Das Leitmedium hinkt


Auch Jahrzehnte danach wartet die Welt noch auf einen zeitgemäßen Nachfolger für den programmatischen Buggles-Hit „Video Killed The Radio Star“. Spätestens 2008 hätte es so weit sein müssen. An Videokassetten erinnern sich zwar kaum mehr die Älteren unter uns, aber das „Video“ im Wortsinn von „ich sehe“ erlebt derzeit seine Hochzeit – längst entkoppelt von der klassischen Glotze. 2008 wird als das Jahr in die Geschichte eingehen, da das Fernsehen seine Rolle als „Leitmedium“ endgültig an das Internet abtreten musste.

Besonders deutlich wurde das vor und während der US-Wahlen. Wie keinem Politiker vor ihm ist es Barack Obama gelungen, vor allem über das Internet junge Wähler zu motivieren. Darunter waren nicht nur die üblichen Nerds, sondern auch solche, denen das Angebot der quasi gleichgeschalteten US-Sender (Fox News, anyone?) gegen den Strich ging. Hier gilt: Je jünger, desto anspruchsvoller sind die Mediennutzer, was die Inhalte angeht. Wer 2008 echte Informationen und einen Hauch von Aufklärung wollte, musste nur den Fernseher ausund den Computer einschalten. Da konnte es sein, dass das, was bei moveon.org oder YouTube zu sehen war, mehr Relevanz hatte als die Nachrichten, vom Unterhaltungswert ganz zu schweigen. Das Internet ist als hybride Kommunikationsplattform über die üblichen Kriterien erhaben. Quote? Auflage? Fremdworte im Web.

Dem kommt entgegen, dass das Surfen eine wenigstens teilweise aktive Tätigkeit ist, gemessen am rein passiven Medium TV. Hier lassen sich Inhalte nicht nur konsumieren, sondern auch selbst zusammenstellen. Umso rührenderwirkt es, wenn Sender ihren üblichen Kram fürs Netz aufbereiten, wie das ZDF mit seiner „Mediathek“. Tatsächlich ist es so, dass immer mehr Kreative das Fernsehen umgehen, um ihre Arbeit selbst ins Netz zu stellen (siehe southparkstudios.com und ulmen.tv) ganz so, wie Radiohead es fürs Musikgeschäft vorgemacht haben.

Als Tag der Kapitulation des Fernsehens darf die Wahlnacht vom 4.11. gelten, als nicht nur in Deutschland zu beobachten war, wie Fernsehjournalisten auf Laptops starrten und in die Kamera raunten, „im Netz“ wisse man schon mehr. Ein Trostpflaster für TV-Junkies bleibt, denn bis heute gilt ein Gesetz, das der Altphilologe Wolfgang Riepl 1913 aus Betrachtungen über das Nachrichtenwesen der alten Römer ableitete. Demnach können Medien, „wenn sie einmal eingebürgert und für brauchbar befunden worden sind, auch von den vollkommensten und höchstentwickelten niemals wieder gänzlich und dauerhaft verdrängt und außer Gebrauch gesetzt werden (…), sondern sich neben diesen erhalten, nur daß sie genötigt werden, andere Aufgaben und Verwertungsgebiete aufzusuchen.“