Dan Reed Network
Musikalische Goldtaler fallen einem oft genug in die Ohren, wenn man es überhaupt nicht erwartet. So auch an diesem brütend heißen Mittwochabend im New Yorker Grufti-Club Marquee, wo oft Mittelmäßiges den Ton in einer Lautstärke angibt, daß noch die Herren in Handschellen und ihre Dominatrixen im Sado-Club auf der gegenüberliegenden Straßenseite mitsingen können.
Obgleich die Band (im Vorprogramm von Bon Jovi) schon alle großen Hallen in den Staaten abgelutscht hat, obgleich man (als Anheizer für die Rolling Stones) vor immerhin 130.000 Zuschauern in Prag spielte, haben die fünf Burschen nicht ihre unspektakulären Anfänge als Bar-Band in Portland/Oregon vergessen. Vom Opener „Cruise Together“ bis zur dritten Zugabe, dem Titelsong der vorletzten LP „Slam“ (1989), gab es Gradeaus-Rock „n“ Roll vom feinsten. Und das mit einem Speed und einer Spiellaune, als kämpfe die Band um ihren ersten Plattenvertrag.
Wie ein Tiger unter dem Einfluß von Amphetaminen bewegt sich der in einem Sioux-Reservat aufgewachsene Reed über die kleine Bühne. Und auch das Karatetraining läßt sich nicht verleugnen, wenn er kunstvolle Löcher in die schwül-schwere Luft des Marquee kickt. Die Pluderhose dient dabei als Gradmesser der aufgewendeten Energie: Beim fünften Song, dem zusammen mit dem Bassisten an der Bühnenrampe voll Hochspannung gejammten „Seven Sisters Road“. ist der Schweißkringel unter Reeds Bauchnabel gerade mal wenige Zentimeter tief. Genau bei den drei Zugaben aber (so exakt getimt, als habe Reed es vorher geprobt) erreicht das durchgeschwitzte Tuch die Knöchel. Der vom klatschnassen Stoff kaum noch verhüllte Mannesstolz war denn doch zu einladend für eine Dame an der Bühne: Sie grapschte nach der verbotenen Frucht. Mit einem gegrinsten „Den verschenke ich nur aus Liebe“ rettete sich Reed. neuerdings wieder mit modischer Kurzhaarfrisur, zurück an den Mikroständer.
Doch Dan Reed und sein gemischtrassiges Network gaben auch so reichlich. Simple, wunderschön mit Blues und Soul aufgespacete Songs wie „Rainbow Child“ oder „Baby Now I“ (von der aktuellen LP „The Heat“), das wie ein junger Lou Reed auf „Walk On The Wild Side“ im Sprechgesang begonnene „Mix It Up“, das von harten Bass- und Drumdrives vorangetriebene „Ritual“ oder das mit Kratzstimme am Klavier selbst begleitete „Stronger Than Steel“.
Keiner der 17 Songs war ein Durchhänger, jeder ließ die glühenden Ohren nach mehr verlangen. Musikalische Goldtaler eben.