DAF


Sie holen sich das Gold wieder. Sie holen sich die Liebeslieder wieder. Und Voka- beln wie Jung" und "stark". Ohne jegli- chen Respekt, wie sie sagen. Ende Januar starten die zwei von DAF zu einer Kurz- Tour durch die BRD. Allerdings nicht, ohne vorher noch kräftig Sonne getankt zu haben. Und noch ein paar Interviews zu geben. Wie dieses. Über Gold. Und Liebe.

DAF gehört inzwischen zu den arrivierten unter den neuen deutschen Bands. Was hat sich im Laufe von vier LPs für Euch geändert? Wie hat sich alles entwickelt?

Robert: Ich bewege mich eigentlich schon seit acht Jahren in Musikerkreisen. Ich war eine Zeit in München, Augsburg, Graz, London und Düsseldorf. Ich hab ’ne klassische Ausbildung und anschließend noch eine Jazz-Ausbildung mitgemacht. Ich hab mich in ganz verschiedenen Musikbereichen rumgetrieben. Jazz, moderne Musik für Ballett und solche Sachen. Was ich da gemacht habe, war aber immer sehr eigen. Ich hatte keine Vorbilder. Ich war auch weniger darauf bedacht, was von anderen Leuten zu spielen. Nach Noten. Da bin ich zwar während meines Studiums nicht drumrum gekommen, aber freie Sachen haben mir immer besser gefallen. Was wir damals so gemacht haben, konnten wahrscheinlich nur wenige verstehen. Wir standen aber drauf, weil für uns die Entwicklung wichtig war.“

Gabi: „Ich hab mich früher in Punk-Kreisen rum getrieben. Da sind dann solche Kunst-Leute an uns rangetreten. Die hatten uns relativ schnell entdeckt. Das waren die Ersten, die sagten: ‚Du, das ist gut‘. Wir standen eigentlich gar nicht so auf diese Künstlertypen. Aber das einzige Konzert, das wir gegeben haben, ging in einer Kölner Galerie über die Bühne. Witzig. Das war vor der DAF-Zeit.

Mich langweilte der Punk nach ’ner Zeit. Weil das so eingeschränkt war. Weil alle nichts konnten. Keiner konnte etwas. Und das ist nur für ’ne Zeit toll.

Einfach ’ne Gruppe zu sein, die man an die Wand sprüht. Die aber nie spielen kann. Die jede Woche den Namen wechselt. Das war ’76. Aber das langweilte mich. Und den Robbi langweilte die Musik, die er bis dahin gemacht haue.“

Wie habt Ihr Euch gefunden?

Gabi: „Durch Zufall eigentlich. Damals gab ’s in Düsseldorf den Ratinger Hof. Da trafen sich so Leute, die an Neuem interessiert waren. Heute ist das übrigens der letzte Schuppen. Noch in derselben Nacht haben wir DAF gegründet. Dann haben wir nach Musikern gesucht. Damals dachten wir noch konventioneller. Also suchten wir einen Gitarristen, Schlagzeuger, einen Keyboarder. Anfangs lief’s eigentlich ganz gut. Aber dann kamen so Entwicklungen auf. Also, ich war mit einigen Leuten nicht zufrieden. Außerdem war ich sehr verliebt zu der Zeit und bin erst mal weggegangen. Damals entstand die erste Platte der DAF. Erst als sich die Gruppe änderte, bin ich wieder eingestiegen.“

Eure ersten beiden Platten sind noch auf unabhängigen Labels erschienen. Die dritte, ALLES IST GUT, bei einer großen Plattenfirma. Gleichzeitig gab es einen starken musikalischen Einschnitt.

Gabi: „Das ist eigentlich sehr einfach zu sehen. Unsere erste Platte war eine Experimentalplatte. Ein Experiment, um überhaupt erstmal etwas zu machen. Die zweite (DIE KLEINEN UND DIE BÖSEN) war eine Collagenplatte. Das war unsere Lernphase. Für mich sind das unsere Nullplatten. Hinter denen stehe ich auch nicht so unbedingt. Unsere erste überzeugende Platte mit klarer Aussage und richtig straight war ALLES IST GUT.“

Welche Aussagen spiegelt für Euch denn ALLES IST GUT wider, wenn die ersten beiden noch eine Art Spielwiese waren?

Gabi: „Die Gesamtaussage war, daß wir auf einmal alles sahen. So von Gut bis Böse. Von rechts bis links. Daß wir einen unheimlich weiten Blickwinkel bekommen hatten, es aber trotzdem schafften, dies in stark konzentrierter Form zu vermitteln.“

Beispiele?

Gabi: „Das reicht von Liebesliedern, die vorher nie gemacht wurden, bis hin zu negativen Stücken. Und außerdem ist alles ohne Schnörkel, in der Form so pur wie möglich. Was wir den Leuten geben wollen, ist diese Weite, die wir entdeckt haben. Und das in einer signalhaften Form.“

Kommen wir mal auf Euer Stück „Mussolini“ zu sprechen. Es gibt viele Leute, die sagen, ein Text wie „tanz den Mussolini, tanz den Adolf Hitler …“ sei faschistisch …

Gabi: Und , Tanz den „Jesus Christus“ ist christlich??

Nein, aber manche sehen in dem Stück eine Verharmlosung von furchtbaren Sachen.

Gabi: „Christus und Hitler sind harmlos. Wenn man mit ihnen spielt. Nicht in ihrer historischen Bedeutung. Als Spielzeug sind sie harmlos. Wir nehmen uns einfach die Freiheit, mit Dingen zu spielen, von denen andere sagen, daß man da mit dem Feuer spielt.“

Robert: „Klar, wir haben da keine Hemmungen. Und außerdem: Wenn du das von einer höheren Sicht aus siehst, von einer höheren Warte, was kann dann daran gefährlich sein ? Das ist Geschichte.“

Gabi: „Selbst wenn das in der Jetzt-Realität auch noch gegeben ist. Meine Eltern sind während des Franco-Regimes nach Deutschland gekommen, wahre Antifaschisten. Ich kenne das sehr gut, sehr genau. Das Ding, welches man eigentlich aus Angst, Furcht oder welchen Gründen auch immer so erdrückend empfindet, daß es wie ein Denkmal ist. Ein negatives zwar, aber fast schon auf eine andere Art heilig – und dadurch lähmend. Es sitzt dir im Nacken, du denkst: ‚Ich muß etwas dagegen tun‘, und es erscheint dir so übermächtig, daß es eben lähmend wirkt. Angst und Furcht sind immer lähmend. Mut ist toll. Hitler und Mussolini und Christus und Kennedy und Schmidt und Beckenbauer gehören alle auf die Tanzfläche.“

Auf GOLD UND LEBE singt Ihr: „Kinder sind grausam, Kinder brauchen Gold“. Was steckt dahinter?

Gabi: „Das ist ganz einfach. An einer ganz bestimmten Sache sind wir sehr interessiert: nämlich an der Unschuld. Kinder sind unschuldig. Wir versuchen auch weitgehend unschuldig zu sein. Deswegen spielen wir mit verschiedenen Dingen. Kinder, die können eine Maus foltern – und dabei absolut unschuldig sein. Also absolut grausam und gleichzeitig total rein. Und daraus ergibt sich eine Form, Dinge zu betrachten, die sich von diesem westlichen Dualismus-Denken entfernt: Alles sei entweder gut oder böse. Es existiert einfach so eine Unschuld, die den Menschen darüber erhebt. Und darin hat man dann auf einmal die Freiheit, mit allem zu spielen. Du kannst es dem Kind auf keinen Fall vorwerfen, wenn es eine Maus foltert. Denn es geschieht in absoluter Unschuld. Es ist nicht böse.“

Fürchtet Ihr nicht, daß dieser Gedanke ohne Interpretation des Stücks gar nicht rüberkommt?

Gabi: „Das ist jetzt nur ein Teilaspekt. Der andere Aspekt ist der, daß Kinder oder Menschen allgemein Gold wollen. Und Gold auch dauernd propagiert wird. Mit Gold meine ich zum Beispiel auch eine Wohnung. Gold symbolisiert hier Sachen, die inzwischen zum täglichen Leben gehören, wie eben eine Wohnung. Es gibt aber auch Leute, die haben gar keine Wohnung. Sie brauchen aber eine. Und wenn denen die Wohnung genommen wird, dann werden wie in Berlin – Häuser besetzt.

Es geht aber noch viel weiter. Bei uns wird die ganze Werbungfür das Gold oder die Bonbons immer stärker. Gleichzeitig aber sinkt unser Lebensstandard rapide ab. Die Dinge werden immer schwerer erreichbar. Und dann gibt es Leute … was? Au toll. Bumm! Scheibe einschlagen. Ich nehm‘ mir diesen Kassettenrecorder. Denn ich habe überhaupt kein Geld dafür. Das kann aus einer absoluten Unschuld heraus passieren. Da ist Gold – und das will ich jetzt. Wie ein Kind.“

Robert: “ Unsere Gesellschaft ist auf der einen Seite eine Überluxus-Gesellschaft, die ein Wahnsinnsangebot ausstellt, auf der anderen Seite aber viele Leute nicht zugreifen läßt. Weil die gar keine Möglichkeit haben, weil sie kein Geld, keine Arbeit haben und und und. Für solche Leute ist es vielleicht auf eine unheimlich naive Art normal, sich den Kassettenrecorder umsonst zu holen.“

Glaubt Ihr denn eigentlich, daß Eure Platten notwendig sind? Wollt Ihr Veränderungen erreichen?

Gabi: „Ja. Ein großer Teil der Armut, die einen sozusagen daran hindert, sich zu befreien, liegt in der Fehlinformation begründet. Oder auch am Mangel an Information. Die Masse ist ja nicht dumm, sie ist nur schlecht informiert. Und wir glauben, daß wir den Leuten sehr viel an Information bieten. Und nicht nur das. DAF will vieles für die Leute wieder zurückholen. Liebeslieder, die den Massen geklaut wurden durch irgendwelche Heinies. Die das in einer ganz falschen, pervertierten Form gebracht haben. Wir holen uns die Liebeslieder wieder. Wir holen uns das Gold wieder. Wir holen uns sogar solche Vokabeln wieder wie „jung“ und „stark“. Ohne irgendeinen Respekt davor, ob das früher mal falsch oder gut benutzt wurde. Wir geben den Leuten Sachen wieder, indem wir sie erst einmal für uns ganz wertfrei zurückholen. „

In welche Richtung möchtet Ihr die Menschen denn lenken?

Robert: „Erst einmal wollen wir die allgemeine Atmosphäre ändern, in der Menschen leben.“

Gabi: „Dazu gehört erst einmal die Wiederentdeckung des Körpers. Tanz. Rhythmus. Das muß zuerst funktionieren, damit alles andere auch läuft. Starke körperliche Musik.

Zweitens sollen die Leute von den Inhalten zum Nachdenken angeregt werden. Weil wir eben wirklich von Haß bis Liebe, von Händchenhalten bis Sado Maso, von Rot bis Schwarz, von Weiß bis Grau alles beschreiben. Und das in einer neuen Form. Auch mit einer neuen Sprache.“

Und wo liegt in diesem Sinne der Unterschied zwischen ALLES IST GUT und GOLD UND LIEBE?

Robert: „Also die Thematik von ALLES IST GUT findet auf GOLD UND LIEBE ihre Fortsetzung, obwohl ein enormer Schritt dazwischen liegt.“

GOLD UND LIEBE erscheint aber doch inhaltlich auf Zweierbeziehungen reduziert. Wo liegt da die Entwicklung?

Gabi: „Es ist ein musikalischer Schritt gemacht. Das Ganze ist fließender geworden. Bunter auch. Und der inhaltliche Schritt … das Thema auf ALLES IST GUT war noch nicht abgeschlossen. Ganz besonders nicht das Liebes- und Sex-Thema. Es wurde angedeutet. Auf der neuen Platte haben wir es, ich m ächte fast sagen, für andere Leute umgesetzt. Es gibt noch mehr Signale; Massensignale die auch, glaube ich, einen 15jährigen Bravo-Leser ansprechen. Viele Elemente von ALLES IST GUT haben wir bewußt, in leicht reduzierter Form, wiederholt. „

Ihr singt: „Ich und die Wirklichkeit“. Ein Lehrling oder Schüler hat sicherlich eine andere Wirklichkeit als Ihr. Wie sieht Eure Wirklichkeit neben der Musik aus?

Robert: „Jeder hat seine eigene Wirklichkeit. Klar. Ich mach meist jeden Tag was anderes. Ich treffe ziemlich viele Leute. Ich geh in Clubs. Abends. Vorher vielleicht essen. Alles mögliche. „

Gabi: „Bei mir ist es ähnlich. Ich habe zur Zeit keine Wohnung. Ich bin fast jede Woche in einer anderen Stadt. Wir sind sehr lustbetont.“

Im Vergleich zu früher kommt momentan bei Euch sehr viel Kohle rein. Ihr werdet von Eurer Plattenfirma von einer Stadt zur anderen gejettet. Wohnt in Spitzenhotels. Wie bekommt Euch dieser ganze Zirkus?

Gabi: „Es ist unheimlich witzig. Ich habe zum Beispiel überhaupt kein Verhältnis zu Geld. Das Geld, was ich für GOLD UND LIEBE bekomme, ist wahrscheinlich schon längst weg. Ich mache DAF, weil es mir Lust bereitet. Mir würde es absolut nichts ausmachen, morgen wieder auf der Straße zu stehen. So wie am Anfang unserer Zeit in London. Obwohl ich es natürlich schätze, daß ich jetzt in der Welt herumfliegen kann. Aber es verändert eigentlich nichts.“

Robert: „Es gibt wichtigeres als Geld. So wichtig ist Geld nicht.“

Was ist das für Euch?

Robert: „Politik zum Beispiel – persönliche Politik.“

Gabi: „Für mich ist anderes viel wichtiger als Geld; Sex auf jeden Fall, Tanzen, Leben, Sachen sehen, Freundschaft, Bekanntschaften, Erlebnisse. Kurz: Lustbefriedigung. „

Robert: „Kleine Erfolge im Privatleben. Und den großen Dingen wird man sowieso immer hinterherlaufen. Für mich ist es wichtig, in Bewegung zu bleiben. Sowas wie eine Million Platten oder ’ne Million Mark spielen dabei keine Rolle.“

Fühlt Ihr Euch heute noch als Teil der Neuen Deutschen Musik?

Gabi: “ Wir sind mit die Auslöser der Neuen Deutschen Welle gewesen.“

Robert: „Eigentlich fühlen wir uns heute nicht mehr als Teil davon. Ein Stichwort: Inflation.“

Aber es gibt einige Leute, die wie Ihr von Anfang an dabei waren, und die in Eurem Fall ebenfalls von Inflation sprechen.

Robert: Ja, sowas kenn ich. Das ist vielleicht die Eitelkeit der Ersten, die jetzt fast schon wieder die Letzten sind. Die Eitelkeit derer, die einstmals Avantgarde waren. Das war ihr Ding. Es war fast religiös. Und auf einmal ändert sich das. Und er sitzt in seinem Wohnblock, und die ganzen Nachbarskinder, die ganzen Teenies, die mit der Mofa zur Disco fahren, die hören die gleiche Musik wie er. Verstehen sie vielleicht sogar besser. Können damit freier umgehen. Dann kommt so einer komisch drauf.“