Curtis Mayfield
Soul ist wieder dunkler als blau
Der Geist von Curtis Mayfield ist überall: in den Soulstorys von Frank Ocean, in den Samples von Kanye West und im Wahlsieg von Barack Obama. Seine Musik hat Politik und Pop versöhnt.
Im Herbst des Jahres 1995 sitzt am Grab des Bürgerrechtlers Martin Luther King ein Mann im Rollstuhl. Es ist Curtis Mayfield. 1968, als der Prediger erschossen worden war, hatten die Trauerzüge „We’re A Winner“ angestimmt von den Impressions, Mayfields Band. Jetzt singt er in die Kamera des Regisseurs Spike Lee: „Das Leben ist so hart, Baby. Mein Haar ist grau. Aber es ist ein neuer Tag.“ Der Tag gehört einer Million von Männern, die nach Washington marschieren wie schon unter Martin Luther King. Diesmal werden sie angeführt von Louis Farrakhan und seiner radikalen Nation Of Islam. Die Welt ist in den 90er Jahren eine andere als in den 60ern. Spike Lee hat gerade „Malcolm X“ gedreht, den Film zum Gangster-Rap. Und Curtis Mayfield hat wieder die Hymne dazu, „New World Order“; deren Video zeigt, wie ihm der Bart weiß aus den Wangen wächst und seine Augen weise durch die Brille in die Zukunft blicken. 1999 stirbt er. Als Barack Obama zehn Jahre danach das Weiße Haus bezieht, erklärt er Mayfields „Choice Of Colors“ zum Soundtrack seiner Präsidentschaft. In Obamas zweitem Wahlkampf holt Bruce Springsteen Mayfield aus dem Sampler. Als sich Kanye West und Jay-Z auf den Thron des HipHop setzen, treten sie mit einem Mayfield-Sample in „The Joy“ als Königstroika auf – feat. Curtis. Er hat Politik und Pop versöhnt. Sein Geist ist überall und seine Seele auch, sein Soul.
In diesem Jahr wäre er 70 Jahre alt geworden. 1942 kam er in Chicago auf die Welt, der Industriestadt, in der sich damals die schwarzen Landarbeiter aus dem Süden sammelten und den urbanen Blues erfanden. Curtis wuchs heran, wie es für seinesgleichen üblich war: Der Vater floh vor der Familie. Die Familie zog in einen der Sozialpaläste, die Amerika den Schwarzen, die vom Nachkriegsaufschwung ausgeschlossen blieben, gönnte. Die Cabrini-Green-Siedlung wurde später zum Synonym für amerikanische Problemviertel. Ein Ghetto mit 4000 Wohnungen für 15 000 Menschen. Als Senator setzte sich Barack Obama in Chicago dafür ein, die Einwohner zu unterstützen und die Gegend zu befrieden. Curtis wurde häufig nach Du Quoin aufs Land verschickt, zur Großmutter, sie leitete den Kirchenchor, die Northern Jubilees. In ihrem Haus stand ein Klavier. Von klein auf hämmerte das musisch auffällige Kind ausschließlich auf die schwarzen Tasten. Nicht bewusst wegen der Rassenproblematik, Curtis hatte sich intuitiv die Pentatonik afroamerikanischer Musik erschlossen. Auf der Straße in Chicago trat er mit den Nachbarskindern auf. Im Gospelchor sang er mit Hingabe. Dort traf er Jerry Butler, der ihn 1958 überredete, mit ihm den Roosters beizutreten, Gitarrist zu werden und den Gospel zu vergessen. Jerry Butler wurde nach seiner Musiklaufbahn Getränkeunternehmer und Lokalpolitiker. Noch heute kümmert er sich für die Demokraten um Gesundheitsfürsorge und Strafvollzug in seinem Landkreis im Staat Illinois, ObamaState.
Als 16-Jähriger landete Mayfield im Musikgeschäft. Die späten 50er waren geprägt vom „Modern Negro“ und dessen enttäuschten Hoffnungen. Die Schwarzen hatten für Amerika im Krieg gekämpft, für die Verfassung und die Freiheit und damit auch für sich selbst. Am täglichen Rassismus änderten die Heldentaten wenig. Andererseits blühte der R&B und wuchs über die Race Music hinaus. Chuck Berry spielte Rock’n’Roll für alle, Little Richard durfte schwarz und schwul sein. Im Kongress wurden die Bürgerrechte debattiert und zu Gesetzen formuliert. Es war das nicht zu überhörende Grundrauschen der Zeit. Bei Motown im benachbarten Detroit entschied sich Berry Gordy, unpolitische Musikstücke wie Kleinwagen am Fließband fertigen zu lassen, um die Mitte der Gesellschaft zu erobern. Mayfield übernahm die Führung, die Gitarre und die erste Stimme bei den Roosters, wandelte sie um in die Impressions und schrieb engagierten Soul. Im Frühjahr 1961, als der CIA in Kuba einmarschieren wollte, nahmen die Impressions „Gypsy Woman“ auf, als freundschaftlichen Gruß an die Musikkultur Lateinamerikas. Aus DooWop wurde Bürgerrechtsmusik, aus Gospel wurden weltliche Gesänge. „Amen“ war der einzige nicht selbst verfasste Song im Oeuvre der Impressions. Mayfield hatte ihn in einem Film gehört: In „Lilien auf dem Felde“ flüchteten fünf Nonnen aus der DDR, Sidney Poitier spielte den schwarzen Tagelöhner, der den Schwestern in der Wüste Arizonas die Kapelle zimmerte und „Amen“ gospelte, auch für sein eigenes Seelenheil.
In „Keep On Pushing“ reihte Mayfield Gospelfloskeln aneinander, wobei „Gott“ ersetzt wurde durch vielsagende Atempausen oder durch ein selbstbewusstes „Ich“. Die Dialoge im Gesang wurden nicht zwischen Gott und Mensch geführt, nicht zwischen Pastor und Gemeinde, sondern zwischen Leuten auf der Straße wie im Brecht-Theater. Poesie statt Predigt. Martin Luther King hatte in seinen Reden längst die Welt des Geistlichen verlassen. Sein „Ich habe einen Traum …“ beim ersten Washingtoner Umzug inspirierte Mayfield zu „People Get Ready“. Es wurde zum Marschgesang der schwarzen Demonstranten und ihrer Sympathisanten aus der weißen Mittelschicht, aus Hörsälen und Folkclubs. Auch Bob Dylan stimmte häufiger „People Get Ready“ an. Die 60er spitzten sich zu, und die Impressions stiegen aus den Maßanzügen. Mayfield ließ sich nicht mehr im schneeweißen Tennisdress fotografieren, sondern kämpferisch im Ledermantel. 1968 erschien „We’re A Winner“ und begleitete die Black-is-beautiful-Bewegung. Nie mehr Onkel Tom sein, nie mehr nette Lieder singen. Die Musik fand auch in ihrer fiebrigen Ästhetik ihre Botschaft: Die Gitarren klangen schneidiger, die Stücke wurden länger, offener und freier. Es gab Sender, die das Lied mit einem Bann belegten. Ohne „We’re A Winner“ hätten die Sprinter Tommie Smith und John Carlos im Olympiastadion von Mexiko zur Nationalhymne nicht ihre Fäuste in die Luft gereckt, schreibt der Kulturhistoriker Wayne Edwards aus New York: „Die schwarze Stadtjugend fand in den Songs von Curtis ihre Stimme. Damit wurde er für ganz Amerika zur Stimme für die Rebellion, auch für die weiße Jugend.“ 1969 stellte sich in „Choice Of Colors“, in Obamas späterem Lebenslied, die Rassenfrage. Mayfield sang: „Wie lange hasst du deinen weißen Lehrer? Wer sagt, dass du deinen schwarzen Pastor liebst?“ Die „Black Pride Anthems“, wie sie Mayfield nannte, handelten von einer Utopie: von einer Welt, die Hautfarbe nicht biologisch und sozial betrachtet, sondern kulturell. Er sang wie ein Prophet, der daran glaubt, dass seine Prophezeiung sich von selbst erfüllt. Bewege deinen Hintern, und der Kopf wird folgen.
In der Wirklichkeit brachten sich Schwarze gegenseitig um. In Straßenkämpfen um Reviere und in Glaubenskriegen wie beim Attentat auf Malcolm X. Die Träume Martin Luther Kings wurden mit ihm beerdigt, Straßenschlachten heizten den Rassismus wieder an und spalteten das Land. „This Is My Country“ hieß das Lied dazu von Curtis Mayfield, auch er wurde rigoroser: „Manche Leute denken, wir hätten kein Recht, ‚Mein Land‘ zu sagen“, sang er. „Ich habe 300 Jahre Sklaverei ertragen, Schweiß und Schläge auf dem Rücken. Viel zu viele sind für mich gestorben, meine Würde, meinen Stolz. Dies ist mein Land!“ Die Bürgerkriegserklärung fand sich in den Hitparaden wieder, gut getarnt im Harmoniegesang. So harmlos die Impressions wirkten, so rebellisch waren ihre Botschaften. „Was nichts bedeutet, wird auch nicht gesungen“, entschied Mayfield. Er klagte sein Land an und vergaß darüber nie, die eigenen Seelenbrüder ins Gebet zu nehmen. Nach Check Out Your Mind! verließ er die Impressions, 1970 machte er sich selbstständig.
Sam Cooke hatte „A Change Is Gonna Come“ gesungen, Otis Redding „Respect“, Edwin Starr hatte mit „War“ auch Motown nicht verschont vom Geist der Zeit. Das Album Curtis sammelte die Stimmungen und Stimmen. Es fing damit an, dass alle angerufen wurden: Nigger und Whiteys, Juden und Junkies. Ganz Amerika passte in einen Song hinein, er hieß „(Don’t Worry) If There’s A Hell Below We’re All Going To Go“, und darin rettet er alle vor dem Fegefeuer. Mayfield führte sie zum Tanz mit „Move On Up“, zu Blechfanfaren, Afrotrommeln und berauschenden Gitarren. „We The People Who Are Darker Than Blue“ war die Erlösung, sechs Minuten lang mit Engelsharfen. Wir, das Volk: Ein kleiner schwarzer Brillenträger aus den Elendsvierteln von Chicago hatte die Verfassung neu vertont. Den Nachtrag Curtis Live! eröffnete er mit der Feststellung: „Was brauchen wir Musik? Wir haben Soul!“ Und dann berief er sich wortwörtlich auf James Brown, auf „Say It Loud – I’m Black And Proud“. Es war, als trug da einer alle Lehren und Erfahrungen zusammen, alle Einflüsse und Spielarten, um Popmusik neu zu erfinden, als soziales Medium. Ohne Mayfield hätte Marvin Gaye What’s Going On nicht aufgenommen, seine Souloper über einen Vietnamkriegsveteranen, der ein Heimatland vorfindet, dem er nie gedient hätte, ein unmoralisches Amerika. Auch Stevie Wonder hätte niemals Innervisions aufgenommen als gesungenen Sozialreport. Die musikalischen Erzählungen von Gil Scott-Heron in den 70ern, die engagierten Rapper in den 80ern, die HipHop-Paten in den 90ern – alle beriefen sich auf Curtis Mayfield. In seiner Musik ließ er die Sprache frei, er überwand das Versmaß. Er spielte Konzerte ohne Eintritt und auf Militärstützpunkten. Immer in der Hoffnung, dass sein Land ihn eines Tages eines Besseren belehren würde.
1971, nach einem Konzert im Lincoln Center, sprachen ihn Sig Shore und Phillip Fenty an. Zwei Herren, die aussahen wie Zuhälter in ihren hellen Pelzmänteln, die einen Film planten wie „Shaft“, als Reaktion des Ghettos auf Mike Hammer und James Bond. Der schwarze Detektiv John Shaft legte sich mit der Mafia und der Polizei an, schlief mit weißen Frauen und schlug weiße Männer. Shaft, gespielt von Richard Roundtree, war zugleich die unkorrekte Antwort auf Sidney Poitier und das gesellschaftlich korrekte Bild des rührenden Schwarzen auf den Leinwänden der 60er. Die Filmmusik stammte von Isaac Hayes. Das Blaxploitation-Kino boomte in den frühen 70ern, auch weil das Filmgeschäft die selbstbewusste schwarze Zielgruppe entdeckte: Während sich die weiße Mittelschicht von Rassenunruhen und Kriminalität in die verschlafenen Vorstädte vertreiben ließ, entwickelte sich in den Innenstädten eine junge schwarze Parallelgesellschaft, die sich ihre eigene Kultur erfand mit eigenen Helden und Erlösern. Curtis Mayfield traf mit seinem Conscious Funk und Psychedelic Soul für „Superfly“ den Ton der schwarzen Selbstermächtigung. Seine Musik war Anti-Hollywood: „Wir zeigten der Filmindustrie, dass man keine Sinfonieorchester braucht, keine Studios mit den Ausmaßen eines Baseballstadions und keinen Henry Mancini. Dass Eleganz keine Geldfrage war.“ Mayfield hatte im Film seinen Kurzauftritt in einem zwielichtigen Club. In einem unfassbaren Maßanzug aus Militärgewebe sang er „Pusherman“, trug eine Halskette mit Friedenszeichen, groß wie eine Untertasse, und die Gauner wackelten zufrieden mit den Afros. Superfly, der Soundtrack, wuchs über den Film hinaus. Auch weil er eine Haltung zur gezeigten Handlung einnahm. In den Songs wurde die Coolness hinterfragt. In „Freddie’s Dead“ genügten Mayfield fünfeinhalb Minuten zum Erzählen der Geschichte – samt Moral: Ein guter Mensch verwandelt sich in einen schlechten, in schlechter Gesellschaft. „Superfly“, das Titelstück, beklagte die Gewalt, die Schwarze Schwarzen antun konnten.
Curtis Mayfield war kein singender Sozialarbeiter. Er fühlte sich lediglich für seine Kunst und seine Zuhörer verantwortlich wie jeder große Musiker. In Songs wie „Jesus“ wies er darauf hin, dass jeder nur sein eigener Heiland sein kann. „Billy Jack“, ein väterliches Gangsterlied, verzichtete darauf, dem Adressaten Vorwürfe zu machen. Statt den Zeigefinger zu erheben, spielte Mayfield ein dramatisches Wah-Wah auf der Gitarre: Die Musik hörte sich falsch an – wie der falsche Stolz des Kriminellen. Dealer, Pusher, Junkies waren auch nur Opfer. Mayfield war kein Pimp, schon gar nicht mit seiner Ballonmütze, der Lehrerbrille und dem Fusselbart. Sein Falsett war Programm. Es sang beseelt wie die Mbube-Sänger in Südafrika und reiner als der junge Smokey Robinson. „Vielleicht schaut man hinauf zu Gott, wenn man so singt. Wer weiß? Im Soul sollte die Stimme in den Himmel steigen“, sagte er. Als junger Mann nahm er seine Gitarre mit ins Bett. Als Arrangeur behandelte er jedes Instrument wie einen guten Freund: Die Geigen mussten keinen Schmalz streichen, die Flügelhörner konnten hitzig föhnen, und die Harfen durften abenteuerlichen Harmonien folgen. Mayfield war ein heiterer Rebell. Weil er die Menschen mochte, war er zornig, dass die Menschen sich nicht frei, gleich, brüderlich verhielten. 1976 spielte er den Soundtrack ein für „Short Eyes“, ein Gefängnisdrama nach einem politischen Theaterstück. Wieder war er im Film zu sehen. Während sich die Sträflinge das Haftleben zur Hölle machten, erschien Cutis und sang „Do Do Wap Is Strong In Here“ zur inneren Reinigung. Da war er schon im falschen Film.
Die Bürgerrechtsbewegung war gescheitert, ausgebremst von Radikalen wie der Nation Of Islam und den Black Panthers. Die Begleitmusik, der Soul, wurde gewöhnlich. In den Hitfabriken von Detroit und Memphis sank die Produktion. Im P-Funk fantasierten sich die Musiker in ferne Galaxien. Dann kam Disco. Während Mayfield die Musik als Medium pflegte, um das Leben und die Sorgen seiner Hörer zu vertonen, ihnen ihre Lage zu erklären, sie zum Handeln zu erziehen und auf morgen zu vertrösten, gingen alle tanzen, nicht nur Schwule. Mayfield schimpfte: „Fluchtmusik!“ Was in der Disco lief, war denkbar ungeeignet für sozialkritische Botschaften. Mit Give, Get, Take and Have, einem noch heute sträflich unterschätzten Album, wollte er die Tanzböden erobern und die Spiegelkugel höher hängen. Nach Politpop aber stand den Eskapisten nicht der Sinn. Dass Mayfield sich anschließend ideologisch mäßigte und seine Stücke zähmte, hatte wirtschaftliche Gründe. Trotz Millioneneinnahmen aus Songs wie „Move On Up“ war er notorisch klamm. Der visionäre Künstler war ein lausiger Geschäftsmann. Um sich nicht von Weißen ausbeuten zu lassen, gründete er unablässig eigene Labels: Mayfield, Windy C und 1968 dann die Firma Curtom mit dem Fahrer der Impressions, Eddie Thomas. Mayfield produzierte neben seinen eigenen Platten Aufnahmen der Staple Singers und unzähliger Geheimtipps, auf die niemand hörte. 1979 wurde Curtom an die Industrie verkauft.
Die 80er brachten eine Musik hervor, die chancenlosen Schwarzen in den Reagan-Jahren zwar nicht weiterhalf, ihnen aber erzählte, wer sie waren und dass alles keinen Sinn hatte. Die Rapper predigten den Nihilismus, den das Land damals verdiente. Mayfield nahm mit Dino Fekaris, dem Mann hinter Gloria Gaynor, eine gleichgültige Discoplatte auf, Love Is The Place. Sein Label CRC meldete Insolvenz an. In Amerika geriet er in Vergessenheit, selbst seine Charthits liefen kaum im Radio wegen ihrer Inhalte. Dafür entdeckten ihn die Briten neu. Paul Weller pflegte Mayfields Erbe in Konzerten, die Blow Monkeys luden ihn zur Aufnahme von „Celebrate (The Day After You)“ ein. Er selbst reiste mit holländischen Leihmusikern um die Welt. 1990 spielte Mayfield „Superfly“ neu ein, mit Ice-T und Lenny Kravitz. Er gründete Curtom neu, als Indielabel. Im Sommer 1990 trat er mit „Superfly 1990“ auf einem Schulsportplatz in Brooklyn unter freiem Himmel auf. In einer Windböe stürzte sein Lichtgerüst auf ihn herab. Der Unfall lähmte ihn vom Hals an abwärts, anschließend brannte sein Haus ab. „Ich habe die Prüfungen und Plagen meines Daseins immer als Lektionen verstanden, um das Leben umso mehr zu lieben“, sagte Mayfield in den 90ern.
Sein letztes Album trug den Titel New World Order. Mayfield hatte es mithilfe eines stimmgesteuerten Computers aufgenommen. Mavis Staples und Aretha Franklin sangen mit. Die Ironie der neuen Weltordnung bestand darin, dass sich die große Welt im Kleinen nicht verändert hatte. Die Sozialsiedlungen waren Ghettos, sie wurden im Rap glorifiziert. Aber er hatte einen Traum und sang wieder bewegten Soul. Als Curtis Mayfield 1999 starb, an einem Zuckerschock am Weihnachtssonntag, wirkte er in der Musikwelt wie ein Fremder. Er starb 57-jährig in Georgia. 1999 erschien „Ready To Die“ aus dem Nachlass des erschossenen Gangsterrappers Notorious B.I.G. mit Samples von „(Don’t Worry) If There’s A Hell Below We’re All Going To Go“, dem radikalsten Song von Curtis Mayfield. Eminem, der ausgegrenzte Weiße aus dem Trailerpark, zitierte in „I’m Shady“ Mayfields „Pusherman“. Schon in den mageren 80ern und 90ern waren die Klassiker gelegentlich versampelt worden, von den Beastie Boys und Ice-T. 1983 hatte Herbie Hancock „Future Shock“ von 1973 aufgegriffen, um der elektronischen Musik den HipHop nahezubringen. In den Nullerjahren aber wurde Mayfields Geist allgegenwärtig. Flying Lotus, Erykah Badu, Kanye West und Jay-Z. Seine letzte Aufnahme erschien postum 2001, ein Gastspiel bei Bran Van 3000 in „Astounded“. Die allerletzten Worte lauteten: „Baby, ich will nicht streiten …“ Es ist dieses Urvertrauen in den Menschen und das Gute, in die jedem eigene Dreieinigkeit aus Herz, Bauch und Kopf und in den Common Sense. Mayfields „There’s No Place Like America Today“ von 1975 könnte eine blumige Rede von Barack Obama sein. Oder eine der epischen Erzählungen des 25-jährigen Soulsängers Frank Ocean aus dem Leben und über die Liebe.
Es ist dieses Bild, das bleibt: Ein Sänger sitzt vor einem Denkmal in Atlanta, auf dem Sockel steht „At last I’m free“, und niemand glaubt damals im Ernst an einen schwarzen Präsidenten von Amerika und daran, dass der Soul wieder zum Medium und zur Botschaft wird. Nur einer.
Curtis Mayfield im Sampler
People Get Ready
Bob Marley – One Love, 1977
Blue Sky Black Death – Sky With Hand, 2011
Bruce Springsteen – Land Of Hope And Dreams, 2012
Superfly
Living Colour – Funny Vibe, 1988
Beastie Boys – Egg Mann, 1989
The Notorious B.I.G. – Ready To Die, Intro, 1994
Move On Up
Kanye West feat. Lupe Fiasco – Touch The Sky, 2005
Robin Thicke – Magic, 2008
Bran Van 3000 feat. Curtis Mayfield – Astounded, 2001
We The People Who Are Darker Than Blue
Usher feat. Jay-Z – Best Thing, 2008
Jens Lekman – I’m Leaving You Because I Don’t Love You, 2007
Teedra Moses feat. Lil Wayne – You Already Know, 2007
(Don’t Worry) If There’s A Hell Below, We’re All Going To Go
Kanye West – Jesus Walks, 2004
Nas – Gangsta Rap, 2008
Del The Funky Homosapien – Don’t Forget, 1993
Pusherman
Ice-T – I’m Your Pusher, 1988
Eminem – I’m Shady, 1999
B.o.B – I’m That N****, 2008
Weihrauch
„Curtis Mayfield ist für den Soul, was Bach für die Klassik und George Gershwin für den Pop waren.“
Aretha Franklin
„Solange es Romantik und Liebe gibt, Freude und Stolz, das Wahre und Schöne, Worte und Melodien, so lange wird der Mensch nach Musik von Curtis Mayfield verlangen.“
Stevie Wonder
„Du kannst jede Menge Curtis in Jimi Hendrix hören. In den 60ern wollten alle Gitarre spielen wie er. Jeder.“
George Clinton
„Curtis Mayfield hat definitiv den HipHop beeinflusst, Legionen von Rappern, mich eingeschlossen. Schon im selben Atemzug mit ihm genannt zu werden, ist eine unbeschreibliche Ehre.“
Chuck D
inspiriert von
Gospel
Martin Luther King
Sam Cooke
Chess Records
Nat King Cole
The Beatles
hat inspiriert
Barack Obama
Frank Ocean
Jimi Hendrix
Prince
Bob Marley & The Wailers
Kanye West
Curtis Mayfield für Kenner
* 1954, Curtis Mayfield ist zwölf Jahre alt, verfasst er seinen ersten Song. Er nennt ihn „Rainbow“. 1962 nimmt der R&B-Sänger Gene Chandler ihn für Vee-Jay Records in Chicago auf. Die Single läuft im Radio und wird gern gekauft, zwei Jahre später gibt es eine Neueinspielung, „Rainbow ’65“, später auch noch „Rainbow ’80“.
* 1958 stapfen die frisch gegründeten Impressions durch den Neuschnee von Chicago. Sie wollen dem Label Chess, berühmt für seine visionären Bluesplatten, ein Stück vorstellen. Es ist nicht nur Winter, es ist Wochenende, alle Türen sind verschlossen. Auf dem Heimweg werden die Impressions auf das Studio von Vee-Jay Records aufmerksam. Hier brennt noch Licht. Sie treten ein. Im Treppenhaus tragen sie einem anwesenden Produzenten namens Calvin Carter „For Your Precious Love“ vor. Mit Erfolg: Musikgeschichtsbücher vermerken „For Your Precious Love“ später als ersten Soulsong überhaupt.
* Von klein auf setzt sich Curtis Mayfield mit Begeisterung ans Klavier. Dabei bleibt er sich selbst überlassen, niemand weist ihn ein. Das aufmerksame Kind erkennt, dass jede Harmonie und Melodie sich gut und richtig anhört, sobald er die weißen Tasten meidet. Er begnügt sich mit den schwarzen. Ein Cousin bringt ihm eine Gitarre mit, von der Armee. Er stimmt das Instrument nach Vorschrift, doch es funktioniert nicht. Er stimmt die sechs Saiten nach den schwarzen Tasten des Klaviers: Fis, B, Cis, Fis, B, Fis – und er erlebt die Offenbarung seines Lebens. Musiker wie Jimi Hendrix, Prince und Lenny Kravitz werden ihn später den einflussreichsten Gitarristen aller Zeiten nennen. Curtis Mayfield freut sich: „Auch die besten Gitarristen können nicht auf meiner Axt spielen, weil sie die Stimmung nicht begreifen.“
* Nachdem ihn im Sommer 1990 in New York ein Lichtmast auf der Bühne niederstreckt, kann Curtis Mayfield auch nicht mehr Gitarre spielen. Unterstützt von einem seiner Söhne arbeitet er seinen Katalog auf. 1996 erscheint die CD-Box People Get Ready – The Curtis Mayfield Story. Seine eigenen Plattenfirmen hat er regelmäßig ruiniert. Dafür hat Mayfield die Verlagsrechte für seine Songs nie abgetreten. Vor zehn Jahren, vier Jahre nach Mayfields Tod, bringt Peter Burns, ein Londoner Journalist, die kenntnisreiche Biografie „People Never Give Up“ heraus. Darin schreibt Burns von 140 registrierten, aber unveröffentlichten Aufnahmen, die im Archiv von Curtom Records eingelagert seien. Man dürfe sich freuen auf bislang zwar nie gehörte, aber sofort einleuchtende Curtis-Mayfield-Titel wie „The Great Escape“, „In The News“, „Turn Up The Radio“ und „What’s The Situation?“. Ferner lägen in den Schränken Mitschnitte vom 1987er Gastspiel in Montreux, von einer Tour zum Silberjubiläum der Impressions 1982 und von einem Auftritt 1966 im Club Chicago. „Sie werden bald das Tageslicht erblicken“, weiß der Biograf 2003. Man wartet heute noch darauf.
Meilensteine
The Impressions – People Get Ready (1965)
Ein Song, ein Album. Das Jahr 1965 fängt mit einem Kunststück an: „People Get Ready“ holt das Kirchenlied aus der Kapelle auf die Straße, für die Bürgerrechte. Curtis Mayfield spielt zum ersten Mal bei einer Aufnahme mit den Impressions die Gitarre eigenhändig. Das komplette Album handelt von der Kraft des Glaubens an sich selbst. Außer „Woman’s Got Soul“ – darin geht es darum, dass Frauen die besseren Menschen sind.
Curtis (1970)
„Move On Up“ setzt da an, wo die Menschen mit „People Get Ready“ in den 60ern gescheitert waren. Sie waren zu sanft gewesen. Erstmals ohne die Impressions wagt sich Curtis Mayfield explizit, die Übel anzusprechen und den Soul verrückt spielen zu lassen, gern im Psychedelic Funk. Die Frauen werden in „Miss Black America“ gewürdigt, jedenfalls die schöneren schwarzen.
Superfly (1972)
Der Superfly zugrunde liegende Film erlaubt es Curtis Mayfield, seine richtungsweisenden Arrangements noch kühner zu gestalten. Aus dem Soundtrack wird die große Soul-oper des schwarzen Selbstbewusstseins. Songs wie „Pusherman“ und „Freddie’s Dead“ versuchen, leichtgläubige Kinogänger sogar zu belehren, dass sich Kriminalität nicht lohnt und Frauen anständig behandelt werden sollten.
Back To The World (1973)
Marvin Gaye und Curtis Mayfield standen zeitlebens in kollegialem Wettstreit. Gaye hatte die Kriegsheimkehrer aus Vietnam schon 1971 mit What’s Going On empfangen. 1973 wurden sie von Mayfield mit Back To The World begrüßt. Die Welt, das war Amerika. „If I Were Only A Child Again“ und „Future Shock“ sangen dem schwarzen Veteranen ungehalten aus der Seele. Es war nicht mehr weit zum HipHop.
Give, Get, Take And Have (1976)
Ein so großartiges wie gering geschätztes Disco-Album: Curtis Mayfield weigert sich strikt hinzunehmen, dass sein Publikum beim Tanzen nicht mit Wahrheiten behelligt werden möchte. Zwar heißen die Songs „Soul Music“ oder „Party Night“. Aber das war der Trick: Wer nicht über die Welt nachdenkt, soll auch nicht feiern. Schließlich wird der Zuhörer mit „Mr. Welfare Man“ entlassen, einer letzten Warnung.
New World Order (1996)
Querschnittsgelähmt und zuckerkrank nimmt Curtis Mayfield noch einmal ein Album auf. Die Songs entwirft er mit Gehilfen am Computer. Singen muss er auf dem Rücken liegend, seine Luft wird knapp. Was er mit Songs wie „Here But I’m Gone“ und „Just A Little Bit Of Love“ sagen will: Die Welt dreht sich bloß schneller. Wer aber nie darauf hofft, dass sie dabei voran-kommt, ist schon tot.