„Das war schon alles ziemlich chaotisch“
Lange nichts gehört von Pete Doherty. Vor zwei Jahren stand er noch mit den Libertines auf den großen Festivalbühnen, doch dann? Ein Film, eine Tochter und ein paar für immer verlorene Freunde. Höchste Zeit, mal wieder nach dem Rechten zu sehen.
Der erste Eindruck trügt nicht: Pete Doherty ist gut drauf. Wir treffen ihn in einem Restaurant in der Pariser Rue De Constantinople. Neben ihm sitzen seine zwei Manager und eine dunkelhaarige Französin, die uns nie vorgestellt wird. Pete bestellt Getränke. Als Erstes erreicht ihn eine Flasche Cognac, die er mit seinem Honorar für ein spontan anberaumtes Konzert vor ein paar Tagen bezahlt. Er nimmt einen tiefen Schluck und greift dann zum Bier, das gerade serviert wird, um mit uns anzustoßen. Das Interview findet dann aber in seiner WG statt, Doherty lebt in Paris mit zwei Ballerinas zusammen. Die Wohnung ist ein faszinierendes Wirrwarr an Erinnerungsstücken, Kinkerlitzchen und laufenden Arbeiten. Überall stehen Leinwände und alte Lederkoffer voller Zettel und Zeitungsausschnitte – Doherty auf den Titelblättern französischer Magazine, Bilder von ihm als gitarrespielender Teenager, frühe Konzertplakate der Libertines. Wenn einem die vielen Blutgemälde nicht den Magen umdrehen, ist es hier ganz gemütlich. Doherty setzt sich in einen neben seinem Bett stehenden Stuhl mit Lederbezug. Die geheimnisvolle Französin filmt unser Gespräch.
Wie geht es dir, Pete?
Vor ungefähr einem Monat wollte ich mir etwas Stoff besorgen, konnte aber nichts finden. Also habe ich mich besinnungslos besoffen, ging in einen Supermarkt, kaufte mir zwei Dosen feine Erbsen und zog mich aus. Irgendwann bin ich dann aufgewacht. Ich wusste gleich, dass irgendwas Komisches passiert sein musste, denn ich schlafe nie nackt, ich behalte immer die Hosen an. Also suchte ich meine Klamotten, der Weg die Treppe hinunter bis auf die Straße war voll davon, aber auch mit Erbsen und Honig. Draußen auf der Straße kaute ein Hund auf meiner Unterhose herum.
Honig?
Ja, ich muss den Laptop meiner Mitbewohnerin wohl im Innenhof mit Honig vollgeschmiert haben. Also, um deine Frage zu beantworten: Mir geht’s richtig gut!
Und wie läuft das Geschäft?
Ich bin sehr gut beschäftigt. Aufregende Zeiten in Albion! Man sagt mir immer wieder, dass wir (das Team hinter Dohertys Solokarriere; Anm.)noch ein Album für unsere Plattenfirma EMI aufnehmen müssen. Aber wir freuen uns auf die neue Platte.
Das wäre dann dein zweites Solo-Album.
Ja, aber die Sache mit Babyshambles ist auch noch nicht beendet, besser gesagt: die Sache mit Mick (Whitnall, Gitarrist von Babyshambles; Anm.). Drew (McConnell, Bassist von Babyshambles; Anm.) kommt auch immer wieder mit der Band an, obwohl er vergangenes Jahr einen echt schlimmen Unfall hatte – Gott sei mit ihm (McConnell wurde nach einem Autounfall ins Krankenhaus eingeliefert; Anm.). Momentan ist er von Beruhigungsmitteln abhängig. Dadurch verstehen wir uns heute sogar besser als damals (Als wir McConnell fragen, ob er seine angebliche Sucht bestätigen kann, antwortet er: „Hahahahahaha, ich war einige Monate auf Oxycodon, also so Hillbilly-Heroin, habe mich davon aber schneller entwöhnt, als mir geraten wurde.“; Anm.). Mick ist wieder clean. Babyshambles existieren immer noch, aber die Band ist ein verdammtes Durcheinander.
Du erwähntest neulich, dass dir schon ein Produzent für deine Soloplatte vorschwebt. Um wen geht es?
Er heißt Adem Hilmi und arbeitet in den Slaughterhouse Studios in Harlesden im Nordwesten Londons. Er hat sich meine Festplatte geschnappt und plant, daraus das Album zusammenzuschustern, zwölf Songs. Die Stücke haben Namen wie „Gambling Man“ und „Cell Ceiling Blues“. Auf Decken von Gefängniszellen steht nämlich: „Hast du die Nase voll davon, dass du die Nase voll hast?“
Möchtest du die Platte bald fertig haben?
Schon, aber … was mein Management will, ist nicht unbedingt das, was am besten für mich ist. Das Management will Stephen Street als Produzent und ich will Stephen Street ja auch, aber nicht für diese Platte.
Wie ist es denn um deine Beziehung zu Carl Barât bestellt? Obwohl Carl vor Kurzem sagte, er sehe „keine Zukunft“ für die Libertines, trefft ihr euch wohl wieder privat.
Erst vor ein paar Tagen nahm ich ihn mit auf meine Ausstellung. Immer, wenn ich etwas mache, das ich als rühmenswert erachte, wird er etwas eifersüchtig. Er denkt, sobald ich eine Ausstellung habe, müsse er auch eine haben. Und er behauptet immer noch, dass ich nicht zeichnen kann. Dabei habe ich ihn sogar schon einmal gezeichnet.
Habt ihr dabei auch über die Libertines gesprochen?
Ja, aber nur über die Kraft der Songs. Ich gab ihm dann etwas von meinem Material und er wollte Riffs dafür schreiben. Er sagt mir, er habe schon ein paar Ideen, aber es würden ihm nicht genügend Texte einfallen. Also gab ich ihm eins meiner Notizbücher. Die Kernstücke vieler dieser Songs sind allerdings Mick eingefallen. Das könnte alles also etwas kompliziert werden.
Aber es gibt eine Zukunft für die Libertines?
Ja! Eine Zukunft, in der wir uns wieder treffen und echt gute Musik machen. Wir waren ja nie keine Band, verstehst du? Und ich muss sagen, dass ich mich heute in Carls Gesellschaft wohler fühle als damals, in unserer Blütezeit. Ich hasse diese Formulierung, aber es stimmt einfach: Wir sind etwas erwachsener geworden. Kann schon sein, dass es auch Nachteile hat, dass wir diese Spannungen zwischen uns überwunden haben. Kann aber auch keine Nachteile haben. Momentan ist es einfach gut, dass wir so gemütlich in dieselbe Richtung gehen können, dass wir wieder auf demselben Weg angekommen sind und Musik machen.
Du hast seit 2009 kein Album mehr veröffentlicht. Fühlst du dich unter Druck?
Nein, ich hatte ja immer etwas zu tun. Ich habe einen Film gemacht („Bekenntnisse eines jungen Zeitgenossen“ mit Charlotte Gainsbourg; Anm.), dann gab es da noch dieses kleine Mädchen (Aisling Doherty, seine gemeinsame Tochter mit dem südafrikanischen Model Lindi Hingston; Anm.) und ich war im Gefängnis. Und Wolfman (Peter Wolfe, mit dem Doherty 2004 den Hit „For Lovers“ aufnahm; Anm.) war auch im Gefängnis. Das fühlt sich für mich auch immer wie Zeit im Knast an, weil ich seinen Schmerz spüre. Das war schon alles ziemlich chaotisch.
Du und Wolfman seid immer noch sehr eng?
Ja, aber es ist oft auch schwierig mit ihm. Neulich, als ich Carl zeichnete, kam er vorbei. Aber die beiden mochten einander noch nie. Wolfman sagt, dass Carl ihm zu gutaussehend sei.
Vor zwei Jahren wurde die 27-jährige Filmemacherin Robin Whitehead in Wolfmans Wohnung tot aufgefunden. Die Untersuchungen der Polizei führten dazu, dass du wegen Kokainbesitzes zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt wurdest. Hat dich der Gefängnisaufenthalt dazu gebracht, dir zu sagen: „Das mache ich nie wieder!“?
Was? Dass ich nie wieder wegen Besitzes nichtexistenter Drogen verurteilt werde? Das war ein Albtraum: Wolfman wurde wegen Mordes verurteilt (stimmt nicht, er wurde wegen Besitzes und Bereitstellung von Drogen verurteilt; Anm.), ich wurde wegen Drogenbesitzes verurteilt und dann wollten sie mich auch noch wegen Bereitstellung von Drogen drankriegen. Auf dem Beweisvideo ist zu sehen, wie sie mich um eine Pfeife bittet. Und ich antworte ihr: „Robin, von mir bekommst du keine Scheißpfeife!“ Sie starb 24 Stunden nachdem ich und Alan (Wass, ein mit Doherty befreundeter Musiker; Anm.) Wolfmans Wohnung verlassen hatten. Wir wurden da in eine Verschwörung hineingezogen.
Verschwörung?
Ich bin echt sauer. Die Berichterstattung legte nahe, dass wir schuld sind. Robin und Wolfman waren auf einem anderen Planeten. Die beiden führten eine Scheinehe. Sie wollten, dass ich ihnen etwas Stoff besorge, also zogen Alan und ich ab. Es gibt zwar Beweismaterial, das zeigt, wie sie und Wolfy Stoff nehmen. Aber sie hat das Zeug nicht von ihm bekommen. Sie teilten sich das nur. Wie man ihn wegen Bereitstellung von Drogen dranbekam, werde ich nie verstehen. Sie war ein wunderschönes Mädchen. Ich bin total bestürzt.
Es halten sich aber Vermutungen, dass du in die Sache verwickelt, wenn nicht gar dafür verantwortlich bist.
Ich fühle mich schuldig, weil ich mit ihr Drogen nahm … wie waren damals immer von Drogen umgeben. Sie rief mich an und sagte: „Ich brauche die Nummer von jemandem“, und ich sagte ihr: „Pass auf, von mir bekommst du keine Nummer“, worauf sie mich als „Pete, you cunt“ beschimpfte. Ich sprach dann ein paar Monate nicht mehr mit ihr. Mir war immer klar, dass Drogengebrauch Teil unserer Beziehung zueinander war. Wann immer wir außerhalb des Landes waren, achtete ich darauf, den Stoff vor ihr zu verstecken. Einmal nahm sie sogar ihren Dad mit. Der nannte mich einen Wicht.
Das ist aber ein ganz schön gemeines Wort.
Mit Amy war das auch so. Ich erinnere mich, dass sie einmal vor einem Auftritt von ihr im Apollo in Hammersmith zu mir sagte: „Ich hab dich und ‚Shambles letzte Woche live gesehen – wenn du willst, zeige ich dir einen wirklichen Gig. Komm in mein Hotel!“ Ihr Vater tauchte im Hotel auf und fragte: „Was zur Hölle geht denn hier vor sich?“ Amy sagte: „Dad, das ist ein Freund von mir!“ Er nahm einen Rucksack vom Sofa und sagte zu mir: „Du verschwindest jetzt!“ Ich sagte: „Aber Mr. Winehouse!“ Er ging mit dem Rucksack zur Tür und ich sagte noch mal laut: „Aber Mr. Winehouse!“ Er war kurz davor, den Rucksack hinauszuwerfen, also sagte ich noch mal: „Mr. Winehouse!“ Dann warf er den Rucksack raus. Und ich sagte: „Das ist nicht mein Rucksack.“ Amy versicherte ihm dann, dass ich ihr nichts gegeben habe. Dann fuhren wir ins Apollo, aber ich blieb nicht lange.
Mit ihr hast du eine weitere Freundin verloren …
Ich glaube, sie hätte mich gerne auf ihrer Beerdigung gehabt. Aber ihr Dad wollte das nicht. Es wäre eine gute Möglichkeit für mich gewesen, meine Trauer zu kanalisieren. Ich werde so dargestellt, als wäre ich nicht ihr Freund gewesen, aber das war ich. Sie kam zum Libertines-Konzert im Forum (die Band spielte am 25. August 2010 im Londoner HMV Forum eine Aufwärmshow für ihre Auftritte bei den Reading- und Leeds-Festivals kurz darauf; Anm.), das war eine der letzten Nächte, die wir gemeinsam verbrachten. Wir fuhren nach der Show ins Hotel und sie blieb die ganze Nacht. Das war total gut – ich, sie und Carl sangen sogar miteinander. Sie war allerdings sehr aufbrausend, wenn sie betrunken war und behauptete immerzu, sie wäre Mitglied der Libertines. Carl und ich hätten einfach zurücktreten, uns komplett der Arbeit an Lead- und Rhythmusgitarre verschreiben können und sie wäre unsere Sängerin geworden.
Das wäre großartig gewesen! Doch wann kam der Weckruf, dass es mit deinem Lifestyle so nicht weitergehen kann?
Im Gefängnis. Nein, eigentlich nicht. Am Tag, als Amy starb, saß ich in einem Zimmer, einem streichholzschachtelgroßen Zimmer in Camden Town, unfähig, das Haus zu verlassen, ich wälzte mich in meinem eigene Schmutz. Die Scheiße stand mir buchstäblich bis zum Knie. Ich konnte mich überhaupt nicht bewegen. Ich konnte nicht mehr sprechen, ich konnte niemanden treffen, ich konnte die Gitarre nicht hochheben und wenn ich es doch schaffte, sie hochzuheben, kamen nur Songs darüber zustande, wie traurig es doch ist, dass Amy heute Abend nicht vorbeischauen wird. Das war keine sonderlich inspirierende Zeit. Entschuldigung, ich muss kurz auf Toilette. (Doherty sucht etwas in seinem Bett) Ach, auch egal. (Er setzt sich wieder hin, wirft etwas in ein Glasfläschchen, erwärmt es kurz mit einem Feuerzeug und würgt den Inhalt herunter.) Ich muss das machen, bevor meine Manager hereinplatzen.
2006 warst du mit deiner damaligen Freundin Kate Russell-Pavier in der Wohnung deines Bekannten Paul Roundhill. An dem Abend hielten sich dort unter anderen auch der Türsteher Johnny Headlock und der Schauspieler Mark Blanco auf. Letzterer starb im Laufe des Abends bei einem Sturz von dem Balkon. Auf einem Überwachungsvideo sieht man dich und Kate, wie ihr auf der Straße über Blancos Leiche springt und wegrennt. Vergangenes Jahr schriebst du in einem Blog, dass Blanco kurz vor seinem Sturz allein auf dem Balkon war.
Ich hatte Wind davon bekommen, dass sich Freunde von Mark in einem Pub darüber unterhalten hatten, was ich doch für ein Arschloch und Teil einer Verschwörung sei, die dafür sorgt, dass die wahren Umstände von Marks Tod nicht bekannt werden. Das Morddezernat öffnete und schloss diese Akte drei- oder viermal. Sie setzten mich kaum unter Druck. Als die Mikros aus waren, sagten sie sogar zu mir: „Es tut uns leid, Pete, aber die Familie des Toten ist davon überzeugt, dass ihr Sohn ermordet wurde.“ Ich kann das verstehen und es sieht ja auch alles ziemlich zwielichtig aus. Was glaubst du denn, wie sehr ich mich dafür schäme, über diesen Leichnam hinweggesprungen zu sein?
Du hast dir das Video angesehen?
Boah, mir wurde richtig schlecht. Ich schäme mich so sehr. Ich steige da über einen sterbenden Mann.
Kannst du dich noch daran erinnern, was du dir in diesem Moment gedacht hast?
Ja, ich dachte: „Dem Typen geht’s gut.“ Ich hatte gerade meinen Stoff versteckt, … da war dieses Mädchen, sie hatte seinen Puls gecheckt und gesagt, dass es ihm gut gehe. Sie sagte sogar, dass er sprach. Er sprach natürlich nicht. Ich war damals auf Bewährung draußen. Ich hatte die Taschen voller Drogen …
Du warst aber auf dieser Party …
Das war keine Party. Wir hingen da nur ab. Mark hatte diese fixe Idee, dass ich ein Crackhead sei und sagte: „Da, schau, hier hast du etwas Crack.“ Ich erwiderte: „Mann, ich will kein Crack. Paul, können wir diesen Typen loswerden?“ Mark redete von seiner aktuellen Rolle (er sollte in dem Stück „Accidental Death Of An Anarchist“ spielen; Anm.) und von Crack. Er verlor zusehends den Verstand. Also warfen wir ihn raus, besser gesagt warf Paul ihn raus. Und irgendwie – ich habe keine Ahnung, warum – fiel er dann vom Balkon. Und jetzt sind gewisse Leute davon überzeugt, dass ich irgendeine Teilschuld trage.
Belastet dich dieser Vorfall noch?
Ich habe gelernt … gewisse Dinge einfach auszusperren. Ich denke über diese Dinge nicht nach – solange sie mir nicht jemand ins Gesicht schleudert.
Glaubst du, dass der Fall jemals abgeschlossen wird?
Solange die Polizei nicht das Video veröffentlicht, in dem gezeigt wird, dass Mark Blanco ohne Fremdeinwirkung vom Balkon fiel, wird seine Familie nicht glücklich werden. Ich weiß, dass es dieses Video gibt. Freunde von Mark sagen, dass er, ich zitiere „wie ein Sack Kartoffeln“ herunterfiel. Was bedeutet, dass er bewusstlos war. Ich habe da meine eigene Theorie.
Die da wäre?
(Atmet tief aus) Eigentlich habe ich keine eigene Theorie. Ich habe da was von Paul Roundhill, also dem Gastgeber von damals, gehört. Neulich sah ich ihn, wie er von einer Horde Liverpool-Fans die Camden High Street heruntergejagt wurde. Er trug ein Netzhemd, auf dem „Hop Hip“ stand und so eine Richterperücke.
Und wie lautet nun seine Theorie …?
Mark hätte in diesem Stück spielen sollen, das von einem Typen handelt, der von einem Balkon stürzt und zu Tode kommt. Pauls Theorie ist nun, dass Mark Kunst in Leben verwandeln wollte. Mark Blanco war offensichtlich ein talentierter Schauspieler. Keine Ahnung. Ich habe ihn vor diesem Abend nur einmal getroffen und wir gerieten gleich in Streit.
Worüber habt ihr gestritten?
Er schrie mich einfach nur an. Er war ein großer Bursche und hätte mir wohl den Schädel eingeschlagen, aber … möge Gott seiner Seele gnädig sein.
Wie ist dein Verhältnis zu Charlotte Gainsbourg, deiner Partnerin im Film „Bekenntnisse eines jungen Zeitgenossen“, einer Verfilmung von Alfred de Mussets gleichnamigem, autobiografischem Roman von 1836?
Sie redet nicht mehr mit mir. Am Set hatten wir all diese Liebesszenen zu spielen. Das Problem daran war, dass wir diese Szenen abgedreht hatten, bevor wir auch privat im Bett landeten. Ich möchte hier nicht ins Detail gehen.
Aber ihr hattet eine Affäre?
Ja, sie verließ ihren Freund und zog von Paris zu mir nach London, aber … lass es mich so sagen: Vier Tage später war sie wieder in Paris. Sie kam mit dem Lifestyle, den ich damals pflegte, nicht zurecht.
Kann man sich gut vorstellen.
Wir saßen in meinem Landhaus und das Dach war gerade eingebrochen. Der Strom war abgesperrt, also hockten wir im Dunkeln. Es war kalt und überall standen Eimer, um das heruntertröpfelnde Wasser aufzusammeln. Wir hatten einen einzigen funktionierenden Kamin, in dem wir alte „NME“-Hefte verbrannten, um uns zu wärmen. Ich hatte eine Ausgabe des ersten Strokes-Titels vom „NME“. Die bedeutet mir sehr viel, denn an dem Tag, an dem sie erschien, arbeitete ich gerade auf einer Baustelle und sollte Zeitungen kaufen gehen. Ich kaufte dreimal den „Daily Star“, viermal die „Sun“, zwei „Mirrors“ und den „NME“. Meine Kollegen sahen mich nur verständnislos an: „Warum hast du das denn mitgebracht?“ Ich antwortete ihnen: „Die haben diese tolle neue Band auf dem Titel. Gitarrenmusik kann immer noch etwas erreichen. Auch meine Band wird eines Tages einen Plattenvertrag bekommen. Wir heißen The Libertines und wir sind so gut wie die Band auf diesem Heft.“ Diese Ausgabe bedeutet mir so viel, dass ich sie bis heute aufbewahre. Das heißt: Die Titelseite bewahre ich auf. Den Rest habe ich weggerissen und verbrannt, um Charlottes Füße zu wärmen.
Wie geht es denn momentan deiner Gesundheit?
Ich bin eigentlich so gesund wie eh und je. Ich weiß, das sage ich immer. Aber mir geht’s echt ganz okay.
Es heißt, du habest mit Heroin aufgehört.
Ich habe mir zumindest vorgenommen, auf Ersatzstoffe wie Subutex umzusteigen. Von letztem Donnerstag bis Sonntag habe ich zum Beispiel gar nichts genommen. Ich wünsche mir zwar, dass ich mal nicht stolz darauf sein muss, nur vier Tage nichts genommen zu haben. Aber zu dem Zeitpunkt war das eine große Sache für mich. Aber am Montag musste ich von Paris zurück nach London, ich saß im Eurostar und mir ging’s nicht gut. Dann habe ich mir was reingepfiffen, obwohl ich es eigentlich nicht hätte tun müssen. Das war ziemlich sinnlos.
Hatte London etwas damit zu tun?
Hmmm… ja, irgendwie schon. In Paris komme ich nicht so leicht an Stoff ran. Aber wenn ich in Paris mal was aufstelle, dann ist das wie „China White“ (eine hochwertige Form von Heroin; Anm.), weißt du? Richtig gutes Zeug. Das bekommst du in London gar nicht. Dort ist das immer braun.
Paris bietet also besseres Heroin an?
Wenn du es findest, ja. Aber meistens ist alles in Paris unter Standard. Das solltest du dann besser bleiben lassen. Das ist absolutes Gift.
Und du glaubst, dass du auf dem richtigen Weg bist?
Ja, aber man muss wohl erst komplett am Boden ankommen, bevor man wirklich bereit ist, aufzugeben.
Und an diesem Punkt bist du noch nicht?
Nein, nein. Ich habe noch ziemlich lange bis dahin.
Das bereitet einem schon Sorgen!
Ja, neulich ging es schon so weit, dass ich mir das Cast-Album bei iTunes heruntergeladen habe.
Übersetzung: Stephan Rehm
Pete Doherty
Das Multitalent kam am 12. März 1979 in Hexham, im Nordosten Englands, zur Welt. Mit 17 gewann er seinen ersten Poesiewettbewerb. An der University of London studierte er englische Literatur, brach aber schon im ersten Jahr ab. Danach bezog er mit seinem Kumpel Carl Barât eine WG in Nordlondon. 1997 gründeten sie die Garagenrockband The Libertines, die bis 2004 zwei Platinalben veröffentlichte. Nach einem Zerwürfnis mit Barât nahm Doherty zwei Alben mit den Babyshambles sowie ein Solo-Album auf. 2007 brachte er „The Books Of Albion“, eine Textsammlung aus seinen Notiz- und Tagebüchern heraus. Von 2005 bis 2007 war er mit Topmodel Kate Moss zusammen. Doherty hat einen Sohn und eine Tochter von verschiedenen Müttern. 2010 spielte er mit den Libertines eine Handvoll umjubelter Reunion-Konzerte in England.