DAMALS GAB’S NOCH KEIN INTERNET


Jetzt wollte ich grad was, äh, recherchieren (wir Journalisten sagen immer „recherchieren“, wenn wir halt was nachschauen oder gugeln; das kommt einfach fresher), und stieß an Grenzen: „Dieses Video existiert nicht“, meldete das Rechengerät, als ich das Video „Wie man eine Weißwurst NICHT isst“ (don’t ask …) anklicken wollte. Ah so. Dann, muss man sagen, ist „Wie man eine Weißwurst NICHT isst“ aber wirklich eines der wenigen Videos, die nicht existieren. Eine hübsche Vorstellung, dass da noch ein paar Videos sind, die nicht existieren. Voll retro. Heute ist das Wissen der Welt ja zu jeder Zeit verfügbar, und wenn man schnell die Info benötigt, wie man eine Weißwurst nicht isst, klickt man halt ein Tutorialvideo an.

Ich erzähl euch Grünschnäbeln jetzt mal, was harte Recherche ist. Es war 1995, ich war Junior Executive Praktikant beim ME und mit der Aufgabe betraut, eine Bildunterschrift für ein Foto der Band Anthrax zu verfassen. Ja, Anthrax im ME. Es waren die Neunziger. Don’t ask. Jedenfalls hatte es, wie aus dem Platteninfo hervorging, in der Band eine Umbesetzung gegeben, auf dem vorliegenden Foto (aus Papier) war aber nicht vermerkt, ob es davor oder danach aufgenommen war und wer zum Teufel überhaupt wer war. Und jetzt der Satz, der solche Geschichten immer in einen Kontext rückt, wie wenn man Legenden aus Mittelerde erzählt: Damals gab’s noch kein Internet. Es folgten Rundfragen im Kollegenkreis. Dann im erweiterten Kollegenkreis. Dann Anruf bei der Plattenfirma. Später noch mal anrufen, wenn der Kollege, der es wissen könnte, vom Mittag zurück ist. Warten auf Rückruf. Versuch der Personenbeschreibung am Telefon. Dann das Foto auf den Kopierer legen und an die Plattenfirma faxen. Fax geht dreimal nicht durch. Warten auf Rückruf. Hm, das müssten „die Amerikaner“ wissen die schlafen aber jetzt. Vielleicht der Produktmanager, der ist grad im Meeting. Warten auf Rückruf. Etc. pp. Ich weiß nicht mehr, ob die BU je zustande kam und wenn, ob sie korrekt war. Es war jedenfalls ein Getue, wie wenn man heute die nächstbeste FIFA-Affäre aufdeckt.

Puh. Ich bin ja, ehrlich gesagt, immer noch nicht darüber hinweg, wie schäbig unsere Buam LaBrassBanda bei diesem „ESC“-Vorausscheid behandelt wurden. Haben Sie’s gesehen? Wie da die „Experten“-Jury aus Menschen, von denen in der Realität kein normaler Mensch eine Platte kaufen, geschweige denn ein Urteil über Musik abfragen würde, dafür sorgte, dass die Sortenreinheit dieser White-Trash-Veranstaltung gewahrt blieb? Ja: Ich fühle mich auch irgendwo als Bayer diskriminiert. Nur gut, dass der NDR nicht auch die Bundestagswahl ausrichten darf. Sonst säße da wahrscheinlich eine Jury aus Rainer Brüderle, Cindy aus Marzahn, dem Hamster vom Programmchef und, hey!, warum nicht auch wieder Tim Bendzko und Mary Roos!, und dürfte nach der ersten Hochrechnung ihr Votum abgeben. Wobei. Wer weiß, wofür’s gut wär.