Obwohl: Eigentlich nicht, oder?
Doch, eigentüch schon.
Die schlimmen Geschichten sind definitiv nicht lustig. Ich würde da lieber nicht… Es gab da auch Tote. Wirklich keine tolle Sachen. Da sind einige abgefuckte Dinge gelaufen. Wirklich unschön (grinstgequält und knirscht mit den Zähnen) Das meiste davon löscht man unterbewusstaus dem Gedächtnis.
Arbeitest du daran, deine Wissenslücken zu schüe-Den ? Für eine Autobiographie zum Beispiel ?
(entschieden) Absolut keine Chance. Nein, nein. Die letzten Jahre habe ich viel geschrieben, Essays für Zeitungen und Magazine. Das hat auch Spaß gemacht, und ich glaube, dass ich irgendwann Substanzielleres schreiben werde – nur sicher keine Autobiographie.
Kein Interesse zu erzählen, „wie es wirklich war ?
Dazu bin ich zu beschäftigt (lacht). Und ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass sich jemand darum schert. Wo man hinschaut, gibt’s heute Biographien. Irgendwann hat ein Produzent rausgefunden, wie billig Bios zu produzieren sind, und seitdem laufen sie auf allen Kanälen, in einem fort. Es ist, wie (derMedienphüosoph) Baudrillard in seinem Buch „The Illusion OfThe End“ sagt: Bald wird es keine Vergangenheit mehr geben. Wir haben sie aufgezehrt.
Weil alles immer wieder durchgekaut wird?
Ja, genau. Die Menschen haben immer weniger Sinn für die Vergangenheit und für die Zukunft. Wir werden reingezwungen in so ein industrialisiertes Jetzt. Wir werden zu western-isierten Buddhisten, ob wir wollen oder nicht! (lacht; zum Plattenfirmenmann, der gekommen ist, um rigoros und eigenhändig das toll metallicblaue Minidisegerät auszuschalten:) Na, wie gefällt dir das? „Industrialisiertes Jetzt“? Denk mal drüber nach! Hahahaha! www.davidbowie.com