Das Chamäleon


Als Exzentriker verschrien, als verrückter gefürchtet, als Kult-Figur verehrt: Julian Cope haßt nichts mehr als die Norm. Doch plötzlich überrascht der komische Hellige mit einem chartverdächtigen Pop-Album. Hanspeter Künzler traf den Mann mit den vielen Gesichtern.

Schräge Vögel schillern bunter, besonders im Popbusiness. Und nirgends werden sanfte Exzentriker so herzlich geliebt, wie in Groß-Britannien. Deshalb haben die Taten des selbsternannten „Heiligen Julian“ (Albumtitel, 1986) in England seit Anfang der Achtziger stets im grellen Scheinwerferlicht gestanden, selbst, als es eigentlich gar keine Taten zu beleuchten gab, sondern nur Worte.

Worte wie: „Mit 2] Jahren merkte ich, daß ich nicht Jesus Christus bin. “ Oder: „Ich mag die Ironie, daß ich an einem Tag total beschissen ausschauen kann, und am nächsten großartig. “ Oder: „Wir haben diesen Song der heißi Man bringe mir den Kopf von Paul Weiler‘. Den haben wir aber noch nicht eingespielt.“ Julians Narrenfreiheit datiert zurück in die Tage seiner ehemaligen Band ,.The Teardrop Explodes“ deren Debut-Album mit dem majestätischen Namen „K1LI-MANJARO“ bedacht wurde, nachdem die Originalidee „Everybody Wants to Shag the Teardrop Explodes“ („Jeder will die T. E. bumsen.“) bei der Plattenfirma durchgefallen war. Damals im ultra-ernsthaften Nach-Punk-Klima war man froh um die selbstironische, witzige Selbstdarstellung der Explodierenden Tränen. Ebenso freute man sich, wie die Band gewisse Eigentümlichkeiten verloren geglaubter Hippiezeiten wieder salonfähig machte: verträumte Refrains zum Beispiel, verspielte Texte, Drogenstories.

Ein einziges Jahr und drei Singles lang hatten die Teardrops gebraucht, dann waren sie in ihrer Heimat schon Superstars. England lag ihnen zu Füssen, und nicht nur die Kultrock-Fans, sondern auch die 4]ähngenJeinkboppet. „Live waren wir immer spontan. Manchmal brillant, manchmal schrecklich, je nachdem wie unsere Drogen waren. Nur so konnten wir ertragen, daß wir die Pin-ups in so vielen Schlafzimmern waren.“

Cope’s erster Paukenschlag als Solokünstler war es. sich bei einem Auftritt in London mit einem kaputten Mikrophonständer den Bauch aufzuschlitzen. Der Sound der ersten beiden LPs – „WORLD SHUT YOUR MOUTH“ und „FRIED“ (Slang für“.im Drogenrausch abgedreht“) — klang, als sei Cope endgültig in die Swinging Sixites eingetaucht: Seltsam faszinierend und zumindest im Falle der mittlerweile legendären EP SUNSPOT brillant. So intensiv flirtete Cope damals mit dem Image des Verrücktseins, daß er drohte, seine Glaubwürdigkeit als gewitzter Kopf zu verlieren. Der Cover-Kommentar auf „FRIED“, auf welchem sich Cope nackt in einem Schildkrötenpanzer verkroch. „Namdam am I, I’m a Madman“. schien doch etwas kitschig. „Das FRIED-Cover war eine Reaktion auf all die „guten““ Ratschläge die mir meine Plattenfirma damals gab. Aber es macht mir nichts aus, wenn die Leute glauben, ich sei verrückt. Denn eine Zeillang war ich wirklich wegsetreten!“

Keine Angst: Trotzreaktionen bringt Julian auch heute noch fertig. Da wäre beispielsweise die Wahl des Produzenten fürs aktuelle Album MY NATION UN-DERGROUND: „Da war dieser A&R-Mann bei Island, ein West-Coast-Typ namens Ron Fair. Der setzte mir immer mehr zu, kam mit dem Namen daher, mit jenem, und jedes Mal mußte ich sagen: Juck off. Ron‘. Schließlich sagte der im Spaß. .Okav, dann mach ichs hall.‘ Dabei blieb es dann.“

Die Überraschung gelang in Form einer abwechslungsreichen Pop-LP, die eingängige Refrains unbekümmert mit schrägen Bläsersätzen und breit angelegten Percussion-Orgien verknüpft. In den Credits featured Cope neben Nostradamus und Nietzsche auch den Massenmörder Dennis Nielsen. „Meine Faszination für solche Menschen kommt aus meiner Angst heraus, sowas auch fertigbringen zu können. Indem ich drüber schreibe, werde ich solche Impulse los.“

Und was sagt der Meister persönlich zu NATION UNDERGROUND 9 „Mir gefällt die Idee, all die Leute die du liebst, in deinem Kelter zu versammeln und auf sie aufzupassen, wenn das Ende der Welt naht. Ich hejürchie bloß, daß ich ’s nach einer Weile nicht mehr aushallen könnte, immer dem selben ängstlichen Geschwätz vom Untergang zuzuhören.“

Wie steht’s heute mit den Drogen? „In mancher Hinsicht bin ich noch recht psychotisch, deswegen will ich keine Drogen mehr, hob ich seil einem Jahr keine mehr gewollt. Verrückt bin ich aber nicht mehr. Meine Musik scheint nur deswegen verrückt, weil rundrum alles ¿¿ so verdammt langweilig und phantasielos ist.“