Dancefloor Darling
Tanzmusik aus Amerika ist ohne „Jellybean“ Benitez nicht mehr denkbar. Der kleine Lateinamerikaner verhalf nicht bloß Madonna zum Durchbruch — allein in den letzten drei Jahren hatte er bei über 20 Nummer-Eins-Hits und mehr als 70 Top-Ten-Platten die Finger im Spiel. ME/Sounds-Mitarbeiter Rolf Lenz verfolgt die Traumkarriere eines Disciockeys.
John Benitez wollte schon immer hoch hinaus. Wie jeder zweite kleine Junge in der New Yorker Bronx träumte er davon, später mal Baskettball-Profi zu werden: „Die verdienen viel Geld, sind berühmt und ständig im Fernsehen.“
Doch Mutter Natur machte ihm einen Strich durch die Rechnung und ließ ihn einfach nicht groß genug werden. In Amerika gibt’s zwar auch eine Spezial-Liga für die Kürzeren im Lande, aber John sattelte lieber um: von orangen Bällen auf schwarze Scheiben.
„Ich habe erstmal lange zu Hause geübt, jeden Tag, und dann zum ersten Mal mit 16 bei Parties in der Bronx Platten aufgelegt, “ beschreibt er seinen Einstieg in die Musik. „Mit 17 war ich Klinkenputzer bei allen möglichen Discotheken, durfte schließlich in Clubs auflegen, und von da an ergab eins das andere …‘ Als Haus-DJ in legendären Tanztempeln wie Xenon, Studio 54 oder Paradise Garage lernte John jede Menge „Platten-Produzenten, Musiker und Management-Leute“ kennen und machte sich schnell einen Namen mit seinem Spitznamen („Jellybean“ heißt er wegen seiner Vorliebe für eine unnachahmliche Sorte Gummibohnen, die auch Präsident Reagan sehr schätzen soll).
„Ich wußte, wozu die Leute tanzen und was ihnen gefällt, und ich war in der Lage, das den Leuten, die mit Plattenaufnahmen zu tun hatten, begreiflich zu machen. „
Schon bald saß Jellybean selbst an den Reglern: Als Remixer bearbeitete er fertige Songs speziell für Maxi-Singles und den Einsatz in Discotheken. „Dazu nehme ich die Original Mehrspuraufnahme, höre mir alle einzelnen Instrumente an und mische sie neu ab, mit mehr Betonung auf Schlagzeug, Baß und Rhythmus überhaupt. “ Das gefiel zunächst besonders der schwarzen Tanz-Szene — John mixte für Kurtis Blow, Arthur Baker (Freeez) und Afrika Bambaataa —, aber nach den Welterfolgen „Flashdance“ und Michael Sembellos „Maniac“ wurde auch die Pop-Welt auf den Hit-Macher aufmerksam.
Alles was Rang und Namen hat, ist inzwischen von Jellybean für die Tanzfläche frisiert worden: Michael Jackson und Paul McCartney, Billy Idol, David Bowie, Whitney Houston, Sting, die Talking Heads und Huey Lewis, New Order, A-ha und sogar Barbra Streisand: die Liste ist endlos. Der ganz große Griff gelang ihm mit Madonnas „Holiday“-Single, die John in Eigenregie produzierte und beiden zum entscheidenden Karrieresprung verhalf.
Mit sowas kommt man natürlich ins Gerede — so oder so. Die Behauptung, Madonna Ciccione sei schnurstracks durch sein Bett ins Plattenstudio marschiert, verweist John ins Reich der schwarzen Fantasie von Klatschreportern. Er reduziert die jahrelange Zusammenarbeit auf die diplomatische Formel: „Ich bin in einem frühen Stadium an ihrer Karriere beteiligt gewesen.“ Kein weiterer Kommentar.
Ausgerechnet „Like A Virgin“ war eine der größten Herausforderungen an Jellybeans Talente als Remixer:
Da spielte kein Drum-Computer, sondern ein echter Schlagzeuger, der Song wurde schneller und schneller, und der Drummer spielte nicht immer dieselben Schlagfolgen. Das hört man erst gar nicht so, aber wenn du den Song dann auseinandernehmen und neu zusammenbauen willst, merkst du’s“.
Am 7. November wird Jellybean 30. Das größte Geschenk hat er sich schon vorher selbst beschert: ein Album unter eigenem Namen, sein zweites. Auch wenn er aussieht wie die südamerikanische Antwort auf Thomas Anders, bestätigt sich John Benitez auf Just Visiting This Planet keinesfalls als schmachtender Solo-Sänger, sondern in erster Linie als Produzent („dasselbe wie ein Regisseur beim Film“) und nebenbei an diversen Synthesizern und Rhythmusinstrumenten. Das Resultat: perfekte, schwarze Tanzmusik, wesentlich soulvoller als sein Debüt Wotupski vor drei Jahren.
Macht es nach 14 Jahren Disco-Nachtleben überhaupt noch Spaß, abends auf die Piste zu gehen? „Ja sicher. Aber ich gehe inzwischen am liebsten in Underground-Discos, wo mehr junge Leute sind. Die großen Glamour-Schuppen sind langweilig dagegen: Die Leute schwitzen und tanzen nicht — die sind bloß da, um gesehen zu werden.“