Das neue Album der sanften Franzosen von Air entstand in Los Angeles. Ausgerechnet mit altem Equipment von Mötley Crüe.
Wuchtige Technotöne, keifender Rock oder rauer HipHop geben in weiten Teilen der Musikszene den Ton an. Was können zwei sensible Franzosen dagegen schon ausrichten? Eine ganze Menge, wie sich herausgestellt hat. Jean-Benoit Dunckel und Nicolas Godin alias Air sorgten mit ihrem Album „Moon Safari“ (1998) für eine Wende. Wenigstens dieses eine Mal durfte Popmusik sanft und verführerisch sein. Air hatten Melodien für den irdischen Gebrauch geschrieben, verfügten aber auch über einen Sound, der sich bis in die Weite des Universums auszudehnen schien. Selten wurde die Distanz zwischen Pop und Kosmos so traumhaft überbrückt wie mit dieser Platte. Publikum und Kritik waren losgelöst vor Glück. Mit einem Mal hatten Dunckel und Godin den Fokus auf französische Musik gelenkt. Doch wollten sie aus dem Land der Gallier keine Grande Nation des Pop machen, die in kreativer Hinsicht gegen den Rest der Welt kämpften sollte.
Im Gegenteil. „Was sonst noch so an Musik aus unserem Land kommt, ist für uns nicht interessant. Jeder, der will, kann wie Daft Punk ein Disco-Sample nehmen und es herunterloopen. Das hat nichts mit Musik zu tun. Gute Musik muss die Fantasie anregen“, definierte Godin vor gut drei Jahren sein persönliches Popverständnis. In der Folgezeit blieben Air – tatsächlich nicht in Paris hängen. Als sich durch den unerwarteten Erfolg von „Moon Safari“ die Gelegenheit zu einer Welttournee ergab, hüllten Dunckel und Godin sich mit ihren Live-Musikern ganz in Weiß und lenkten die Musik in Richtung Prog-Pop – das Projekt Air nahm zeitweise wunderliche Züge an. Unterwegs, irgendwo auf dem Globus, entstand dann die Idee, den Soundtrack zu dem düsteren Film „The Virgin Suicides“ zu produzieren. Die Arbeit daran sollte ein künstlerischer Einschnitt werden. Wo Air vorher nur ieb und romantisch klangen, waren sie nun ein klein wenig ungezogen. Dunckel: „Wir wollten weg vom Easy Listening und den 70er-Jahre-Kitsch-Elementen auf,Moon Safari‘. Bei der Entstehung von ,The Virgin Suicides‘ wurde uns klar, dass die Musik eindringlicher klingt, wenn wir trashige Töne mit ästhetischen Sounds mischen. Das macht uns sicher merkwürdiger – aber auch attraktiver.“ Für Godin hat „Moon Safari“ eine Frische und Unschuld, die nie verblasst. Es habe aber keinen Sinn, meint er, diese Phase heute weiter am Leben zu erhalten.
Godin zieht einen Vergleich heran: „Das ist wie mit einer Frau. Hat man mit ihr einmal einen magischen Moment an einem bestimmten Ort erlebt, sollte man nie an diesen Ort zurückkehren. Will man mit der selben Frau ähnliche Magie wieder entstehen lassen, muss man woanders hinfahren.“ Im Falle von Air hieß dieses Woanders Los Angeles. „Eine Stadt, wie sie gegensätzlicher zu Paris nicht sein kann“. Das wurde Godin bei den Aufnahmen zum neuen Album („10.000 Hertz Legend“) deutlich bewusst. Schon die Art und Weise, wie in Kalifornien Musik gelebt werde, sei ein positiver Anreiz gewesen, dort aufzunehmen. Zudem seien die Music Stores mit ihren vielen ausrangierten Geräten eine wahre Fundgrube: „Wir sind stets auf der Suche nach interessanten Instrumenten. Sie können eine Platte entscheidend beeinflussen.“ Wie zum Beispiel „10.000 Hertz Legend“. In einem Store hatten Air einen alten Moog-Synthesizer aufgetrieben erstanden. „Vom Ladenbesitzer wissen wir, das das Teil früher mal zum Equipment von Mötley Crüe gehörte“, erzählt Godin und fügt amüsiert hinzu: „Das sieht man auch. Normalerweise sind die Dinger furniert. Aber offensichtlich war Holz für eine Hardrock-Band nicht erlaubt. Jedenfalls haben die Crües das Ding schwarz angemalt.“
Aber nicht nur Maschinen, auch Musiker aus Los Angeles sind auf dem neuen Album von Air vertreten. Zweimal ist Beck zu hören, und einmal gastieren die in L.A. lebenden, japanischen Electro-Girlies von Buffalo Daughter. „Die Leute in dieser Stadt sind total verrückt nach Musik und drücken sich auch so aus. Gleichzeitig arbeiten sie aber sehr professionell, wenn es darum geht, Musik aufzunehmen. Dieser Gegensatz ist sehr inspirierend und hat uns viel Energie gegeben“, schwärmt Dunckel. Dennoch bleiben er und sein Kompagnon Godin ihrer Heimat treu. Ihr Label Record Makers hat seinen Sitz in Paris. Fördern Air damit nicht eine Szene, von der sie früher nicht viel hielten? „Stimmt, aber das Niveau hat sich verbessert. Die Musiker sind selbstbewusster geworden und vertrauen mehr ihrem Instinkt. Das wollen wir unterstützen. Wenn wir irgendjemandem als Beispiel dienen können, dann haben wir etwas richtig gemacht.“
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