Dankstelle
Eine schreckliche Seuche breitet sich aus. Sie heißt Aids (Auch ich danke sehr) und ist eine der gefährlichsten Formen von Plattencover-Umweltverschmutzung. ME/Sounds dankt dem Autor Robert Emich für seine Entdeckung des erstaunlichen Phänomens. die guten alten Zeiten, als Plattenschutzhüllen noch weiß wie unbekackte Babywindeln waren, sind unwiederbringlich dahin. Jedes verfügbare Plätzchen wird mittlerweile genutzt.
Immerhin noch mit einem gewissen Gefühl der Dankbarkeit haben wir bislang zur Kenntnis genommen, daß man uns Ausländern die englischen Texte auf dem Innencover, das eh nicht zu etwas anderem taugte, mitgeliefert hat. Information ist immer gut.
Aber dann begann die Sache irgendwie auszuarten. Songtexte? OK, wie gesagt. Deutsche Übersetzung? Auch in Ordnung – es muß ja nicht jeder jede Sprache können. Aber gleich auch die Übersetzung in Suaheli, Bretonisch und Tscheremissisch?
Nächster Punkt: Wir haben uns mittlerweile auch daran gewöhnt, daß Musiker sehr kollegiale Wesen sind. Leider trifft das für die Plattenfirmen nicht zu. Also muß jeder Rülpser, den ein Sangesbruder auf der Scheibe seines Freundes macht, mit einem untertänigsten Credit abgegolten werden: „XY appears courtesy of A-Z records“. Bei Bands mit großem Bekanntenkreis kann so schon mal eine halbe Coverseite für die Informationen draufgehen, in welchem Stall die Mitstreiter eigentlich sonst furzen dürfen.
Aber angesichts der neueren Wucherungen auf dem Gebiet der Danksagungen fliegt dir glatt das Blech weg. Ohne Dank keine Platte. Nur so läuft’s. Dabei werden gleich die Kosten für eine aufwendigere grafische Gestaltung gespart. Buchstaben sind eben billiger als Bilder.
Die schwersten Auswüchse in der Rocksparte treibt die neue Krankheit – man mag es kaum glauben – bei Guns ’n Roses. Mit 184 Danksagungen auf dem Cover ihres Albums APPETITE FOR DESTRUCTION haben die Rockstars mit dem Mülleimer-Charme beste Chancen auf einen Spitzenplatz in den Thanksgiving-Charts.
Dabei sind die 184 Dank-Stellen nur eine Annäherung. Denn neben expliziten und höchst informativen Danksagungen an Leute wie Richard Caballero („Danke, daß er Axl und Slash aus dem Knast geholt hat“),an Prisilla in den Burbank Studios (für die „großartigen Sandwiches“) oder an Alan Niven („dafür, daß er kam und uns in den Arsch getreten hat, wenn wir es nötighatten“) läßt sich nur schwer abschätzen, wie viele Priester, Bullen und Lehrer gemeint sind, denen auf dem Cover lapidar irr Kollektiv dafür gedankt wird, daß sie nie an die wilde Burschen mit den Gewehren und Rosen glaubten.
Aber es kommt noch dicker. Quincy Jones zählt auf BACK ON THE BLOCK ein ganzes Rock- und Ja-Lexikon mit 252 Namen auf. Und die Niggers With Attitude nennen auf ihrem Album STRAIGHT OUTTA COMPTON eine Litanei von 272 Namen und dazu noch einige anonyme Helfer: „All die Gang Dope-Dealer, Kriminellen, Diebe und Vandalen, Schufte. Taugenichtse. Gammler und Killer, alle Zuhälter, Alkoholiker, Frauenschänder und Stadtstreicher, die Polizisten, Irren und Gauner, die unseren Shit anhören. „Da wirken Green On Red geradezu liebenswürdig brav, wenn sie auf HERE COME THE SNAKES „allen unseren geduldigen Gläubigern“ ihren Dank aussprechen.
Vor der Sucht, sich bei Gott und der Welt bedanken zu müssen, sind auch Rock- und Pop-Ikonen nicht geschützt. U 2 unterscheiden beispielsweise auf RATTLE AND HUM gleich zwischen normalem und besonderem Dank. Auf diese Art kommen die Truckfahrer und Bus-Chauffeure nur auf ein einfaches Dankeschön, die Sumo-Ringer „all over the world“ und T-Bone Burnett für „die Wahrheit in der Dunkelheit“ hingegen auf ein „Special thanks“. Das hört sich auf jeden Fall gut an.
Was zum Teufel die Sumo-Ringer mit Bono & Co. am Hut haben und wie Burnett den Iren zur Erleuchtung verholfen hat, darüber bekommt der einsame Platten-Leser allerdings keine weitere Auskunft. Friß oder stirb.
Nach dieser Devise handeln auch die Del Fuegos. die 62mal danke sagen – aber null Information darüber, was beispielsweise der East Walpole Cash Market oder der Kinsey-Report zum Gelingen ihres Albums SMOKING IN THE FTELDS beigetragen haben. Genauso rätselhaft muß bleiben, wieso Kate Bush auf HOUNDS OF LOVE dem deutschen Filmemacher Werner Herzog Thanks zukommen läßt.
Verständlicher hingegen wirkt die Anmerkung der Dissidenten auf ihrem Album OUT OF TH1S WORLD, die einem gewissen Abdessalam Akaaboune für seine „Führung durch den Dschungel des arabischen Showbiz die Ehre erweisen. Daß Neil Young auf der Rückseite von FREEDOM gleich die ganze Adresse von Tom Fritze in Wales veröffentlicht, zeugt wohl eher von einer Mißstimmung als von Dankbarkeit. Rüben Blades hingegen hätte seinem Freund Bob vielleicht doch besser persönlich mitteilen sollen, was jetzt für alle Zeiten auf dem Cover von NOTHING BUT THE TRUTH steht: „Bob, ich denke, wir werden diesen Song irgendwann noch mal vollenden. Darauf freue ich mich. Wir haben jetzt drei Stühle. Und ein Sofa.“
Unvorbereiteten Studenten der Plattenhüllen kann es bisweilen passieren, daß ihnen Tränen der Rührung in die Augen schießen – beispielsweise beim Zehn-Punkte-Programm der Danksagung auf Bon Jovis Album NEW JERSEY. Vor allem Absatz neun rührt ans Herz: ….. unsere Familien, die an uns geglaubt haben, bevor wir selbst es taten. Und Mama, Vati, Brüder, für die ich das alles tue.“ Vorsorglich schreibt der gute Jon Bongiovi, daß er wahrscheinlich jemanden vergessen habe, aber „nur auf dem Papier, nicht in meinem Herzen.“ Ja, ja: In mancher harten Rockmusiker-Lederrüstung steckt halt doch ein sammetweiches Herz.
Den Familiensinn noch mehr auf die Spitze getrieben haben nur noch die Smithereens mit ihrem Album „11“: Sie drücken „Verehrung und Respekt für alle unsere Mütter und Väter“ ans, und liefern die Gebrauchsanweisung für den Hörer gleich mit: „Vergeßt nicht, Leute, seid gut zu euren Eltern, denn sie waren auch gut zu euch!“
Bei so viel Dankbarkeit kann man es nur noch mit den Georgia Satellites (IN THE LAND OF SALVATION AND SIN) halten, die nahtlos vom Dank in inständiges Flehen übergehen: „Gott schütze Tom Petty & The Heartbreakers! Und bitte, bitte, bitte laßt James Brown frei!“
Soll noch einmal jemand behaupten, Rockmusik hätte keine Botschaft mehr zu vermitteln.
PS: Der Autor dankt Herrn Schaber für den Fotosatz dieses Textes und allen Lesern für ihre Ausdauer.