Das Debüt des Jahres – Rainbirds
Plötzlich stehen sie im Rampenlicht. Eine deutsche Band, bislang allenfalls in Berlin bekannt, glänzt gleich auf ihrem ersten Album mit einem musikalisehen Niveau, das deutsche Popmusik nur in ihren Sternstunden erreichte. Wer sind diese Rainbirds? Woher kommen sie? Wie soll es weitergehen? ME-Mitarbeiter Thomas Böhm fragte nach.
Die Rainbirds haben alle verzaubert. Feulletonisten aus den Printmedien, Moderatoren und Redakteure aus Funk und Fernsehen übertreffen sich in ihren Schwärmereien, auf internationale Charts justierte Musikjournalisten reißen sich um die Rainbirds, ohne vorher von der zuständigen Plattenfirma mit Süßholz beraspelt werden zu müssen.
Und wann hat es das in der Geschichte der deutschen Plattenindustrie schon einmal gegeben: Der Promotionmann der Firma bricht seinen Urlaub ab, um an einer, die Rainbirds betreffenden Sondersitzung teilnehmen zu können, in der er dann gebeten wird, sich doch bitte zurückzuhalten, weil sowieso alles von selber läuft.
Total verkehrte Welt: Der Geschäftsführer der genannten Firma Phonogram, Louis Spillmann, ist dermaßen begeistert, daß er sich nicht das Vergnügen nehmen läßt, während einer Kanada-Tournee die Rainbirds zu begleiten und den Roadie zu spielen. Und die „Formel Eins“, ansonsten mit Video- und Band Angeboten monatelang ausgebucht, greift sich die Rainbirds nach einem Gig und schleppt sie so schnell ins Studio, daß sie nicht mal die Möglichkeit haben, sich umzuziehen.
Wo die Rainbirds auch hinfliegen, sie hinterlassen Euphorie. Dabei handelt es sich nicht etwa um aufgepeppte Teen-Idole, schmucke Superstars oder Vorreiter einer neuen Welle, sondern um ein paar ganz „normale“ Leute, die Musik machen, als wäre das die natürlichste Sache der Welt: Musik pur, ergreifend natürlich präsentiert, ätherisch aber kraftvoll, unschuldig und doch sophisticated.
Über die Art ihrer Musik sind sich die Rainbirds-Enthusiasten so einig wie beim Turmbau zu Babel. Zur Zeit pendeln sich die Beschreibungen zwischen
den frühen Jefferson Airplane und den späten Eurythmics ein. Tatsächlich präsentieren die Rainbirds auf ihrem ersten Album ein buntes Karussell der Stimmungen, europäisch konstruiert, folkloristisch bemalt und mit südländischem Temperament beschwingt.
Auf diesem Karussel findet jeder seinen Lieblings- Rainbird, mit dem er auf Fahrt gehen kann, aber erst die Abwechslung macht sie zum Rausch. Mal traurig, melancholisch, sanft und romantisch, mal rasant, feurig, überaus rhythmisch, dann düster und atmosphärisch geladen sind die Stimmungen auf der Platte.
Katharina Franck als Komponistin hat viele gute Töne gefunden und sie zu zauberhaften Melodien gerührt. Beckmann als wuchtiger Bassist und Wolfgang Glum als feinfühliger Schlagzeuger spinnen ihren Stoff zur klingenden Seide. Ihr Sound ist dank des aufmerksamen Produzenten Udo Arndt schlicht und klar, alles kommt so rüber, wie es gemeint ist.
Insbesondere Katharinas Stimme, das eigentliche Wunder der Rainbirds. Mit Virtuosität, großem Volumen und einer fast schmerzahften Eindringlichkeit beseelt sie ihre Lieder. Dieses angeborene, dann klassisch geschulte Kapital der Band sowie die eigenartige Konstellation (Beckmann brummte früher als Hardrocker und Punk, Wolfgang Glum schlug sich als Free-Jazzer und Minimalist durch) erklären das Phänomen Rainbirds.
Plötzlich stehen sie in einem Cafe in Berlin Kreuzberg. Wir sind zum Frühstück verabredet. Sie sind zu viert. Der Gitarrist Rodrigo Gonzales ist dazugestoßen. Der Chilene lebt eigentlich in Hamburg, hat für so unterschiedliche Artisten wie Peter Herbolzheimer und die Goldenen Zitronen gearbeitet, möchte aber Tontechnik studieren.
Das finden die anderen unmöglich. Denn nach dem Abgang von Michael Kurzawa, kurz vor dem Abflug ins Studio, konnte die Gitarristenstelle bei den Rainbirds im Studio durch Beckmann und Gastmusiker nur kurzfristig besetzt werden. Für Live-Gigs und Fernsehauftritte ist Rodrigo inzwischen unersetzlich. Und sie haben ihn ja schon fast überredet.
Die Rainbirds machen einen zufriedenen Eindruck: der furiose Start törnt natürlich auch an. Haben sie mit so einem Erfolg gerechnet?
„Klar“, tönt Beckmann selbstbewußt,,. Wir sind doch nicht ins Studio gegangen, damit die Platte später als Blei in den Regalen hängt. „
„Über das Ausmaß dieser positiven Reaktionen, das Engagement der Firma und über die glänzenden Kritiken aus den unterschiedlichsten Ecken sind wir sehr wohl erstaunt“, korrigiert Katharina und zeigt mir ihren ersten Fan-Brief, von einem „ab jetzt treuen Freund“ aus Bremen.
Die Rainbirds kommen gerade aus Kanada, wo sie eine vom Goethe-Institut organisierte Tournee durchführen konnten. „Natürlich kannte uns in Montreal zuerst kein Arsch“ erzählt Katharina. „aber wir wurden als die ‚New-Folkies from Berlin angekündigt und Stadtzeitungen wie Rundfunk und Fernsehen sind voll auf uns eingestiegen.“
Wer die Rainbirds live erlebt hat, weiß, daß sie — im Gegensatz zu „androiden Popbands, die aus einem Computerprogramm selten ein gutes Live-Programm machen können – auf der Bühne nur noch gewinnen. Besonders Katharinas konzentrierte Kraft beim Singen überträgt sich und reißt die Leute von den Sitzen.
Fühlen sich die Musiker da nicht manchmal in den Hintergrund gedrückt?
„Keine Probleme“, schwört Beckmann. „Die Positionen sind festumrissen. Es ist Katharinas Material, und außerdem ist Katharina die beste Chefin, die ich kenne.“
„Und ihr der beste Hintergrund“, erwidert sie lachend.
Nach dem ersten Höhenflug wird nun zwangsläufig eine schwierige Strecke kommen, auf die sie sich aber voller Lust und Selbstbewußtsein einlassen.
„Ich wollte schon immer als Musikerin leben und professionell arbeiten, und dieses sogenannte üble Musik-Business ist mir auch noch nicht untergekommen. „
„Natürlich wird es jetzt schwer“, meint Beckmann. „Die Erwartungen vor den Konzerten sind hoch. Die Platte ist perfekt, und wir müssen zeigen, was wir auf der Bühne wirklich können. Aber wir sind vorbereitet und brauchen uns nicht mehr auf das Handwerkliche konzentrieren. Aufgeregt sind wir natürlich doch.“
Die Rainbirds müssen weiterfliegen, neues Material einstudieren. Katharina hat schon wieder fleißig getextet und komponiert. Erfolg beflügelt. Doch der unerwartet schnelle Erfolg muß behutsam umgesetzt werden. Es wäre schade, wenn das Thema Rainbirds als zeitgeistliches Tagesthema abgehandelt würde.