Kolumne

„Das raubt Zeit, Kraft und Ressourcen“: Wie Club-Boykotte die Szene zermürben


Linus Volkmann spricht mit Vertreter*innen dreier Clubs über Shitstorms, Boykotte und Übergriffe.

Die Erschütterungen durch den Nahostkonflikt sind überall auf der Welt zu spüren. Auch die alternative Clubszene gerät zunehmend unter Druck. Drei Vertreter*innen betroffener Clubs über Shitstorms, Boykotte und Übergriffe.

Hier spielt eigentlich die Musik – ://about blank. Foto: Bastian Bochinski

Das Bestreben, den Nahost-Konflikt durch Kulturboykotte zu beeinflussen, ist kein neues Phänomen. Ein organisierter wie maßgeblicher Akteur ist dabei der BDS (Boykott, Divestments, Sanctions). Hierbei handelt es sich um eine transnationale Kampagne, die sich 2005 konstituiert hat. Das Ziel ist, Israel wirtschaftlich, akademisch und kulturell zu isolieren. Gerade letzteres ist dabei zum Schwerpunkt der Aktivitäten geworden. Der BDS wird seitens eines Bundestagsbeschluss von 2020 offiziell als antisemitisch eingestuft.

Boykott, Boykott

Mir ist das Thema Kulturboykott und BDS erstmals 2017 begegnet. Das diverse Popkultur-Festival in Berlin sah sich einem Outcall seitens des BDS konfrontiert, das größere Wellen schlug. Der Anlass dabei war folgender: Das israelische Fremdenverkehrsamt übernahm Flugkosten in Höhe von 500 Euro – und tauchte damit in der mannigfaltigen Sponsorenliste des Events auf. Der BDS rief deshalb zum Boykott auf. Auf ihrer Webseite nannte man das Festival „antipalästinensisch“ und „rassistisch“. Der Aufruf verfing und unter anderem der geplante Headliner (Young Fathers) sagte seine Teilnahme ab. Auch in den folgenden Jahren wurde seitens des BDS und ähnlich gelagerter Akteure immer wieder versucht, die Veranstaltung zu diskreditieren.

Die autoritäre Praxis, die nicht auf Dialoge sondern auf Einschüchterung und Ausschlüsse aus ist, hat Methode. Ihre größte Waffe ist jener Outcall. Unangenehme BDS-nahe Senioren wie Roger Waters nutzen ihn beispielsweise, um öffentlichkeitswirksam Acts anzugehen. Meist geht es darum, dass sie gebuchte Konzerte in Israel wieder absagen. Lana Del Rey brachte er 2018 zum Canceln eines geplanten Events – und wer wüsste nicht, wie das 2018 den Frieden in Nahost vorangebracht hatte?

Unter „Genozid-Lover“ geht’s nicht mehr

Auch wenn die Outcall selbstgerecht klingen mögen und in keinster Weise der Komplexität des Nahost-Konflikts Rechnung tragen, bringt es die Betroffenen schnell in Schwierigkeiten. Wer der Anfrage nicht entspricht, träte Menschenrechte mit Füßen oder sei – heutiger Slang – ein „Genozid-Lover“. Hier wird argumentatorisch kein Spielraum gelassen und die allgegenwärtige Verkürzung von Social Media sowie der dortigen Empörungsbereitschaft machen solche Aufforderungen zu dem, was sie auch sein sollen, eine Nötigung. Aber wer braucht heute für solche Praktiken noch Roger Waters?

Auf TikTok kursieren dieser Tage unzählige Beiträge darüber, welche Künstler*innen sich nicht solidarisch mit der palästinensischen Sache geäußert hätten. Die Intention: Wen kann man als nächstes vom moralischen High Ground aus („Kindermörder!“) mal so richtig abstrafen? Selbst Social-Media-Tanker wie die Kardashians gerieten ins Schlingern. Nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 äußerten sie sich entsetzt über die Ereignisse und sprachen den Opfern Mitgefühl aus. Guess what: Das ist in diesem Jahrzehnt Anlass für einen Shitstorm.

Auch der ESC sieht sich immer mehr von diesem Boykott-Eifer umrankt. Nach dem Sieg des queeren israelischen Acts Netta mit dem Song „Toy“ wurde das Event 2019, im Jahr darauf, in Tel-Aviv ausgetragen. Vor allem auch skandinavische Acts wie Nils Petter Molvaer oder The Knife forderten einen Boykott des ESC in Israel. Dieses Jahr erreichte der Ausschlussfimmel einen neuen Höhepunkt, als in Malmö sogar Demos gegen die Israelin Eden Golan aufliefen. Ihr Beitrag „Hurricane“ befasste sich übrigens mit dem kollektiven Schmerz des Landes nach dem 7. Oktober.

Wie das Bedrohen von Sänger:innen oder den Kardashians für einen Post die Lage in Kriegsgebieten konstruktiv verbessern soll, scheint dabei komplett nachrangig – viel eher geht es darum, Teil von einem der vielen Mobbing-Flashmobs zu seien. Öffentliche Personen für eine differierende Sicht auf die Dinge zu drangsalieren. Frieden schaffen geht dann doch anders.

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Solidarität

Ohne Wenn und Aber: Das Ringen um Solidarität mit der Zivilbevölkerung in den palästinensischen Gebieten ist genauso notwendig wie legitim. Wer allerdings Angriffe auf jüdisches Leben in Europa (und anderswo) als eine Protestform deklariert, entlarvt die eigene Motivation als Antisemitismus.

Gerade auch die alternative Clubkultur findet sich seit dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 als Stellvertreter-Schauplatz des Nahost-Konflikts wieder. Aktuell sind etablierte linke Konzertlocations ins Visier israelfeindlicher Boykott-Bestrebungen geraten. Die Folge: Konzertabsagen und wirtschaftliche Schieflagen der Clubs. Immobilienfirmen dürfte es freuen, wenn die Chancen wachsen, sich Kulturorte in den Innenstädte einzuverleiben.

Ich habe mit Vertreter:innen von drei betroffenen Clubs gesprochen. Bei jenen Clubs handelt es sich dabei um das ://about blank in Berlin, das Conne Island in Leipzig, das Hafenklang in Hamburg.

Hier folgen nun Auszüge: Wer sich für die Interviews in ganzer Länge interessiert – ich stelle sie euch parallel auf dem kaput-mag zur Verfügung.

Das Hafenklang in Hamburg // Foto: privat

Hafenklang: „Ich hätte mir nie ausmalen können, für meine Kulturarbeit mal so beschimpft zu werden“

Hafenklang … Der subkulturelle Treffpunkt ging aus den Hafenklangstudios der 1970er-Jahre hervor. Heute beherbergt es neben der Bar zwei Auftrittsräume sowie Unterkünfte für Bands. Das Hafenklang liegt, wie der Name es bereits preisgibt, direkt am Hafen, nur ein paar Schritte bis zur Elbe.

Was ist gerade los bei euch im Hafenklang?
THOMAS LENGEFELD: So einiges. Bis zum Sommer waren die Anfeindungen eher subtil, nicht wirklich greifbar oder zumindest noch zu händeln, doch seit Herbst hat es immens an Fahrt aufgenommen. In den letzten vierzehn Tagen beispielsweise gab es acht Komplett-Absagen, also dass der Headliner gecancelt hat. Außerdem noch zwei Support-Acts. Das waren ausschließlich Bands aus dem englischsprachigen Raum, USA und England.

Aber los ging die Sache schon früher?
Ja, einer unser Booker, der vor allem DIY-Punk-Geschichten macht, hatte schon im März bei einer Besprechung darauf hingewiesen, dass in Leipzig alteingesessene Konzertläden wie das Zoro und das Conne Island aktuell sehr große Probleme mit dem Thema Israel/Palästina haben. Wenige Tage später meldete sich eine Freundin von mir aus Berlin, die sehr gut vernetzt ist in der Szene und sagt, sie sei im Netz auf eine bundesweite Liste gestoßen mit Läden, von denen gesagt wird, Bands sollten diese nicht mehr ansteuern, wir seien dort auch aufgeführt. Wir waren nicht sicher, wie wir darauf reagieren sollten. Wir sind ein Kollektiv und haben eher gemeinsame Grundwerte als eine einzige politische Meinung. Hätten wir jetzt ein Statement rausgeben sollen: „Stoppt den Krieg“? Das schien uns aber wenig zielführend. Also haben wir diese Ausläufer, die im Frühjahr uns schon trafen, versucht zu ignorieren – und lieber weiterhin unseren eigenen Maßstab hinsichtlich No Gos bei Konzerten stets von Fall zu Fall anzulegen.

Was sind denn No Gos bei Hafenklang-Konzerten?
Fahnen jedweder Nation gehen bei uns nicht – das ist eine Policy im Hafenklang schon seit der Fußball WM 2006. Du kannst dich aber natürlich Palästina-solidarisch auf der Bühne äußern, solange es nicht darum geht, die Leute zu agitieren und einen Auftritt in eine politische Veranstaltung zu überführen. Sowas kann an einem Abend natürlich fließend sein. Daher haben wir gemerkt, dass wir rote Linien für uns als Kollektiv erstmal festlegen müssen. Denn oft ist es so, dass jemand die Konzerte bucht, aber an dem Event selbst nicht vor Ort ist, sondern die jeweilige Crew das durchführt. Da kannst du schlecht verlangen, dass jemand an der Theke deine Schmerzgrenze hinsichtlich politischer Statements durchsetzt, die vielleicht gar nicht seine oder ihren eigenen sind. Daher gab es bei uns dann eine Vollversammlung des Vereins. Das sind sehr unterschiedliche Leute aus unterschiedlichen Ländern auch, sollte man wissen – und etliche sehen sich auch als pro-palästinensisch. Wogegen überhaupt nichts einzuwenden ist. Diese Sitzung habe ich anmoderiert mit der Frage, ob es denn Stimmen gäbe, die das Existenzrecht Israels nicht anerkennen würden. Nein, gab es nicht. Okay, da hatten wir ja schon mal einen ersten Konsens gefunden, der auch Äußerungen wie „From the river to the sea“ umfasst, weil dahinter ein genozidaler Gedankengang von der Auslöschung aller Juden in Nahost steht. Keine Homophobie, keinen Sexismus, keinen Faschismus fanden sich natürlich ebenfalls als Schnittmenge neben der no-flag-policy. Das waren unsere gemeinsamen Ableitungen, wir wollten uns dabei unbedingt nicht in zwei Lager aufteilen lassen. Diese Lagerbildung wird der komplexen Sache doch überhaupt nicht gerecht. Für uns war das intern eine wichtige Selbstfindung. Nach außen haben wir uns nicht geäußert und die vereinzelten Aufrufe gegen uns schienen auch wieder einzuschlafen über den Sommer.

Und dann?
Bis Mitte September passierte nichts. Doch seitdem geht es richtig los. Inzwischen ist das wirklich so krass, dass das Festnetztelefon im Büro klingelt und Agenturen dran sind, die uns erzählen, sie wurden von amerikanischen Acts darauf hingewiesen, dass wir ein „Zionisten-Faschistenladen“ seien und ob man denn wirklich noch mit uns zusammenarbeiten würde – und wenn das so wäre, würden sie nicht mehr mit der Agentur zusammenarbeiten. Im Zuge dessen werden nun diverse Auftritte abgesagt. Von etlichen Acts bekommen wir auch mit, dass sie natürlich nicht an dieses Narrativ glauben, das man uns da überstülpen will und dass sie mit ihrer Absage ganz sicher nicht hinter einer Ideologie stehen, die Israel auslöschen will. Viel eher sagen die Bands, „wir müssen gucken, dass wir nicht auf der nächsten Liste stehen …“ Das hat sich bei uns im Booking dann alles so hochgeschaukelt, dass wir gedacht haben, okay jetzt müssen wir dieses Statement raushauen.

 

Dabei benötigen alternative Konzertorte wie das Hafenklang, Conne Island oder das ://about blank eigentlich gar keine Shitstorms, um unter Druck zu stehen. Ökonomisch ist es an sich schon nicht leicht in den gentrifizierten Großstädten. Dieser Vernichtungswunsch gerade auch innerhalb der eigenen Szene ist sehr bitter.
Ich weiß auch nicht, wo diese ganzen amerikanischen Underground-Bands, die jetzt bei uns abgesagt haben, in zwei, drei Jahren spielen wollen in Deutschland. Mit dem bloßen Plattmachen von linken Auftrittsorten wächst ja kein einziger nach. Der Subkulturstandort Deutschland ist gerade gehörig am Wackeln – aber dass das jetzt auch unabhängig von Geld abläuft, das ist schon schwer auszuhalten.

Das Geld spielt bei diesen Ereignissen in zweiter Linie dann aber doch eine Rolle, oder?
Klar, diese abgesagten Konzerte der letzten zwei Wochen, das hinterlässt Spuren. Du musst für 13.000 Euro bereits gekaufte Tickets wieder auszahlen an die Leute, die die Acts gern in Hamburg gesehen hätten. Dazu kommt der Umsatzverlust an den betroffenen Abenden und ganz viel von der Vorarbeit ist natürlich für die Katz.

Was braucht ihr konkret jetzt? Wie kann man als Sympathisant:in von alternativen Konzertläden tätig werden?
Ich weiß nicht … Das Internet abschaffen? [lacht] Das wäre auf jeden Fall eine Maßnahme! Mich nimmt das wirklich mit, dass so viele Underground-Acts aus den Staaten mit Getöse absagen und jetzt schicke ich ihnen unser Statement zu – und dann kommt nichts mehr. Um einen Austausch scheint es augenscheinlich selten zu gehen. Natürlich hat es uns im Gegenzug gefreut, wie viele zigtausend Herzchen und aufmunternde Kommentare eingingen, nachdem wir das jetzt alles öffentlich gemacht haben. Da fühlt man sich schon mal etwas weniger isoliert. Ansonsten gilt natürlich, kommt zu all den Konzerten, die stattfinden und lasst euch nicht runterziehen von all den Entwicklungen, seid solidarisch.

 Das komplette Gespräch zum Hafenklang findet ihr hier zum Nachlesen.

Im Hof des ://about blank in Berlin. Foto: Bastian Bochinski

://about blank: „Als wäre es ein Erfolg, linke Ort zu zerstören“

Ihr habt zuletzt eine viel beachtete Soli-Party abgehalten. Hintergrund: Wie war diese Veranstaltung für euch, wie habt ihr die Solidarität wahrgenommen?
Die Veranstaltung war ein voller Erfolg: Wir waren überrascht vom Gästezustrom, der uns an die Zeit vor der derzeitigen Krise der Berliner Clubkultur erinnert hat. Es sind viele bekannte Gesichter gekommen, die wir zum Teil schon sehr lange Zeit nicht mehr im Club gesehen haben, aber auch viele neue Gesichter, die sich durch ihren Besuch solidarisch mit uns und unserer Haltung zeigen wollten. Das gibt uns Kraft, trotz der widrigen Umstände weiterzumachen, also linke Utopien in gelebte Praxis umzusetzen. Und es macht uns Mut, dem durch Boykotte und Canceling um sich greifenden Klima der Angst etwas entgegenzusetzen.

Dann die Frage, warum ist so eine Veranstaltung nötig geworden? Was hat sich verändert bei euch – seit dem 7. Oktober 2023?
Diese Party ist notwendig geworden, weil wir seit jenem 7. Oktober nicht nur verstärkt mit Boykotten und Cancelings umgehen müssen, sondern auch physische Attacken auf den Club in Form von Fäkalienwürfen, Buttersäure und Sprühereien erleben. Inzwischen gibt es sogar Aufkleber gegen das ://about blank, die ironischerweise die Enteignung jenes Clubs fordern, der ohnehin der einzige in Berlin ist, der sich nicht in Privateigentum befindet, sondern genossenschaftlich betrieben wird. Durch all diese Vorgänge herrscht in Bezug auf das ://about blank, aber auch darüber hinaus und in der gesamten Breite der Clubkultur, also bei DJs, Gästen, Agenturen und Veranstalter*innen, eine starke Verunsicherung. Die Angst vor negativen Konsequenzen sowohl für die eigene Karriere als auch die eigene psychische Verfasstheit (Stichwort: Shitstorm) greift um sich und hat zur Folge, dass DJs und Agenturen nicht mehr mit uns zusammenarbeiten wollen. Gleichzeitig erleben wir sowohl eine Zunahme von Antisemitismus als auch eine Zunahme von Rassismus. Der Rechtsruck in der Politik führt zur rassistischen Zuschreibung eines angeblich „importierten“ Antisemitismus, was im Land der Täter*innen der Shoah ein ungeheuerliches Narrativ ist, als auch zu einer diskriminierenden Abwehr palästinensischer Perspektiven. Im politischen Aktivismus, auch und vor allem wenn er nur bauchlinks ist, stellen wir einen Hang zur Simplifizierung von komplexen Problemen fest, was quasi eine Übernahme von Strategien von rechten und populistischen Bewegungen ist. Das spiegeln Parolen wie „Free Palestine from German Guilt“ oder „It’s not complicated, it’s genocide“ auf sehr eindrückliche Weise wider.

Die entsetzlichen Bilder des Krieges zwischen IDF und Hamas in Gaza und nun auch mit der Hisbollah im Libanon, das Leid der Zivilbevölkerung dort veranlasst viele Menschen, sich solidarisch mit den Betroffenen zu zeigen. Das ist empathisch, nachvollziehbar und wichtig. Die Bilder vom unfassbar grausamen Massaker der Hamas am 07.10. haben hingegen innerhalb der Clubkultur nur wenig öffentlich wahrnehmbare Anteilnahme ausgelöst – vielmehr wurden sie teilweise geleugnet, verharmlost, gerechtfertigt oder sogar abgefeiert. Das kommt nicht von ungefähr: Bewegungen und Kampagnen wie der BDS, Masar Badil und die Muslim Bruderschaft waren mit ihren Aktivitäten in den letzten Jahren offensichtlich erfolgreich. Selbst wenn die Menschen es gut meinen und in vermeintlicher Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung agieren, reproduzieren sie dabei mitunter antisemitische Stereotype, laufen Seite an Seite mit Islamist*innen und Nationalist*innen und gehen womöglich einer islamistischen Ideologie auf den Leim. Die Stoßrichtung dieser Zuspitzung und Simplifizierung des Konflikts ist die Polarisierung: so ist man entweder „gegen den Genozid“ oder aktive*r Unterstützer*in dessen. Dieser Logik wollen und können wir nicht folgen. Wir lehnen sie ab und wir wissen, dass wir damit nicht alleine stehen. Aber durch das Klima der Angst fehlt vielen Menschen der Mut, sich mit uns dagegen zu positionieren. Dieses Klima wollen wir, unter anderem auch durch Veranstaltungen, durchbrechen.

Wie erlebt ihr den Austausch mit den Bands, die angegangen werden, ihre Konzerte abzusagen? Sind die für Gespräche offen oder sind sie eher eingeschüchtert und fürchten selbst Outcalls?
Es ist wichtig zu betonen, dass bei uns neben den DJs und Künstler*innen auch die Veranstalter*innen angegangen werden. Bei Absagen von DJs und Agenturen bekommen wir in der Regel keine Gründe genannt. Das passiert mehr, wenn der Gig eigentlich kurz bevorsteht. Wir bieten Gespräche an, sie werden aber oft nicht angenommen. Aber das Angebot ist und bleibt wichtig und wir setzen es fort. Das Problem ist, dass die Einschüchterung einerseits real ist, es kommt zu Shitstorms und Outcalls, was für die Betroffenen eine Belastung und ein Aufwand ist. Andererseits ist sie virtuell in dem Sinne, dass die bloße Angst vor möglichen Konsequenzen zur Selbstzensur führt. Immer weniger Leute trauen sich, sich der Einschüchterung zu widersetzen. In dem Moment, wo die Kampagne sich so verselbstständigt, ist sie am effektivsten. Das ist fatal.

Wie kann man euch seitens des Publikums unterstützen in dieser Sache?
Der einfachste Weg, uns zu supporten, ist unseren Club zu besuchen. Oder unsere leicht augenzwinkernde Risikokapital-Kampagne zu unterstützen. Darüber hinaus hilft uns gerade aber am meisten, wenn Menschen den Mut haben, Lügen und falsche Behauptungen über das ://about blank zurückzuweisen und sich positiv auf den Club und auf das, was er in den letzten 15 Jahren geleistet hat, zu beziehen. Uns wird es so lange geben, wie es Menschen gibt, die schätzen, was wir machen, die uns verteidigen und mit uns für ein besseres Morgen streiten. Hilfreich ist auch, wenn Leute hinterfragen, wo angebliche Informationen herkommen. In der „Stillen Szenepost“ geht es ziemlich schnell, dass aus vielschichtigen Sachverhalten plumpe Aussagen werden, die nichts mehr mit der ursprünglichen Gemengelage zu tun haben und schlicht falsch sind. Aber wenn Unwahrheiten nur oft und laut genug wiederholt werden, werden sie irgendwann zum vermeintlichen Allgemeinwissen. Hier kritisch zu hinterfragen, wo bestimmte Narrative herkommen, würde einer Szene guttun, in der Kritik und Sensibilität hochgehalten werden. In unseren FAQ auf unserer Webseite begegnen wir diesen Narrativen und erklären unsere Position ausführlich.

Das komplette Gespräch zum ://about blank findet ihr hier zum Nachlesen.

Das Conne Island in Leipzig // Foto: Wikipedia

Conne Island: „Das raubt Zeit, Kraft und Ressourcen“

Conne Island … Kurz nach der Wiedervereinigung gingen die Räumlichkeiten in die Hände einer freien Trägergemeinschaft, der Club bietet Räumlichkeiten für Live-Veranstaltungen und wird bis heute autonom bewirtschaftet. Der Name spielt auf den allgemein als links gelesenen Stadtteil an, in dem das Conne Island zuhause ist: Connewitz.

Vor einiger Zeit seid ihr mit einem Statement rausgegangen. Darin zeichnet ihr nach, dass es mehr als nur Versuche gibt, dem Conne Island durch Künstler*innen-Absagen und ähnlichem Boykott zu schaden. Könnt ihr kurz zusammenfassen, was da geschieht?
Das Conne Island setzt sich seit nunmehr fast drei Dekaden mit Antisemitismuskritik auseinander. Es gibt einen israelsolidarischen Grundkonsens, bei dem gleichzeitig versucht wird, immer wieder den differenzierten Blick darauf in einem andauernden Prozess zu schärfen. Das Conne Island hat seit jeher mit Anfeindungen und auch schon mit gelegentlichen Bandabsagen zu tun, das ist also nichts Neues. Jede (Band-)Anfrage wird individuell behandelt, wobei das montägliche offene Conne Island Plenum als alleiniges Entscheidungsorgan im Konsensprinzip fungiert. Kommt es zu kontroversen Anfragen oder auch bei schon bestehenden Bookings, dann suchen wir aktiv die Auseinandersetzung, gehen in den Diskurs und prüfen zum einen die Anfrage auf Conne-Island-Standards und zum anderen versuchen wir auch aufzuklären und einen gemeinsamen Konsens zu finden.

Seit dem 7. Oktober 2023 kommt es gehäuft zu Bandabsagen. Der Trend geht hin zur kommentarlosen Absage und weg vom Diskurs. Seit 2019 steht das Conne Island (neben dem Berliner Club ://about blank und dem Hamburger Kultschuppen Golden Pudel) auf der offiziellen BDS-Liste und es wird aktiv zum Boykott aufgerufen. Wir vernehmen, dass dieser Aufruf das Conne Island zu boykottieren nun aktiver genutzt wird von Aktivist:innen. Künstler:innen und Agenturen berichten von Nachrichten, die sie in Bezug auf ihren geplanten Gig im CI erhalten, die sie selbst unter Druck setzen und zur Absage bewegen wollen. Die Nachrichten sind mal bessere und mal schlechtere copy/paste-Passagen von der BDS-Official-Seite, aber im Groben können wir sagen, dass die Nachrichten auf dieser Seite und dem Aufruf beruhen. Die Nachrichten erreichen die Künstler*innen, Bands, Agenturen und sogar einige Managements per Mail, als Direktnachrichten über Social Media, aber auch öffentlich einsehbar über die Kommentarspalten, vorwiegend bei Instagram. Zudem gibt es noch eine lokale Conne-Island-Boykott-Seite und eine Instagram-Page, die sogar damit wirbt, welche Acts ihre Show im Conne Island gecancelt haben, wenngleich die Motivation dahinter (seien es politische Gründe oder Angst) verschwiegen werden. Die beiden Seiten möchten wir an dieser Stelle nicht benennen, da wir ihnen nicht noch mehr Aufmerksamkeit schenken wollen. Dennoch muss erwähnt werden, dass sich einige Wenige sehr viel Mühe geben, das Conne Island zu boykottieren und leider muss auch konstatiert werden, dass es wirkt.

Ist dieser Konflikt ein aktuelles Ereignis oder begleitet er euch schon länger?
Der Konflikt begleitet das Conne Island seit circa zehn Jahren intensiver. Vorher waren es nur Einzelfälle und vor allem im UK-DJ-Bereich oder auch mal amerikanischer HipHop-Szene zu verorten. Seit dem 7. Oktober und dem Überfall der Hamas auf Israel begleitet uns der Boykott tagtäglich.

Ist es klar ersichtlich, wer diese Kampagne gegen Läden anschiebt, die sich gegen Antisemitismus aussprechen, oder erfährt man das alles nur indirekt?
Am offensichtlichsten ist natürlich die BDS-Official-Seite, deren Aufruf und Narrative von Aktivist:innen verbreitet werden. Wir wissen aber auch von Einzelpersonen aus Leipzig, sowie Personen von Agenturen aus UK. Ausschlaggebend sind vor allem die – auf den ersten Blick – anschlussfähig erscheinenden und stets mit dem moralischen Kompass spielenden verkürzten Narrative, die von eben jenen Personen unhinterfragt verbreitet werden. Überspitzt gesagt, ist 30 Jahre antifaschistische Arbeit in einem Bundesland wie Sachsen nichts mehr wert, wenn es um das Existenzrecht Israels geht.

Wie schätzt ihr es ein, gibt es ein Interesse der Initiatoren dieser Kampagnen an einem Dialog oder geht es schlicht um Auslöschung von Orten, die sich auch gegen Antisemitismus positionieren?
Es muss unterschieden werden zwischen Menschen mit einem geschlossenen Weltbild zu dieser Thematik und Leuten, die zumindest ein Interesse an einem Austausch zeigen. Für uns steht der Diskurs darüber im Mittelpunkt und wir wollen auch weiterhin ein Ort für Diskussion und Streit bleiben.

Wie erlebt ihr den Austausch mit den Bands, die aufgewiegelt werden sollen, ihre Konzerte abzusagen?
Das ist ganz unterschiedlicher Natur. Einige werden so sehr unter Druck gesetzt, dass sie aus Angst absagen. Gerade LGBTQI* trifft es hier besonders. Es wird ein Angstraum aufgebaut mit Drohgebärden, dass Acts teilweise keine andere Wahl haben als abzusagen, da nicht nur mit weiteren Gig-Absagen zu rechnen ist, sondern auch das persönliche Wohl nicht mehr gewährleistet werden kann. Andere hingegen fragen nach und wir können aufklären und uns auf einen gemeinsamen Abend freuen. Wieder andere sagen sofort ab und uns bleibt die Chance auf Dialog von vornherein verwehrt. Was wir aber sagen können, ist, dass sich die Auseinandersetzung lohnt und die meisten der Kontaktaufnahmen wirklich wertvoll sind.

Wie kann man euch seitens des Publikums unterstützen in dieser Sache?
Diese Frage kommt glücklicherweise zum richtigen Zeitpunkt. Aus finanzieller Sicht haben uns die Boykott-Aufrufe doch ganz schön zugesetzt und wir haben uns entschieden, mit einer Crowdfunding-Kampagne an den Start zu gehen. Wir freuen uns über Support, Verbreitung und natürlich Spenden! Von Seiten des Publikums wünschen wir uns weiterhin Unterstützung mit Besuchen im Conne Island. Weiter wollen wir alle ermutigen, vielleicht auch mal ein Wort an die Lieblingsband zu richten, wenn es leider zu einer Absage kommt und das Konzert plötzlich verschoben wird. Wir würden gern noch zahlreiche weitere Konzerte mit euch erleben und freuen uns auf alte und neue Gesichter im Conne-Island-Saal!

Das komplette Gespräch zum Conne Island findet ihr hier zum Weiterlesen.

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