Berlin Calling – über eine Stadt, die David Bowie nie ganz losgelassen hat


Ulf Lippitz über die Berliner Zeit von David Bowie, seine Alben-Trilogie und das Verhältnis zu Lou Reed und Iggy Pop.

Wie die Bar selbst zur Legende geworden ist, bemerkt der Gast spätestens, wenn er an einem der Holztische in der aktuellen Ausgabe des schwul-lesbischen Stadtmagazins „Siegessäule“ blättert. Im Interview erzählt der Musiker Wolfgang Müller (Die Tödliche Doris), dass früher keine Frauen im „Anderen Ufer“ arbeiten durften – und dass im „angeschwulten ‚DNC‘ in der Damaschkestraße“ die Türsteher David Bowie nicht erkannten und nicht hineinließen.

So hat Bowie mehr Zeit, sich der Kunst zu widmen. Er schaut im Brücke-Museum vorbei, huldigt dem Expressionismus und kauft beim Galeristen Artur Vogdt eine Vorstudie zu Emil Noldes „Die Heiligen Drei Könige“ und Ernst Heckels Farbholzschnitt „Weiße Pferde“ – „zu unglaublichen Preisen“, wie er später in einem Interview bekennt.

Mit seinem schwarzen Mercedes fährt er in den Wagen des Mannes hinein, immer und immer wieder, minutenlang.

Der Sänger radelt durch die Stadt, nimmt den Bus, wird Teil der Stadt. Die Berliner bedrängen ihn nicht, auch das eine Qualität, die Bowie sehr schätzt. Er führt wieder ein halbwegs normales Leben.

Spektakulärer sind die Anekdoten, die man sich aus jenen Tagen erzählt. David Bowie sieht am Kurfürstendamm einen Dealer, der ihn übers Ohr gehauen hat. Mit seinem schwarzen Mercedes fährt er in den Wagen des Mannes hinein, immer und immer wieder, minutenlang. Bowie besucht 1978 die Eröffnung des Kreuzberger Punk-Clubs „SO 36“ im weißen Anzug und mit getönter Sonnenbrille und erzählt sich mit Iggy Pop Judenwitze. Bowie besucht im Winter 1978 den angesagten Club „Dschungel“ am Winterfeldtplatz, am selben Abend kommt auch Michel Foucault, und keiner erkennt den anderen. Bowie schmeißt Iggy Pop aus der Wohnung, weil der ständig aus dem Kühlschrank die Lebensmittel klaut, die der Brite in der Feinkostabteilung des KaDeWe gekauft hat.

Immerhin darf der blond gefärbte Pop in eine Wohnung im Hinterhof einziehen – und im Studio ist er nach wie vor dabei. Aus den Hansa-Studios an der Köthener Straße gibt es auch Geschichten zu erzählen. Damals lagen die Studios in Sichtweite der Mauer, kaum 50 Meter entfernt sah man die Wachtürme der DDR-Grenzsoldaten. Eines Abends, die Fenster waren weit geöffnet, der Sänger übt ein Lied ein, er bemerkt die Grenzer auf den Wachtürmen und richtet die Scheinwerferlampe des Studios auf die Soldaten. Die Mitarbeiter des Studios gehen in Deckung. Schließlich herrscht Kalter Krieg, die DDR-Führung unter Erich Honecker ist nicht als kunstsinnig bekannt. Wolf Biermann wurde 1976, im Jahr von Bowies Ankunft, ausgebürgert. Eine Reihe Prominenter folgten – Nina Hagen, Katharina Thalbach, Manfred Krug. Aber kein Schuss geht los an jenem Abend. Zum Glück.

Im Hansa-Studio nimmt David Bowie HEROES auf, im Meistersaal, einem ehemaligen Ballsaal aus den 20er-Jahren, in dem Jahre später Bands wie Depeche Mode, U2 und R.E.M. dieselbe Energie einzufangen suchten. Der Legende nach sah Bowie ein Paar, das sich jeden Tag zu einem Stelldichein an diesem unwirtlichen Ort traf. Im „NME“ staunt er im November 1977: „Von all den Orten, an denen man sich in Berlin treffen kann, warum sucht man sich da ausgerechnet eine Bank unter einem Wachturm an der Mauer aus?“

https://www.youtube.com/watch?v=Fmw7gSDRnTA

Bowie-Biograf Tobias Rüther kontert: „Von all den Orten, an denen man genesen, clean werden und Musik aufnehmen kann, warum sucht sich Bowie ausgerechnet Berlin aus?“ Iggy Pop jedenfalls scheint das Rehab-Programm nicht aufrechtzuerhalten. Diverse Male berichten Zeitzeugen, wie der amerikanische Sänger sie nach Dealern befragt und im Weiß-der-Teufel-Rausch durch die Kneipen zieht. Bowie soll für seine Verhältnisse enthaltsam gelebt haben. Nur Bier war im Studio erlaubt, keine harten Drogen, er selbst gibt zu, in Berlin von der Kokainsucht heruntergekommen zu sein. Das ist nur mit einer harten Disziplin zu erklären, in einer Stadt, in der Christiane F. am Bahnhof Zoo steht und wie selbstverständlich Heroin spritzt.

In Berlin kommen Musiker zu nichts, weil sie keinen Druck haben.

David Bowie hat in nur eineinhalb Jahren drei Platten gemacht, zwischendurch war er für Tourneen und Promotion gar nicht in der Stadt, er muss also eisern an seiner Kunst gearbeitet haben – für ein Output, das heute normalerweise über wenigstens sechs Jahre gestreckt wird. Disziplin ist das Schlüsselwort für den Berliner Aufenthalt.

Dass man diese braucht, um in einer Metropole etwas zu schaffen, die gehörig Abwechslung und Ablenkung bietet, das wird immer wieder diskutiert. Der australische Musiker Robert F. Coleman hat für die „New York Times“ einen Artikel geschrieben, der seine Leidensgeschichte in Neukölln 2011 erzählte: große Hoffnungen bei der Ankunft, billiger Lebensunterhalt, viele Drogen, viele Partys, kaum Zeit für eigene Musik. In Berlin kommen Musiker zu nichts, weil sie keinen Druck haben.

David Bowie hatte diesen Druck – wenn auch selbst auferlegt. Er war aufgrund einer juristischen Auseinandersetzung mit seinem früheren Manager fast pleite, wollte künstlerisch mit seinen Alter Egos brechen. Kein Ziggy Stardust mehr, kein Thin White Duke, nur noch Bowie. Er tritt nicht mehr mit Make-up auf wie eine schlecht gespachelte Drag-Queen, er zeigt sich mit dunkler Lederjacke auf dem Cover zu HEROES – der Berlin-Uniform der späten 70er- und frühen 80er-Jahre.

Seine radikale Abkehr ermöglichen auch neue musikalische Erfahrungen. Die Musik von Kraftwerk, Can und Neu! beeindruckt ihn, für LOW spielt er eine Plattenhälfte von vertrackten Instrumentalstücken ein, die viel mit Krautrock zu tun haben. „A New Career In A New Town“, heißt ein Titel, knapp drei Minuten lang, Gitarrenrock gespickt mit Synthesizer-Sequenzen. „Warszawa“ ist ein sechs Minuten langes Instrumental, das dem Ambient nahekommt, an dem Produzent Brian Eno noch jahrzehntelang werkelt.

Und dann verlässt er 1978 Berlin. Ungeplant passiert es, das genaue Datum lässt sich im Kalender des viel beschäftigten Superstars nicht ermitteln, der Mietvertrag läuft angeblich noch bis 1981. Vorher hat er noch einen Film in Berlin gedreht, „Schöner Gigolo, armer Gigolo“ unter der Regie von David Hemmings. Er wird ein Flop, zerrissen von der Kritik – und mehr braucht man fast nicht zu sagen, außer dass Marlene Dietrich einen denkwürdigen Auftritt hat.

https://www.youtube.com/watch?v=dpOWwGbRd_8

Bowie nimmt LODGER schon in der Schweiz auf, er bestreitet eine Welttour und erhält 1979 das Angebot „Der Elefantenmensch“ auf amerikanischen Theaterbühnen zu spielen. Ein großer Berlin-Moment kommt für ihn erst wieder, als er Pfingsten 1987 zur 750-Jahr-Feier vor dem Reichstag spielt. Er begrüßt die ostdeutschen Fans, die von der anderen Seite auf Dächern und von Fenstern nahe der Mauer ihrem Idol zuhören. Plötzlich beginnen einige von ihnen, auf das geschlossene Brandenburger Tor zuzurennen.

Der Liedermacher Stephan Krawczyk erinnerte sich im „Tagesspiegel“: „Auf der Höhe der Humboldt-Universität war nicht zu erkennen, wo der Mittelstreifen begann und die Straße aufhörte, überall standen junge Leute, kaum einer älter als 40 Jahre, leicht bekleidet, nur in Jeans und T-Shirts. Wenn es in der DDR Menschenaufläufe gab, waren sie organisiert und geordnet. Das hier war anders. Die Menge brüllte:, Die Mauer muss weg!‘ Ein unerhörter Vorgang.“ Und einer, der sofort gestoppt wird. Sicherheitskräfte schreiten ein, Dutzende werden verhaftet.

Zwei Jahre später erzwingen die Ostdeutschen die Öffnung der Mauer. An der Bornholmer Brücke, auch Bösebrücke genannt, geht der erste Schlagbaum am 9. November 1989 hoch. David Bowie war nicht dabei, er singt trotzdem darüber – in seiner Single von 2013 „Where Are We Now?“

Und wo sind sie jetzt? Lou Reed arbeitet nach wie vor schlecht gelaunt in New York, Iggy Pop lebt im Rentnerparadies Florida, Romy Haag tourt auf Kleinkunstbühnen der Bundesrepublik, Christiane F. soll in Berlin rückfällig geworden sein – und David Bowie? Träumte bis zu seinem Tode in Manhattan von Schöneberg.