Kommentar

Darum sollte man bei allen Smartphones die Kopfhörerbuchse streichen


Als Apple das iPhone 7 vorstellte, erntete der iKonzern Hohn und Spott, denn die neue iPhone-Generation musste ohne Kopfhörerbuchse auskommen. Dabei war das Streichen des Klinkensteckers genau die richtige Entscheidung.

Es ist wohl das „Feature“, das beim iPhone 7 in Erinnerung bleiben wird: die fehlende Klinkenbuchse. Seit bald einem Jahr war Apples aktuelle Version des iPhones auf dem Markt und dennoch wurde weiter gestichelt: Kaum eine Besprechung eines aktuellen Smartphones kam ohne einen Seitenhieb gegen Apple aus, wenn das rezensierte Telefon mit einer Kopfhörerbuchse ausgestattet ist, und das Lager der Android-Jünger belächelt Käufer des iPhone 7.

Dennoch war nicht damit zu rechnen, dass kommende iPhone-Generationen wieder mit einem Klinkenstecker daherkommen – und anstatt wie Samsung, die das Flagschiff Galaxy S8 weiter mit der veralteten Buchse ausstatteten, sollten es die anderen Hersteller Apple lieber gleich tun.

Die Klinke ist heillos veraltet

Smartphones legten in den vergangenen Jahren eine rasante Entwicklung hin: Achtkern-Prozessoren, mehrere Gigabyte Arbeitsspeicher und Displays, die höher aufgelöst sind als der heimische Fernseher. Vor wenigen Jahren klang ein solches Powerpaket für die Hosentasche noch nach Utopie – heute ist es keine Seltenheit mehr.

Darum sollte jedes Smartphone einen Klinkenstecker haben

Nur eine Technologie wirkt im Vergleich dazu veraltet, wird aber von Jahr zu Jahr und von Smartphone-Iteration zu Smartphone-Iteration mitgeschleppt: der Klinkenstecker. Bereits im 19. Jahrhundert kam dieser in den ersten Telefonzentralen zum Einsatz. Damals noch in der großen 6,35mm-Version, schrumpfte die Klinke für den mobilen Einsatz auf 3,5mm zusammen. Heute gehört er zu den ältesten Stücken Technik, die noch in Smartphones verbaut werden – und man fragt sich, warum.

Denn sie nimmt nicht nur wertvollen Platz im eng gepackten Gehäuse des Telefons weg, der zum Beispiel für einen größeren Akku verwendet werden könnte, sondern hat auch eine Reihe von Nachteilen, an die man sich zwar über die Jahre gewöhnt hat, die aber dennoch nicht wegzudiskutieren sind: Klinkenstecker verbiegen sich leicht, können für Wackelkontakte sorgen und die dazugehörigen Kabel verheddern sich in der Tasche oder bleiben an Türklinken hängen.

Da ist es nicht verwunderlich, dass wenn man sich morgens in der Bahn zur Arbeit mal umguckt, immer mehr Menschen sieht, die Bluetooth-Kopfhörer den klassischen, kabelgebundenen vorziehen – denn sie sind einfach praktischer und klingen inzwischen genauso gut.

Apple hat die Macht, einen Standard zu stürzen

Es ist auch nicht das erste Mal, dass Apple sich anschickt, einen Standard zu stürzen – und damit Erfolg hat. Tatsächlich haben wir die heutigen Klinkenstecker ebenfalls Apple zu verdanken. Denn als das erste iPhone 2007 auf den Markt kam, hatte es zwar einen Klinkenanschluss, dieser war aber ein gutes Stück ins Gehäuse versenkt. Das Problem: Damals waren die Enden der Stecker noch dick und klobig – und damit zu breit, um in das Gehäuse des iPhones gesteckt zu werden.

Anstatt dass Apple nun aber für die nächste iPhone-Generation diese Designentscheidung zurücknahm, knickte der Markt ein und Klinkenstecker wurden so schlank und elegant wie wir sie heute kennen. Es gibt wenige Hersteller, die in der Lage sind, einen solchen Einfluss auf eine Industrie auszuüben und wie in diesem Fall die Entwicklung von Bluetooth-Kopfhörern und einen neuen Audio-Standard zu pushen – aber Apple gehört dazu. Darum ist der Wegfall der Klinke auch ein wichtiges und eindrückliches Signal an die Hersteller von Kopfhörern und Audiotechnik, allmählich für den mobilen Markt umzudenken.

Tut nicht so, als würdet Ihr einen Unterschied hören

Ein beliebtes Argument gegen Bluetooth-Kopfhörer oder welche mit Lightning-Anschluss: Die Tonqualität sei bei der Klinke einfach besser – und verwendet man einen Adapter von Lightning zu Klinke muss man der Fairness halber sagen: Ja, das stimmt auch.

Die viel wichtigere Frage ist aber: Hört man diesen Unterschied überhaupt? Denn schließlich ist für guten Klang die gesamte Signalkette entscheidend. Wie der Digital-to-Analog-Converter (DAC), der im Smartphone verbaut ist und die Einsen und Nullen der Datei in analoge Stromimpulse umwandelt. Oder die Kopfhörer selbst, mit denen man hört.

Selbsternannte Audiophile, die auch unterwegs kristallklaren Klang haben wollen und sich einreden, den Unterschied zwischen einem Loseless-File und einer 320kbit-mp3 hören zu können, setzen auch mobil ohnehin schon auf einen externen DAC – der eben nicht durch die Klinke gefüttert wird, sondern über den Lightning- oder USB-Anschluss des Smartphones. Für solche Enthusiasten würde sich bei einem Wegfall der Klinke am Smartphone also nicht einmal etwas ändern. Wer dagegen eh nur mit den Apple EarPods Musik hört, der wird keinen Unterschied feststellen, ob man nun über den Lightning-Anschluss, Klinke oder Bluetooth hört.

Nein, an Apples Vorgehen ist nicht alles gut

Nun ist nicht alles rosig daran, wie Apple den Umstieg gehändelt hat. Während die grundsätzliche Abkehr von der Klinkenbuchse zu begrüßen ist, ist Apples Lightning-Buchse kein adäquater Ersatz.

Denn das wohl stärkste Argument gegen die Abschaffung der Klinke am iPhone ist ihr Ersatz durch den Lightning-Stecker. Während bei Android-Smartphones, die auf die Klinke verzichten (wie das Moto Z oder HTC U Ultra), die Musik durch den USB-Stecker geschleust wird, müssen Apple-Nutzer bei Kabel-Kopfhörern auf einen proprietären Anschluss zurückgreifen. Der Unterschied: Zwar sind weder Lightning noch USB offene Standards, aber während Lightning unter der strengen Obhut Apples steht, wird der USB-Standard von einer Non-Profit-Organisation gefördert und verwaltet. Für Hersteller ist es deutlich einfacher und bis zu einer bestimmten Produktionsmenge sogar kostenlos, USB in ihre Geräte einzubauen. Von daher wäre USB der deutlich bessere Nachfolger für die gute, alte Klinke.

Die Klinke ist damit nicht tot

Was gar nicht abgestritten oder schön geredet werden soll: Natürlich ist die fehlende Klinke auch manchmal umständlich. Hat man keinen Adapter, dann lässt sich das Handy nicht mehr einfach so an eine HiFi-Anlage anschließen oder damit der AUX-Anschluss des Autos füttern. Aber so ist es immer, wenn Technologien langsam obsolet werden und Platz machen für Neues: Es gibt immer diese unbequeme Phase des Umstiegs, wenn man auf einmal die Routinen ändern muss und die Dinge für eine Zeit komplizierter und nicht besser scheinen.

Aber irgendwann muss man mit dem Wandel beginnen und ob man nun früher oder später einsteigt, hat man ja immer noch selbst in der Hand. Auch wenn die Klinkenbuchse nun über mehrere Jahrzehnte der Standard war, gab es doch gerade in der Heim-Entertainment-Technik ja auch immer wieder Umbrüche: Neue Formate wurden eingeführt, andere wurden obsolet und auch nicht mehr vermisst. Oder wann habt Ihr Euch das letzte Mal darüber beschwert, dass ein Auto kein Kassettendeck mehr hat?

Wann habt Ihr Euch das letzte Mal darüber beschwert, dass ein Auto kein Kassettendeck mehr hat?

Es stimmt: Manche Technik hält gefühlt ewig – und zum Beispiel die Schallplatte schien bereits ausgestorben und kehrt nun fulminant zurück. Und obwohl sich dieser Text für den Tod der Klinke am Smartphone und konsequente Modernisierung stark macht, hat auch der Autor Zuhause noch einen klassischen Plattenspieler stehen und nicht vor, daran irgendetwas zu ändern.

Denn es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen der heimischen Anlage und dem Smartphone in der Tasche: Die HiFi-Anlage kann man ohne Kompromisse und Acht auf Größe und Mobilität zusammenstellen, Klang steht im Vordergrund. Beim Smartphone ist das anders: Viele Komponenten müssen sich auf engstem Raum arrangieren und die Telefone so kompakt gebaut werden, dass einfach kein Platz für veraltete Bauteile ist.

Musikhören auf dem Smartphone wird für eine gewisse Zeit umständlicher, aber die Vorteile einer digitalen anstatt einer analogen Signalübertragung rechtfertigen den Umstieg. Und dass die Klinke irgendwann einer neueren, besseren Technologie Platz machen wird, ist abzusehen. Je länger die Hersteller aber an dem alten Standard festhalten und den Audio-Markt weiter fragmentieren, desto schleppender und langatmiger wird dieser Umstieg – und damit auch für die Nutzer umso nerviger.

Dieser Kommentar erschien erstmals auf msuikexpress.de im Juli 2017.