Dave Stewart: Spiritistische Sitzung


Jahrelang war er immer bloß für andere da. Doch jetzt denkt Dave Stewart nur an sich und seine Spiritual Cowboys. ME/Sounds Redakteur Manfred Gillig protokollierte.

„Also sprach Dave Stewart: „Ich würde es nicht religiös nennen, was wir machen, sondern eher spirituell. Wir benutzen so viele spirituelle Bezugspunkte, weil wir glauben, daß genau das heutzutage fehlt. Ich sage nicht, Religion sollte die Vernunft ersetzen, aber ich plädiere lediglich für ein natürliches spirituelles Feeling. „

Das war an einem sonnigen Hochsommertag im Juli 1989 an der Cóte d’Azur. auf der Terrasse seiner schmucken Strandvilla. Stewart sprach von der letzten Platte der Eurythmics. Und jetzt, ein gutes Jahr später, wundert er sich, daß ihn schon damals das Thema Spiritualität beschäftigte: „Zu meinem ersten Soloalbum habe ich mich erst einige Monate später, im September, entschlossen. Am Ende der großen Eurythmics-Tournee sagte ich mir Jetzt oder nie und ging sofort ins Studio, um Nägel mit Köpfen zu machen.“

Dave Stewart hat nämlich feste Gewohnheiten: „Manche Leute legen sich erst einmal genüßlich ins Bad, um sich zu entspannen, wenn sie von einer Reise nach Hause zurückkehren. Ich hingegen brauche sofort einen Recorder, um irgendwas aufzunehmen – ob das nun Mick Jagger ist oder die Putzfrau, die gerade das Haus auf Vordermann bringt. Kein Quatsch: Ich habe tatsächlich schon mal einen Track mit meiner Putzfrau aufgenommen.“

Nach der Eurythmics-Tournee stand die Putzfrau wohl nicht zur Verfügung. Stattdessen trommelte Stewart seine engsten Freunde zusammen, um endlich nur an sich zu denken. Es wurde einfach Zeit, meint er: „Solange ich zurückdenken kann, habe ich immer nur etwas für andere gegeben – so pathetisch das jetzt klingen mag. Ich arbeitete immer mit anderen zusammen – ob das nun Annie war oder der Typ, der mein Haus angestrichen hat und auch einmal eine Platte machen wollte. Jetzt endlich, mit 37, habe ich mein eigenes Ding durchgezogen.“ Ein knappes Lachen erhellt seine düstere Miene.

Dave Stewarts eigenes Ding straft ihn zumindest in einem Punkt Lügen: Der Mann kann tatsächlich singen. Daran mochte er all die Jahre über selbst nicht glauben. Er hielt sich lieber als Produzent im Hintergrund und unterstützte Annie Lennox oder andere Kollegen mit seiner Studio-Erfahrung. Oder er schmiß sich für die Live-Auftritte der Eurythmics in die Pose des genialen Gitarreros, der besser mit dem Vokabular der singenden Saiten umzugehen wußte als mit seinen Stimmbändern. Erste vokale Gehversuche spielte er Annie Lennox vor: „Sie war wie alle anderen, die ich damit konfrontierte, ziemlich überrascht. Ich selbst aber mag meine Stimme immer noch nicht; ich finde, sie hört sich reichlich seltsam an.“

Die Überraschung der Testhörer verwandelte sich offensichtlich bald in Ermutigung. Denn Dave blieb am Ball. Und jetzt sitzt er in einem Münchner Hotel am runden Tisch, um alles über sich und seine Spiritual Cowboys zu erzählen.

Er wirkt blaß und verschlossen: seine Augen verbirgt er hinter einer schwarzen Sonnenbrille. Er spricht leise und stockend, und verzieht dabei keine Miene. Nur langsam taut er auf; erst allmählich verliert sich seine Einsilbigkeit. Er wirkt noch immer ein wenig wie der schmächtige Teenager aus Sunderland im Nordosten von England, der mit einer viel zu großen Gitarre in die Konzerte seiner Idole zu pilgern pflegte, um schüchtern, aber hartnäckig von ihnen zu lernen: „Ich sah Jimi Hendrix, als er vor 15 Leinen im Bay Hotel in Sunderland auftrat. Als ich 16 war, brachte mir Stefan Grossman vor einem Pub bei, wie man Bottleneck-Citarre spielt. Und ich spielte in der Garderobe mit Tyrannosaurus Rex.“

Heutzutage pilgern die berühmten Kollegen zu Dave Stewart und beschränken sich dabei nicht aufs Studio. „Die Traveling Wilburys nahmen ihr Album bei mir in LA auf; es kostete sie keinen Pfennig. Harry Dean Stanton lebt praktisch in meinem Haus in LA, genauso wie mein Nachbar und meine gesamte Band, wenn sie darauf warten, daß mein Studio mal wieder frei ist.“ Er fühlt sich nicht als Star, will sich nicht von der Umwelt abschotten und hält nichts von ambitionierten Ego-Trips. Nur seine Zeit verbringt er jetzt mit anderen Freunden als damals in Sunderland – sie heißen Bob Dylan oder George Harrison. Und es scheint, als könne er es immer noch nicht so recht fassen, in welche Gesellschaft er da geraten ist: „Das fasziniert mich nach wie vor. Siell dir vor, da saßen Bob Dylan, Roy Orbison und George Harrison in meiner Küche und schrieben zusammen Songs. Und die ganze Zeil über dachte ich, Momentmal, ich bin doch bloß dieser Knabe aus Sunderland, das darf doch alles nicht wahr sein.“

Stewart zeigt Dankbarkeit und Bewunderung auf seine ganz besondere Art: Für sein Album schrieb er Songs, die sich bisweilen wie eine Parodie der illustren Freunde anhören und deshalb zunächst einmal Gefahr laufen, mißverstanden zu werden. „Ich bin mir bewußt, daß sich viele Hörer fragen werden, was das soll. Wieso singt der Mann wie Bob Dylan? Wieso nimmt er ein Stück auf, das auch von Leonard Cohen stammen könnte? Der Song ‚This Linie Town‘ ist eine Reverenz an die Beatles, und ,Love Calculator‘ ist eindeutig von Roy Wood und Gary Glitter beeinflußt.“ Aber genau so will er sein Projekt verstanden wissen – als Hommage an seine Heroen: „Auf diesem Album habe ich alle meine Favoriten verewigt und über Sachen geschrieben, die mich schon immer stark beschäftigten. Denn ich wuchs in den 60er Jahren auf, in einer für die Rockmusik existentiell wichtigen Zeit.“

Für Stewart drückt sich die Quintessenz des Rock ’n‘ Roll im Lebensstil genauso aus wie in seiner Musik. „Um es vorsichtig zu formulieren: Ich lebe chaotisch. Ich halte nichts von der sogenannten feinen Lebensart oder gar vom reichen Müßiggang. Und was ich habe, teile ich mit Freunden. Ich habe in all den Jahren eine Menge Geld verpulvert, mehr als meine Häuser in London und Cannes wert sind. Aber das juckt mich nicht. Bei mir ist eben immer Open House.“

In Cannes schaut wahrend der Abwesenheit des Besitzers ein Maler nach dem Rechten. Er hat die kunstvoll bestickten Jacketts und Hosen entworfen, die Dave im großen Requisitenkoffer zum Interview und zur Foto-Session mitgebracht hat. Psychedelische Muster. Gesichter und Schriftzeichen auf den weißen und schwarzen Prachtjakken erinnern an ägyptische Stelen und christliche Ikonen, an Hieroglyphentafeln, altgermanische Runen oder sumerische Keilschrift-Relikte – so sieht die Kalligraphie der Spiritual Cowboys aus. „Die Hand mit dem Auge, die ägyptischen und religiösen Symbole, das Kreuz – ich weiß, daß ich damit die Symbolik übertreibe. Aber so wird klar, daß die Spiritualität, die ich meine, nichts mit einer bestimmten Religion zu tun hat.“ Die Klamotten mit dieser Symbolik sind zu bizarr, um später als Einzelstücke im Rock-Museum zu vergammeln, findet Dave. Und deshalb sollen sie demnächst als Mode-Kreationen à la Stewart in Serie gehen und käuflich zu erwerben sein.

Für die Foto-Session schmeißt sich der Künstler in Schale. Und bereitwillig macht er alles mit. was der Fotograf von ihm verlangt. Er zieht das weiße Hemd aus – auf dem Oberarm prangt eine Tätowierung mit dem Namen seiner Gemahlin Siobhan – und posiert mit dunkler Brille vor einer schwarzen Jacke mit dem Emblem der Spiritual Cowboys, das an kabbalistische Symbolik wie an den Kult der blauen Auster und an ein Wappen der Heils Angel erinnert. Und Dave erklärt, was die vielen Ringe an seinen Fingern bedeuten: „Ich habe sie alle geschenkt bekommen. Der hier ist von Bob Dylan, dieser von George Harrison, der von Leonard Cohen, und diesen hier hat mir die Prinzessin von Thailand gegeben.“

Er drapiert einen weißen Anzug auf dem runden Tisch und legt sich dann selber auf die Platte. Regungslos wartet er. bis der Fotograf eine Leiter aufgebaut hat. um ihn direkt von oben in den Sucher zu kriegen – der Mann, der vom Himmel fiel und mitten in einer spiritistischen Sitzung materialisierte. Doch die Stühle rings um den Tisch herum sind leer.

Dennoch paßt diese Szene irgendwie zur Platte der Spiritual Cowboys. Denn Stewart hat mehr als eine Hommage an seine Heroen aufgenommen. „Bob Dylan und Leonard Cohen, George Harrison, Lou Reed – sie alle waren bei den Aufnahmen im Studio. Und alle sagten ‚yeah, that’s it‘ was natürlich mein Selbstbewußtsein stärkte. Aber sie tauchen nicht auf der Platte auf. Doch ihr Einfluß läßt sich trotzdem nicht überhören. Es war wie eine besondere Session. Ich kam mir vor, als würde ich die Fackel ihrer Musik tragen – dieser Musik, die wirklich was zu sagen hat.“

Die leibhaftigen Musiker auf dem Album sind eher unbekannte Größen, von Olle Roma, dem langjährigen Drummer der Eurythmics, und vom zweiten Schlagzeuger Martin Chambers. früher bei den Pretenders, einmal abgesehen. „Man erwartete, daß ich mit einer Supergruppe ins Studio gehen würde – so eine Art von Rambling Wheelberrys. Aber jeder mit nur einem Hauch von Intelligenz wird einsehen, daß das wohl der größte Fehler gewesen wäre, den ich hätte machen können.“

Jetzt taut er langsam auf und nimmt zwischendurch sogar einmal die schwarze Brille ab: „Die Spiritual Cowbovs sind für mich purer Rock ’n Roll. Und mit diesem Begriff verbinde ich die Rolling Stones, die Kinks, Velvel Underground und The Clash, die Sex Pistols und Can, Rockpile, The Smiths und The Cure. Ich könnte auch singen“ – und er singt jetzt wirklich – „here I am, driving in my pink cadillac, I’m very successful hohoho, und so den falschen Mythos einfach weiterstricken. Kunst hatte für mich immer etwas Anarchisches. Künstler sollten sich nicht kaufen lassen. Es macht mich krank, wenn Michael Jackson als Inhaber der Songrechte Revolution‘ von den Beatles als Untermalung für Schuhwerbung verhökert. Ich versuche, den echten Rock ’n‘ Roll in Ehren zu halten.“

Wie sich das echte Feeling des Dave Stewart anhört, werden wir demnächst live erleben: Jch gehe mit den Spiritual Cowboys nur in kleinen Sälen auf Tournee. Das wird eine richtige Rock ’n‘ Roll-Show mit drei Gitarren und zwei Schlagzeugern. Mit drei Gitarristen kannst du nichts falsch machen“, grinst er und versichert:

„Das wird auf jeden Fall rauher als die Eurythmics.“

Bleibt lediglich noch die unvermeidliche Frage: Bedeutet das Cowboy-Leben von Dave Stewart für die Eurythmics das Ende? „Nein,“ schüttelt er energisch den Kopf, „ich habe erst letzten Montag mit Annie einen neuen Song geschrieben. Aber wir brauchen jetzt erst einmal eine längere Pause, weil wir uns sonst nur noch wiederholen würden. Und zur Zeit beanspruchen die Cowboys meine ganze Aufmerksamkeit. Aber die Eurythmics sind deswegen noch lange nicht abgehakt.“