Die 100 besten Gitarristen und Gitarristinnen aller Zeiten
Von St. Vincent bis Jimi Hendrix: Hier ist unser Ranking der 100 besten Gitarren-Legenden.
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Hank Marvin
Manche Helden tragen eben eine Hornbrille: Marvin, Chef der seinerzeit enorm populären Londoner Instrumentalcombo The Shadows, ist um 1960 das große Idol kommender Saitenkünstler wie Jeff Beck und Brian May. Mit aufgerissenem Hall-Regler und variierendem Druck auf den Vibrato-Hebel ist er schlicht und ergreifend der stilprägende Großmeister des Twang. (Uwe Schleifenbaum)
Der Moment: Gewiss nicht die originellste Wahl, aber „Apache“ bringt Marvins Klasse noch immer perfekt auf den Punkt.
38
B.B. King
Allein sein Geburtsname Riley B. King bestimmte ihn zu höchsten Würden. Mit der Abkürzung seines Spitznamens Blues Boy versehen stieg er zum König des elektrischen Blues auf. Schon in die ersten Töne seines Durchbruchs-Hits „Three O’Clock Blues“ von 1951 legte er so viel Herzblut, dass man sich seinem Bann nicht entziehen konnte. Ganze Generationen von Gitarrist:innen sollte er mit seinen Bendings, seinem Vibrato und seiner scheinbar mühelosen Vortragsweise beeinflussen. (Stephan Rehm Rozanes)
Der Moment: Mit Streichereinsatz und Hochglanzproduktion machte er Roy Hawkins’ „The Thrill Is Gone“ zu einem seiner Signature-Songs und erweiterte den Publikumsradius des Blues maßgeblich.
37
St. Vincent
Annie Clarks abenteuerlustige Art-Rock-Attitüde geht auch auf ihren Onkel, Gitarristen-Teil des Jazz-Duos Tuck & Patti, zurück, der sie einst unter seine Fittiche nahm. Effektgerät-offen, Fuzz-freudig oder ungewöhnliche Techniken, wie den Anschlag hinter Steg oder Sattel, lässt sie als St. Vincent die Grenzen des etablierten E-Gitarrenspiels verschwimmen. (Frank Thiessis)
Der Moment: Clarks 2016 veröffentlich- tes, von ihr entworfenes Music-Man-Signature-Model. Für Gitarrenspieler eine der höchsten Ehren – für weibliche Vertreter (noch) eine seltene.
36
Eric Clapton
44 Jahre nach seinen „Keep Britain White“-Forderungen aufgrund seiner Haltung gegen die Corona-Regeln und seines Supports für Kennedy, den Schwurbler, dann doch in Ungnade gefallener Ex-Yardbird, dessen Talent für und Einfluss auf die Bluesgitarre freilich unermesslich bleiben. (Stephan Rehm Rozanes)
Der Moment: Das Solo, das er in der auf dem dritten Cream-Album WHEELS OF FIRE festgehaltenen Live-Version des Robert-Johnson-Covers „Crossroads“, abfeuert, sucht mit ultraschnell gewech- selten Doppelgriffen und kreativen Ben- dings erfolglos seinesgleichen.
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Peter Buck
Peter Buck von R.E.M. ist vermutlich vor allem deshalb ein so überdauernder Gitarrist, weil er es nie nötig hatte, die eigene Versiertheit an dem Instrument zum Thema beim Songschreiben zu machen. Sein Spiel ist prägnant, wiedererkennbar, inspiriert – aber immer mannschaftsdienlich. Und dennoch trieft seine Genialität aus dem Gesamtwerk der Band wie Remoulade aus einem tighten Sandwich.
Der Moment: „MONSTER“ einlegen und sich wieder fühlen wie vor 30 Jahren – genau dann, wenn Peter Buck auf das Wah-Wah-Pedal tritt bei „What’s The Frequency, Kenneth?“
34
Dean DeLeo
Das Herz und die Seele der Stone Temple Pilots waren ihr Bassist Robert DeLeo und sein Bruder Dean an der Gitarre. Spätestens auf der dritten Platte TINY MUSIC… fanden sie ihre eigene musikalische Identität, die nur noch wenig mit Grunge zu tun hatte. Vor allem Dean DeLeo lief da zur Höchstform auf, hielt die Balance zwischen Feuer und Finesse und reüssierte auch in Genres wie Jazz oder Blues. Die wahre Offenbarung aber war der Klang seiner Gitarre: Die krachte und schepperte und gewann ihre Kraft Rock-untypisch nicht aus einem fetten Sound, sondern aus DeLeos energischem Spiel. Pearl-Jam-Fans konnten da nicht mehr mit. (Reiner Reitsamer)
Der Moment: Das Solo in „Trippin’ On A Hole…“ – hingerotzte Perfektion.
33
Nile Rodgers
Dass der 1952 geborene Rodgers über die Beatles zur Gitarre gekommen sein will, scheint auf den ersten Blick befremdlich. Auf den zweiten allerdings erklärt es so manches, unter anderem auch sein breitgefächertes Oeuvre, das sich über die Mitarbeit an Alben absolut unterschiedlicher Künstler:innen (David Bowie, Madonna, INXS) bis hin zu seiner eigenen Disco-Band Chic spannt. Sein Spiel ist stets unverwechselbar und setzt rhythmisch und stilistisch bis heute Maßstäbe. Das Ergebnis: Hits! Die Rodgers-Gitarre hört man einfach immer raus, sie funktioniert in allen von ihm bedienten Genres. (Rebecca Spilker)
Der Moment: Durch die harte Tür im „Studio 54“ entsteht aus Rache „Le Freak“.
32
Pete Townshend
Dass ein elektrifiziertes Brett mit Saiten drauf auch als Waffe benutzt werden kann, beweist der Gitarrist von The Who nicht erst beim Woodstock-Festival, als er den ungefragt die Bühne enternenden Hippie-Aktivisten Abbie Hoffman mit Hilfe seiner Gibson SG von selbiger entfernte. Der US-Ableger ihrer britischen Plattenfirma vermutete schon auf ihrer 1965er-Single „Anyway, Anyhow, Anywhere“ einen technischen Defekt, dabei waren das Feedback und die per Tonabnehmer-Umschalter gefunkten Morsezeichen natürlich volle Absicht – prototypischer Noise-Rock, voll in die Fresse. (Uwe Schleifenbaum)
Der Moment: Die Live-Performance von „Anyway, Anyhow, Anywhere“ in der britischen Musik-Show „Ready, Steady, Go!“.
31
Angus Young
Einem Außerirdischen mag das bei Ankunft auf dem Planeten Rock alles womöglich schwer zu erklären sein – dieser kleine Typ da vorne in Schuluniform mit seinen simplen Riffs, ein Powerchord-Pionier für die Ahnengalerie? Allen Zeitzeugen stellt sich diese Frage kaum, aus Angus Youngs Ranzen purzelten die Jahrhundert-Riffs im Dutzend. Sein klangliches Markenzeichen: strammgezogener Blues, abgeschmeckt mit einer Prise Glam und einigen Tausend Stangen Benson & Hedges. (Ingo Scheel)
Der Moment: D-A-D-G, zwischen Höllenglocken und Höllenstraßen passt immer noch ein höllisch problematisches Kind.
30
Lindsey Buckingham
Lindsey Buckingham ist Fleetwood Mac: Er war es, der gemeinsam mit Stevie Nicks 1975 all das anlegte, was die Band zu einer der größten der Welt machte. Er ist aus zweierlei Gründen ein hervorragender Gitarrist: Zunächst einmal, und das gehört ebenfalls in so eine Liste, weiß er, wie er das Gespielte per- fekt arrangiert und in den Gesamtklang einer Band integriert (einfach mal RUMOURS anhören). Er ist mit seinem distinktiven Fingerpicking-Stil aber auch ein technisch versierter Live-Virtuose. (Jochen Overbeck)
Der Moment: „Big Love“ in der 1997er Live-Aufnahme findet sich auf YouTube. Wie kann man so was können?
29 Tony Iommi
Nicht auszudenken, wie die Musikwelt ohne „Paranoid“, „Sabbath Bloody Sabbath“ oder „Warpigs“ heute aussähe. No Iommi, no Metal! Fakt. Und was Ozzy Osbourne wohl so treiben würde? Vor seinem Unfall an der Blechschneidemaschine, die ihn zwei Fingerkuppen kostet, ein solider Beat-Gitzer, mit den selbst gebauten Prothesen ein Handarbeiter des Teufels, der Klang von Tony Iommis Gitarre die phonetische Inkarnation von Power und Prog, als hätte man den industriellen Lärm Birminghams aufs Griffbrett gekippt. (ingo Scheel)
Der Moment: „Iron Man“, „Spiral Architect“, „Into The Void“ (Serviervorschläge)
28
Sister Rosetta Tharpe
Im Alter von sechs Jahren begann die 1915 Geborene, im Kirchenchor zu singen, nebenbei lernte sie Gitarre. 1938 unterzeichnete sie einen Plattenvertrag bei Decca und trat noch im selben Jahr in der Carnegie Hall auf. Ihr energiegeladenes Spiel brachte ihr bald den Titel „Mother of Rockn’Roll“ ein. Als sie 1964 neben Muddy Waters in Manchester spielte, waren Eric Clapton, Jeff Beck, Keith Richards und Brian Jones im Publikum. Elvis Presley nahm Songs von ihr auf. Little Richard, Chuck Berry, Johnny Cash und Tina Turner nannten sie als Einfluss. (Stephan Rehm Rozanes)
Der Moment: Ihre elektrifizierte, 1964 in Manchester vorgetragene Version von „Didn’t It Rain, Children?“ untermauerte ihren Status als Rock-Pionierin.
27
John Fahey
Er begründete das Genre „American Primitive Guitar“, als Fingerpicker dekonstruierte John Fahey den traditionellen Folk-Blues mit den Mitteln klassischer Komponisten des 20. Jahrhunderts wie Béla Bartók und Charles Ives. Fahey näherte sich im Lauf seiner 1959 begonnenen Karriere immer mehr der Avantgarde an, was seinen Höhepunkt nach seiner Wiederentdeckung in den 90er-Jahren erreichte. (Albert Koch)
Der Moment: Nach einer Minute und 32 Sekunden und einer kakaophonischen Soundcollage leitet eine verzerrte Slide-Gitarre 1997 das Comeback von John Fahey auf dem Album CITY OF REFUGE ein. Der Gitarrist war wieder im Spiel – bis zu seinem frühen Tod vier Jahre später.
26
John Squire
Durch Squires Spiel in frühen Stone-Roses-Songs, etwa „Sally Cinnamon“ (1989) weht luzides Licht; think: Twee als Himmelfahrtsoratorium. Später regiert Gravitas. Ihre Vollendung findet diese in „I Am The Resurrection“(1992). Der Song kippt zur Hälfte, fliegt aber niemals aus der Kurve. SECOND COMING macht 1994 aus dem Himmelfahrtsoratorium ein Himmelfahrskommando; Squire ist jetzt ein Rocker, der erfreut Sprengsätze zündet. Die Band überlebt das nicht, Squire gründet The Seahorses. (Jochen Overbeck)
Der Moment: Wie Squire in deren „Love Is The Law“ das „I Am The Resurrection“-Prinzip wiederholt, diesmal ohne störende Mitmusiker, ist ein Vergnügen.
25
Jimmy Page
Seine ausgiebige Arbeit als Studio-Session-Gitarrist (unter anderem auf dem 1964er Kinks-Debüt oder für Marianne Faithfulls Version von „As Tears Go By“) stattet Page noch vor seiner Zeit mit den Yardbirds mit vielfältigem Stilwissen und klangtechnischem Know-how aus. Als Gitarrist und Produzent von Led Zeppelin vervollständigt er später seine musikalischen Visionen, die sich nicht auf Hardrock beschränken, sondern auch auf Blues und Folk fußen, Heavy Metal antizipieren oder auf keltischen bis fernöstlichen Spuren wandeln. Das Saitenspiel mit dem Cello-Bogen oder der Einsatz der Doppelhalses sind bei ihm keine Gitarristen-Ego-Gimmicks, sondern genuine Stilmittel. (Frank Thiessies)
Der Moment: Da wir „Wayne’s World“ nur ungern widersprechen, scheidet das offensichtlichste Sternstunden-Stück aus. Doch offenbart sich bereits 1969 auf „Heartbreaker“ mit seinem wegweisenden Proto-Metal-Riff und freischwebenden Solo Pages Genie und Chuzpe.
24
David Gilmour
Mit einem Bein stets im Blues, viel melodischem Gespür und einem Faible für Funk lässt der Pink-Floyd-Gitarrist sein Instrument in den allerbesten Momenten förmlich singen. Dezentes Vibrato, butterweiche Bendings und der ausgeklügelte Einsatz von Hall- und Delay-Effekten sind dabei die technischen Hilfsmittel für Gilmours zuweilen dahinfließende Saitenarbeit. Oftmals träumerisch verzückend oder akustisch abgespeckt wie bei „Wish You Were Here“, beherrscht er die gelegentliche Rock-Heldengitarre aber genauso. (Frank Thiessies)
Der Moment: Mag das Solo von „Comfortably Numb” auch die bekanntere und (emotional) kompaktere Könners-Demonstration darstellen, so ist „Shine On You Crazy Diamond (Parts I–VIII)” Gilmours Großtat: Mit eingängig nachhallenden Einzelton-Folgen lässt er seine Gitarre zu Beginn bluesig bluten und fügt in Folge Lap-Steel-Slides oder eruptiven Jazz-Funk hinzu.
23
Bo Diddley
Die elektrische Gitarre samt Verstärkertechnik steckt noch in den Kinderschuhen, als Ellas McDaniel aus Mississippi, genannt Bo Diddley, den Sprung vom Straßenmusiker zur Attraktion in Chicagos Club-Szene schafft. Seine Markenzeichen: ein afrikanisch synkopierter Beat, ein pulsierender Tremolo-Effekt, jede Menge Hall und ein übersteuerter Sound, der ihn 1955 mit „Bo Diddley“ auf Platz 1 der R’n’B-Charts katapultiert. Kein anderer Gitarrist holt aus den bescheidenen technischen Möglichkeiten jener Ära mehr heraus als der damals 27-Jährige – Kollege Les Paul vielleicht ausgenommen, aber der bevorzugt Jazz und Pop. Diddley oszilliert als sinistrer Bluesman aus dem Süden lieber zwischen schwarzem Humor und Voodoo-Beschwörung, wie etwa sein Klassiker „Who Do You Love?“ nahelegt. (Uwe Schleifenbaum)
20
Kevin Shields
Wer ein Bild für Komplexität benötigt, schaut sich an, wie dieser Mann seine Effektgeräte verkabelt. Den Durchblick hat er nicht, was dazu führt, dass ihm die Effekte über den Kopf wachsen – und seinem Label die Kosten. Wenn aber Musik von My Bloody Valentine erscheint, besitzen die Lärm-Kaskaden mit Platz für zuckersüße Neben- töne eine unvergleichbare Wucht. Sein Erbe hört man weltweit in Probekellern, wo Gitarrist:innen an einem Bruchteil der Effektgeräte verzweifeln. Merke: Kevins Krach ist nie Selbstzweck, er dient dem Song dahinter. (André Bosse)
Der Moment: Sekunde 99 von „You Made Me Realise“, der Song bricht in sich zusammen, Shields errichtet eine undurchdringliche Lärmwand. Nach 41 verstörend- betörenden Sekunden ist der Spuk vorbei, live dehnen My Bloody Valentine die Noise-Hölle auf mehrere Minu- ten, das tagelange Fiepen gibt’s als Souvenir, für das man nicht zum Merch muss.
21
James Dean Bradfield
„Slash ’n’ Burn“, der erste Song vom ersten Album der Manic Street Preachers, erinnerte nicht nur im Titel an Guns N’ Roses. Auch das Riff gab Auskunft darüber, wessen Platten James Dean Bradfield, Sänger und Gitarrist der Manics, in den 80ern besonders eifrig studiert haben dürfte. Der junge Waliser konnte spielen wie die Wilden vom Sunset Strip. Gottlob konnte er noch viel mehr, sonst hät- te seine Band das Jahr 1992 nicht überlebt – und erst recht nicht das spätere Verschwinden ihres zweiten Gitarristen Richey James. Die Manics ent- wickelten sich vom Hard Rock zum Punk zum Brit- pop und wieder zurück. Möglich war das, weil JDB als Songwriter ebenso brillierte wie als Gitarrist: Nie stellt er sein Können über den Song. Eine Tugend, die selbst (oder: gerade) in dieser Liste nicht alle beherrschen. (Reiner Reitsamer)
Der Moment: „Motorcycle Emptiness“ – nur Bradfields Gitarre singt noch schöner als er selbst.
20
Memphis Minnie
Sie wird oft als beste weibliche Blues-Gitarristin bezeichnet – was freilich etwas Gönnerhaftes hat angesichts der Tatsache, dass auch die meisten Männer gern wie sie hätten spielen können. Memphis Minnie war eine Stilistin mit rauen Manie- ren (angeblich kaute sie durchgehend Kautabak, auch auf der Bühne, und hatte immer eine Tasse zum Ausspucken bei sich). Geboren 1897 in Loui- siana, schlug sie sich erst als Straßenmusikerin durch, trat später als Memphis Minnie & Kansas Joe im Duett mit ihrem Mann Joe McCoy auf und besiegte, so die Legende, in einem Nachtclub den großen Big Bill Broonzy im Gitarren-Duell. Minnie spielte akustisch und elektrisch, war bekannt für ihren Fingerpicking-Stil und ist eine zentrale Figur im Übergang vom ländlichen Delta- zum urbanen Chicago-Blues. (David Numberger)
Der Moment: Wie scheinbar mühelos, fließend und subtil ihr Spiel war, zeigt „Me And My Chauffeur Blues“ von 1941.
19
George Harrison
Seine Verdienste als Songwriter und Sänger sind unbestritten, als Gitarrist stand er jedoch im Schatten zeitgenössischer Virtuosen. Harrisons Tugend war eine andere: Er spielte absolut songdienlich, keinen Ton zu viel, und bewies dabei immer Geschmack und Kompetenz. Mit dem Sound seiner 12-saitigen Rickenbacker inspirierte er von England aus kommende US-Folkrocker wie The Byrds und Buffalo Springfield, was aber nur einen Bruchteil seines Wirkens widerspiegelt. Als Mitglied der populärsten Band des Planeten sorgte er bei der weltweiten Gitarrenbauer-Zunft ab 1964 für Sonderschichten. Wie viele junge Menschen rund um den Globus eine Gitarre kauften, um dem Beispiel George Harrisons zu folgen, lässt sich kaum abschätzen. Es müssen viele gewesen sein. Sehr viele. (Uwe Schleifenbaum)
Der Moment: Wenn in „I Should Have Known Better“ bei ca. 1:28 besagte 12-Saitige die Glocken läuten lässt.
18 Billy Duffy
Der Mann aus Manchester ist das Verbindungstück zwischen Steve Jones und Johnny Marr: Power-Riffs, so dick wie Holzbohlen, in Kombi mit filigranen Feinheiten, voll kristallinem Klang. Was ihn und seine weiße Gretsch von den meisten Saitenkünstlern seiner Generation unterscheidet, ist die Offenheit neuen Band-Konzepten gegenüber. Stillstand ist der Tod. Zusammen mit Ian Astbury geht er als Death Cult in die Postpunk-Schule, anschließend heißt es ‚anything goes‘. Mit „She Sells Sanctuary“ die Gothic-Disco erobert, von Rick Rubin Richtung AC/DC komplimentiert, den „Sun King“ zum unsterblichen Gott des Classic Rock 2.0 gekrönt, ein Crooner, ein Unterschiedsspieler, der den amerikanischen Rock-Traum mit britischem Understatement kreuzt. UNDER THE MIDNIGHT SUN, der jüngste Streich, ist ein spätes Meisterwerk. (Stephan Rehm Rozanes)
Der Moment: Das Albumcover von SONIC TEMPLE – zwischen Pose und Poesie
17
Bernard Butler
Die BBC nannte ihn „einen der originellsten und einflussreichsten Gitarristen Großbritanniens“. Ohne jemals formellen Unterricht gehabt zu haben, brachte Butler sich sein Instrument bei, indem er Johnny Marrs filigranes Spiel bei den Smiths Note für Note nachzuspielen lernte. Sein Stil ist definitiv die große Geste: Den perfektioniert er bei den hochdramatischen Suede (die Kombination aus kraftvollen Rhythmen und eleganten Schlenkern wie in deren „The Drowners“ ist sein Wahrzeichen), bevor er mit dem Wall-of-Sound-Soulpop von „Yes“ zusammen mit Ausnahmesänger David McAlmont sein Meisterwerk abliefert. Sein Faible für warme 60s-Sounds konnte er als Produzent von Retro-Röhre Duffy ausspielen. (Ingo Scheel)
Der Moment: Wenn das gleichermaßen repetitive wie nach vorne drängende Solo von Suedes „Animal Nitrate“ in seiner Mitte zum Höhenflug ansetzt. Das packende Strophenriff war übrigens als britische Antwort auf „Smells Like Teen Spirit“ gedacht. (Stephan Rehm Rozanes)
16 Poison Ivy
The Cramps haben den in die Jahre gekommenen Rock’n’Roll zu einem coolen, schrillen Vampir werden lassen. Sie schufen ihren Psychobilly unter dem maßgeblichen Einfluss einer der faszinierendsten Bühnenfiguren jener Zeit, der Gitarristin Kristy Wallace alias Poison Ivy. In frühen Jahren der Band sah man sie mit einer Dan-Armstrong-Plexiglas-Gitarre, bevor sie auf etwas konventionellere Modelle umstieg. Ihr Stilwille als Gitarristin war ohnehin immens, gerade wenn man bedenkt, dass The Cramps für ein sehr eigenartiges Soundoutfit standen. Auf diesen über diverse Alben und Jahrzehnte einzuzahlen, ohne im Selbstzitat zu enden, das musste man erst mal hinbekommen. Ihre Soli waren gleichsam minimalistisch wie unique, ihre Interpretation des Cramps-Sounds konnte immer wieder überraschen. (Linus Volkmann)
Der Moment: Wenn Poison Ivy das „Peter Gunn Theme“ von Henry Mancini anstimmt.
15
Jeff Beck
Bekannt wurde er mit den Yardbirds, endgültig zur Gitarren-Ikone machte er sich mit der Jeff Beck Group. Später nahm er Soloplatten auf und spielte für Mick Jagger, Stevie Wonder, Kate Bush und etliche mehr. Kurz gesagt, konnte Beck an der Gitarre alles – von blitzschnellen Solos bis Zeitlupen-Blues –, und ziemlich sicher hat niemand eine derart breite Palette über einen so langen Zeitraum abgedeckt: von den mittleren 60ern bis zu seinem Tod in diesem Jahr. Einen ersten Eindruck holt man sich zum Beispiel beim knallharten „Plynth“ (Jeff Beck Group) mit seinen wahnwitzigen Richtungswechseln. (David Numberger)
Der Moment: Legendär ist Becks Auftritt im Antonioni-Film „Blow Up“. Der Protagonist streift durch ein Konzert der Yardbirds. Auf der Bühne streikt derweil Becks Verstärker, bis er seine Gitarre dagegen drischt, sie mit Fußtritten komplett zerstört, während Jimmy Page daneben ungerührt weiterspielt.
14
Mark Knopfler
Zugegeben, dieses „Walk Of Life“-Intro und Stings MTV-Genöle können einem den ganzen Spaß vermiesen, file under Ohrwurm4Life, aber der Weg zurück an die Quelle entschädigt für alles. Am 16. Februar 1979 gastieren Dire Straits im Studio L des WDR, das zweite Album COMMUNIQUÉ ist noch nicht erschienen, ein Hit in spe wie „Lady Writer“ aber bereits auf der Setlist, der Übersong „Sultans Of Swing“ gleich zweimal. Unter puristischen Aspekten lässt sich Knopflers Trademark-Sound hier am besten genießen. Schweißband am Handgelenk, schlabbriges Unterhemd, sein dezent dynamisches Wechselspiel zwischen schwebenden Riffs und diesen herzergreifenden Solo-Licks so unverfälscht wie die weißen Schlaghosen seiner Gang. (Ingo Scheel)
Der Moment: Der Build-up von „Where Do You Think You’re Going?“ ist Weltkulturerbe, Knopflers Kommando zum Durchziehen, dieses dezent genuschelte „Come on“, schlichte Magie.
13 Neil Young
Kunst muss nicht immer von Können kommen: Bereits 1969, auf seinem zweiten Album EVERYBODY KNOWS THIS IS NOWHERE, hat Neil Young gezeigt, dass er ein zwar technisch limitierter, aber im Ausdruck hervorragender Gitarrist ist. Epische Songs wie „Cowgirl In The Sand“ und „Down By The River“ benutzte er als Vehikel für ausufernde Improvisationen und simple, hochmelodische Soli. Im Lauf der Jahrzehnte wurde sein Spiel auf der elektrischen Gitarre – vor allem im Verbund mit seiner langjährigen Begleitband Crazy Horse – immer lauter, expressiver und verzerrter, was ihm in den 90er-Jahren die Bewunderung von Bands wie Sonic Youth, Pearl Jam und Social Distortion einbrachte und den Spitznamen „Godfather Of Grunge“. (Albert Koch)
Der Moment: Nach drei Minuten und 23 Sekunden setzt der Gesang bei „Cortez The Killer“ ein, bis dahin hat man alles über den Gitarristen Neil Young erfahren, was man wissen muss.
12 Carrie Brownstein
In der berührenden Biografie „Modern Girl – Mein Leben mit Sleater-Kinney“ erfährt man nicht nur von der unerfüllten romantischen Liebe Carrie Brownsteins für ihre Bandkollegin Corin Tucker, sondern auch wie unsicher sich Brownstein in der Frühphase der Band an ihrem Instrument fühlte. Nachvollziehbar in der Welt der frühen Neunziger- jahre, in der intensive Gitarrenmusik sich fast ausschließlich als Typen-Ding inszenierte und das sich Acts wie Bikini Kill, Heaven for Betsy oder eben Sleater-Kinney erst erobern mussten. Das gelingt – und wie! Brownstein prägt mit ihrem hochmelodisch- wie kunstfertigen Stil alsbald nicht nur den Sound der Riot-Grrrl-Bewegung, sondern hinterlässt Spuren im gesamten Feld kon- temporärer Rockmusik. (Linus Volkmann)
Der Moment: Wenn Brownstein in einem Podcast ins Schwärmen über ihre Gibson SG gerät: „Ich mag eine Gitarre, die ein bisschen knurrig ist – eine, bei der man das Gefühl hat, je härter man spielt, desto mehr reagiert sie darauf.“
11
Graham Coxon
Auf der Debütsingle von Blur, „She’s So High“, stellte sich Coxon zwar mit einem an den La’s geschulten Riff vor, verlieh dem mit verspielten Hammerings aber auch seine eigene Note. Vor allem in den Britpop-Stücken sollten diese Schnörkel fortan an zu seinem Wahrzeichen werden. Aus den experimentellen Blur-Jahren sind vor allem sein Bohrmaschinen-Riff von „On Your Own“, diese Noise-Eskapaden von „1992“ hervorzuheben und natürlich das grungige Punk-Riff von „Song 2“. Auf seinen zahlreichen Soloalben sollte er vor allem dieser Vorliebe für Skate-Punk und Indie-Rock, aber auch Heavy Metal („Jamie Thomas“) und Anti-Folk („Mornin’ Blues“) nachgehen. Für sein neues Duo The Waeve ließ er sich maßgeblich von Progressive Rock inspirieren. Coxon kann eben alles – sich zu eigen machen. (Stephan Rehm Rozanes)
Der Moment: Auf dem Blur-Album THINK TANK ist Coxon nur auf einem Song zu hören: Seine Gitarrenfigur auf „Battery In Your Leg“ dürfte zum simpelsten gehören, was er je aufgenommen hat. Aber sie ist zum Heulen schön.
10
Keith Richards
Nachdem der neue Rock’n’Roll-Sound von Chuck Berry oder Elvis-Gitarrist Scotty Moore den jungen Keith Richards (sowie seine Rolling- Stones-Kollegen) hatte aufhorchen lassen, geht es mit Muddy Waters und Jimmy Reed schnell ans Blues-Eingemachte. Mit der Gewissheit, dass Geschwindigkeit nicht die wichtigste Gitarren-Tugend ist, konzentriert sich das fleischgewordene menschliche Riff Richards eher auf Licks und dynamische Rhythmusarbeit.
„Satisfaction“ kommt zu ihm im Schlaf; später verzerrt der Akustikgitarren-Apologet Letztere via Kassettenrekorder oder lässt sich von Ex-Byrd Gram Parsons Country näherbringen. Richards‘ vielleicht größte Errungenschaft ist indes, dass er immer noch lebt und den Rock’n’Roll atmet – wie unlängst auf HACKNEY DIAMONDS bewiesen. (Frank Thiessies)
Der Moment: Durch Ry Cooder entdeckt Richards das Geheimnis der Open-G-Gitarrenstimmung. Mit entfernter tiefer E-Saite kreiert Keef auf lediglich fünf Saiten Klassiker wie „Honky Tonk Women“ oder „Start Me Up“.