Daniel Richter: „Deutschland hat es nie zu Glam gebracht, nur zu Clowns wie Campino“
Ihn einen "Popstar" der Malerei zu nennen, sei "Dusselkram". Und Daniel Richter kennt sich aus mit Pop. Der muss Glamour haben, anmaßend sein, uns vor den Latz knallen, fordert der Eigentümer des Buback-Labels und beschwert sich über sozialdemokratische Befindlichkeitskünstler aus der Indie-Nische.
Ein großer Maler. Beeindruckend. Aber er scheint bei jedem Interview zu essen“, steht in einem Kommentar unter dem YouTube-Video. Es zeigt Daniel Richter, der auf launige Art ein Arte-Filmteam durch sein Atelier führt. Er futtert dabei einen Apfel. Als der Maler zu unserem Gespräch an einem Winternachmittag im Berliner „Café Einstein“ erscheint, kündigt er auch gleich an, dass er unbedingt etwas essen müsse. Er hatte kein Frühstück. Er bestellt Steak Frites. Sein Körper verlange nach Fett. In unserem Interview bekommt er deshalb auch noch ein Stück Schokoladentorte unter.
Welche Bedingungen muss Popmusik erfüllen, um Daniel Richter zu gefallen?
Daniel richter: Es gibt tatsächlich ganz viele Musikphänomene, die in mir nichts zum Klingen bringen. Die ganze Rockkultur war mir immer komplett unverständlich. Von Hawkwind über The Moody Blues zu … Deep Purple. Ich greife gerade auf Dinge zurück, die ich als Jugendlicher verabscheut habe – in der Hoffnung, dass ich jetzt entdecke, was ich damals vielleicht nicht verstanden habe. Aber: Nichts. Es ist sogar noch viel schlimmer als damals. Viel dümmer noch, langweiliger, eindimensionaler, festgefahrener, schon im Entstehen so was von beschränkt.
Aber es wird doch auch Musik geben, die Dir gefällt. Was spricht Dich an?
Vielleicht eine Mischung aus Inhalt, formaler Erneuerung und – das gilt für die Kunst natürlich auch – dem sehr vagen Kriterium „Soul“. Also Seele. Glaubwürdigkeit. Aber nicht im Sinne von Authentizität, sondern dass jemand einen an einer Sprache teilhaben lässt, die sich auf die Wirklichkeit bezieht, aber dass die Person, die Band oder das Kollektiv ihre Gedanken im gleichen Maß durchdeklinieren und sich dadurch etwas Neues ergibt.
Die Stadt, in der Du aufgewachsen bist – Lütjenburg – ist kaum größer als ein Dorf. Wie haben die Leute damals auf Euch Dorfpunks reagiert?
Mit Unverständnis, teilweise Aggression.
Ihr hattet solche Reaktionen wohl auch provoziert, oder?
In erster Linie war es aber kein Dagegensein, sondern ein Unwohlsein mit dem Vorgefundenen. Es ging darum, sich selbst zu definieren, sich zu überschreiten. Um aus der Zuschreibung herauszukommen, mit der man sich unwohl fühlt.
Du sprichst von der Rolle, die die jeweilige Gesellschaft für einen vorgesehen hat?
Ja. Aber es gab auch viele Leute, „Punks“, in Anführungszeichen, die waren wie ihre Väter. Das Aufbegehren gegen Autoritäten, Rassismus etc. reproduziert schnell einen umgekehrt autoritären Geist. Das ist vor allem ein deutsches Phänomen. Ganz allgemein hat es das Verspielte, Nichtpathetische, Nicht-Protestantisch-Proletarische hierzulande wesentlich schwerer. Das sieht man auch an den Popstars, die Deutschland hervorgebracht hat. Da sind keine drei glamourösen Gestalten dabei. Deutschland hat es nie zu einem Marc Bolan gebracht oder einem Iggy Pop. Sondern höchstens zu Clowns – wie Campino, die dann Sozialdemokraten werden. Oder zu Liedermachern, die zu Sozialdemokraten werden. Oder eben Leute, die in ihrer Nische auch nur sozialdemokratische Nachdenklichkeit produzieren. Aber der deutsche Indierock ist eben auch so ein abgestecktes Claim. Dabei bedeutet Pop doch etwas ganz anderes: Du kommst vom Rand der Gesellschaft und definierst den Mainstream über dich. Wie Bowie, T. Rex oder Elvis das getan haben. Doch das hat in Deutschland nie funktioniert. Deshalb bin ich auch so ein großer Fan von 1000 Robota. Das ist die einzige junge Band, die ich kenne, die nicht diese sülzige Art von Nachdenklichkeit und Molltongesang hat. Die nicht dieses Wir-Gefühl liefern, das die Menschen wieder so zu lieben scheinen: Wir – irgendwie dagegen. Wir – irgendwie voller Widersprüche. Wir – extrem nachdenklich. Wir – irgendwie auch des Widerspruchs bewusst, dass wir immer mitmachen müssen. Ich kann das nicht ausstehen.
Sind Dir die Robota tatsächlich so ein großes Anliegen, oder spricht hier vor allem der Eigentümer des Plattenlabels Buback?
Ich sage das nicht, weil ich Label-Chef bin. Es ist tatsächlich ein Zeichen für die komplette Unfähigkeit der Indie-Kultur und der Musikjournale, dass die Qualität dieser Band nicht erkannt wird! Aber das geht wohl einfach nicht, wenn jemand behauptet: „Wir sind eine Band, wir haben ein Gesicht und wir sind progressiver als ihr.“ Dass man da den Charme nicht sieht oder auch die Chuzpe, den Größenwahn! Dass man einer jungen Band überhaupt Arroganz unterstellt, das ist Ausdruck von allertrübstem Kleinbürgerspießertum. Dabei ist es doch das, was Popmusik immer erregt hat, was an einer Band wie DAF so aufregend war: Die waren anmaßend.
Ab einem bestimmten Alter sind eine eher milde und zufriedene Haltung vielleicht noch verständlich. Aber es klingen eben auch die meisten jungen Bands so …
Es ist ein Ausdruck davon, dass wir in einer friedlichen Welt leben, auch wenn viele natürlich reale Sorgen haben … Aber es ist wohl nicht der Anspruch der Kunst, so viel Geld zu verdienen, dass man ein kleinbürgerliches Leben führen kann, um dann nur noch über dieses kleinbürgerliche Leben rumzusäuseln. In der Geschichte der Populärunterhaltung ist das nicht vorgesehen. Die Leute fangen doch nicht an, Musik zu machen, aus dem Bedürfnis heraus, Apologeten des Status quo zu werden, im Geiste der Nation, des Patriotentums, des freien Unternehmertums. Das ist eine vollkommen kranke Idee! Selbst der King hatte diese Idee nicht. Der King wollte sexuell befreite, weiße, von den Schwarzen abgeguckte Musik machen – und was anderes wollte der nicht. Unterstelle ich ihm jetzt mal.
Hierfür gibt es auch Beispiele in der Kunst: Künstler, die bestimmte Bedürfnisse bedienen, um sich vor allem eine Karriere zu sichern …
Natürlich. Und in der Kunst in Deutschland gibt es wiederum gerade da eine gewisse Entsprechung zum Pop: Die Malerei wurde nur hier so stark – wie in anderen Ländern eben eher die Performance, das Video, die Skulptur … Deutschland ist, zumindest was den Fokus der Medienöffentlichkeit angeht, strukturkonservativer. Und diese gefeierte Form der Malerei ist tatsächlich ein gutes Analogon zur Musik, weil sie eine ähnlich diffuse, träumerische, irgendwie kritische, irgendwie postmoderne, irgendwie gut gemachte, konservative Sehnsucht nach „Sinn“ befeuert hat.
Mit diesem „Comeback der Malerei“ stießen Künstler erst auf ein derart breites mediales Interesse, wie wir es heute kennen. Wie fandest Du das denn, als „Popstar“ gefeiert zu werden?
Das ist doch Dusselkram. Popstar zu sein, bedeutet ja wohl mehr, als ein paar Interviews zu geben und verschroben in der Landschaft herumzustehen. Das Celebrity-Ding wird doch erst dadurch definiert, dass die Leute dich erkennen, ohne zu wissen, was du tust. Der Einzige, der in diesem Sinne zudem in einer sehr deutschen Nachfolge steht, ist Jonathan Meese.
Als bildender Künstler darfst Du Dich – oft im Gegensatz zur Rezeption im Bereich Popmusik – zumeist mit fundierten Formen der Kritik auseinandersetzen. Bringt Dich solche Kritik als Künstler irgendwie weiter?
Ich habe Kritik immer gerne gelesen. Und die meiste Kritik ist berechtigt. Fertig. Aber es gibt natürlich Ausnahmen. Die sind meist ein wenig ideologisch gefärbt und machen sich mehr an der Medienpräsenz in Relation zu der Arbeit fest. Und dieses Thema führt auch schon wieder bis hinüber in die Popmusik. Dort gibt es bestimmte Leute, die sich besonders gerne mit dem Künstlersubjekt auseinandersetzen und zum Beispiel in Interviews erzählen, wie außerordentlich unauthentisch das ist, was sie machen. Und wie sehr sie gegen dieses männliche Songwriterding sind. Obwohl das auch nur Typen sind, die Gitarre spielen. Da denkt man dann: „Wen willst du damit beeindrucken mit diesem, Texte zur Kunst‘-Gequatsche?“ Das ist doch Blödsinn! Das sind Typen, die Musik machen, und im besten Fall stehen Leute mit Tränen in den Augen und geballten Fäusten vor der Bühne und bauen dieses große kollektive Ich …
Aber spricht denn konkret etwas dagegen, sich an solchen Künstlerbildern zu reiben?
Es gibt ganz viele überflüssige Kritiken an so einer Mutmaßung über das Künstlersubjekt. Alle wollen das romantische Künstlersubjekt zerschlagen. Das klingt progressiv, ist aber eine absolut dusselige Idee. Es ist allemal interessanter, dass es diese verschrobene Idee von Kunst gibt, als wenn wir alle nur Ingenieure einer Technik wären, in der man lernt, zielgruppenorientiert zu arbeiten.
Vor allem dürfte dieser Kritik auch gerne ein spannender Gegenentwurf folgen, oder?
Ich möchte daran erinnern, als der DJ aufkam, war das große utopische Versprechen, dass jetzt nur noch die Musik die große Rolle spielen würde. Der DJ als Abkehr vom Stagerockschweineidiot, den man mit seinem dicken Gitarrenpimmel bewundern sollte. Aber der DJ wurde zu etwas noch Öderem: ein erregierter Schlabberpimmel, der vollkommen uninteressant auf der Bühne herumsteht und trotzdem die gleiche Anpeitschfunktion hat wie noch der allerdümmste Rockshouter. Außerdem: Jeder, der das romantische Subjekt mit seinem Bewunderungs- und Pathospotenzial kritisiert, sollte sich tatsächlich darüber im Klaren sein, dass er die Möglichkeit hat, es anders zu machen.
Hast Du selbst eigentlich jemals unter Rechtfertigungsdruck gestanden, als jemand, der aus der linksradikalen, autonomen Szene kommt und inzwischen ein Vermögen mit seinen Bildern verdient?
Nein, diesen Druck habe ich nie gespürt. Das fand ich immer albern. Von der akademischen Linke kamen, auch aus dem erweiterten Freundeskreis, immer mal so Anwürfe, von wegen das sei „Kunstmarktkunst“. Das sind die Leute, die glauben, dass es einen guten Kapitalismus gibt und einen schlechten. Der gute ist im Kunstverein und wenn das meine Freunde kaufen und das Bild kostet höchstens 7000 Euro – und der schlechte fängt dann bei 15.000 Euro an. Das ist absurd. Das ist ein bisschen wie der Sell-out-Vorwurf bei Bands. Es gibt da ja viele, die One-Hit-Wonders haben und dann vielleicht noch eine zweite gute Platte – was will man mehr? Das kann man den Leuten doch nur gönnen. Da kommt auch immer so ein bisschen diese Bunker-Haltung dazu, gerade beim Indiehörer. Der möchte nicht mit anderen teilen. Wenn Sachen erfolgreich sind, heißt das doch nur, dass sie auch in der Lage sind, sich bei anderen Leuten zu etablieren.
Von solchen Diskussionen über Mainstream und Independent bleibt die Kunstszene zumindest verschont. Oder heißen da die Positionen nur anders?
Das hängt davon ab, um welche Kunst es sich handelt. Ganz viele Kunst, die richtig erfolgreiche Kunst, will nach außen – und mit erfolgreich meine ich noch nicht mal mich, da gibt es ja immer noch ein paar Hundert, die wesentlich erfolgreicher sind. Diese Kunst ist wie eine Rolex. Du kaufst dir keine solche Uhr für 140.000 Euro, wenn du die nicht zeigen willst. Die Attitüde von ganz viel erfolgreicher Kunst, also von Takashi Murakami über Jeff Koons zu Damien Hirst, um die Bekanntesten zu nennen, funktioniert über Verblüffung, Material, Aufwand und Glamour. Das ist Bling-Bling für Fabrikbesitzer. Die haben den Bentley schon, also brauchen sie etwas, was noch individueller ist.
Finanziell hat das auch bei Dir schon lange schwindelerregende Dimensionen erreicht. Manche Deiner Werke können nicht mehr für Ausstellungen geliehen werden, weil sich die Museen die immensen Versicherungssummen nicht leisten können. Was gibt es für Alternativen zu einer Kunst, die solche gigantomanischen Prozesse in Gang setzt?
Man kann andere Kunst machen. Das ist legitim und das hat es in der Kunstgeschichte immer wieder gegeben. Es hat zu Minimal Art und anderen Kunstformen geführt. Dabei ging es eben oft nicht nur um eine Kritik an der Sprache, sondern oft auch um eine Abkehr von dem ganzen System. Doch man darf nicht vergessen, bei allen Reflexionen darüber: Die Leute, die Kunst erschaffen, machen meistens was sie machen, weil sie eben genau das machen wollen.
Bevor Du als Maler aktiv wurdest, hast Du Dich als Student an der Hochschule für bildende Künste erst einmal in die theoretischen Grundlagen eingearbeitet. Heute hast Du in Wien selbst eine Professur für „Erweiterten malerischen Raum“ inne. Die Frage sei erlaubt: Was kann man als Künstler an einer Hochschule lernen?
Wenn es gut läuft, lernt man eben so ein bisschen denken und ein bisschen in Kategorien denken, und man lernt andere Künstler und Künstlerinnen kennen – und natürlich die Geschichte. In erster Linie geht es um Arbeit. Allerdings nicht im Sinne von emsig sein, sondern sich einen Begriff zu entwickeln, von dem, worauf man hinauswill. Und wenn man gut ist, wird man etwas erschaffen wollen, was der Sprache und den Bildern, die es schon gibt, ein Quäntchen Neues hinzufügt. Das Unbekannte lernt man nur dadurch kennen, dass man sehr weit an die Grenzen des Bekannten geht. Das heißt: Das Wissen ist notwendig, aber es ist nicht die Kategorie, die entscheidet, ob du für andere ein interessanter Künstler bist.
Ich habe gelesen, dass Du beim Malen viel Musik hörst …
Ja. Aber das beeinflusst die Farbwahl nicht im Geringsten. Und auch nicht das, was ich male. Höchstens meine Laune.
Welche Funktion hat Musik dann bei Deiner Arbeit?
Es geht dabei nicht um „Funktion“. Ich habe einen Beruf, bei dem ich den ganzen Tag Musik hören kann, einfach um Musik zu hören. Es ist ja nicht so, dass du beim Malen ununterbrochen in Erregung arbeitest, ganz im Gegenteil: Es ist ein langsamer Nachdenkprozess. Und das ist ideal, um Musik zu hören.
Hast Du jemals selbst Musik gemacht?
Ich habe mit 20 ein paar Mal mit einer Band gespielt. Die hat aber nur eine Single gemacht.
Immerhin.
Das war eine Noise-Band, sie hieß D-Mark.
Leute wie Rocko Schamoni oder Schorsch Kamerun, mit denen Du Teile deiner Jugend in der Provinz Schleswig-Holsteins verbracht hast, haben sich damals schon diese schönen Punk- und Kunstnamen zugelegt. Hattest Du auch einen?
Nee. Ich bin nie so geadelt worden. So was müssen ja die anderen machen.
Der Künstler
Daniel Richter, 48, geboren in Eutin, wächst in der Provinz Schleswig-Holsteins auf. Nach seinem Umzug nach Hamburg ist er in der linksautonomen Hafenstraße-Szene aktiv. Er studiert an der Hamburger Hochschule für bildende Künste und fängt, nach Tätigkeit als Illustrator vor allem für das Plattenlabel Buback, an zu malen. Bis 2000 arbeitet er abstrakt, danach wird seine Arbeit figurativer. Richter gehört zu den teuersten Malern Deutschlands, seine Bilder erzielen sechsstellige Auktionsergebnisse. Seit 2005 gehört ihm das Label Buback, das er übernommen hat, um einem Konkurs vorzubeugen (ME 2/2011). Buback geht in diesen Tagen mit Die Goldenen Zitronen, 1000 Robota, F.S.K. und Kristof Schreuf auf Label-Tour inklusive Ausstellungen in Frankfurt und Wolfsburg (s. Tourneen, S. 110).