Crocodile Dandy
Drunten in Australien ^r nennt man es das „Tall oppy Syndrome“, was ungefähr bedeutet: Wachse nicht zu hoch, erhebe dich nicht zu weit aus der Menge, denn sonst macht man dich einen Kopf kürzer…
Auf dem fünften Kontinent erwischt das „Tall Poppy Syndrome“ viele, die es wagen, berühmt und erfolgreich zu werden, denn wenn es eines gibt, das die Australier noch lieber tun als Volkshelden aufzubauen, dann ist es, eben diese Helden umgehend wieder zu demontieren. Dieser nationalen Eigenart sind schon diverse Prominente zum Opfer gefallen, darunter der Bilderbuch-Australier Paul „Crocodile Dundee“ Hogan, der es inzwischen vorgezogen hat, seine Zelte in Los Angeles aufzuschlagen.
Nun, so scheint es, ist Australiens erfolgreichster Rock-Export an der Reihe: INXS. In jüngster Zeit gingen die (australischen) Medien jedenfalls alles andere als freundlich mit ihnen um. Ironischerweise entpuppte sich ausgerechnet eine unter dem Titel „Concert For Life“ aufgezogene Mammut-Show als das PR-Waterloo der Band. Dabei hatte alles so schön angefangen: Das Konzert, das im März vor 62.000 Zuschauern im Sydneys Centennnial Park stattfand und bei dem alles auftrat, was in Australiens Rockszene Rang und Namen hat (neben INXS auch Crowded House, Diesel und Ratcat), sollte Geld für eines der größten Krankenhäuser in Sydney einbringen — und wurde zunächst auch als großer Erfolg gefeiert. Einige Monate danach stellte sich dann heraus, daß die Show zwar über 1,3 Millionen Dollar eingespielt hatte, gleichzeitig aber die Rekordsumme von 1,2 Millionen für Produktionskosten abgezogen wurde. Auch Sponsorengelder, Spenden aus dem Staatssäckel und Merchandising-Einkünfte konnten nicht mehr viel retten — der Reingewinn lag bei mageren 600.000 Dollar, dreimal weniger als ursprünglich erwartet.
Diese Enthüllungen lösten einen Sturm der Empörung aus, der sich auf den Köpfen von INXS und ihrer Management-Firma MMA entlud. Grant Thomas, Manager von Crowded House, setzte sich an die Spitze derer, die den Headlinern der Show Unregelmäßigkeiten vorwarfen: „Die Kosten waren ohne Zweifel viel zu hoch. Es scheint so, als ob sich einige der Beteiligten über das Spesenkonto schadlos gehalten haben.“
Kritiker führten an, ein Großteil der Ausgaben wären einzig und allein INXS zugute gekommen. Ein Orchester, das extra für zwei INXS-Songs angeheuert wurde, schlug mit mehr als 16.000 Dollar zu Buche. Ein Produktionsmanager wurde aus England eingeflogen, Kostenpunkt fast 50.000 Dollar. Presseleute aus aller Herren Länder erhielten Flugtickets nach Australien, bekamen Vorab-Copies von INXS’s neuem Album in die Hand gedrückt und durften die ¿
Band am Tag des Konzerts hinter der Bühne besuchen — Privilegien, die den australischen Medien verwehrt wurden.
Sowohl INXS als auch MMA lehnten es ab, sich zu dem Thema zu äußern. Die australische Ausgabe des „Rolling Stone“ befaßte sich mit der Angelegenheit in einem Leitartikel, der zu folgendem Schluß kam: „Das Theater um das ,Concert For Life‘ hat wieder einmal gezeigt, wiegern die Australier die Sicheln wetzen, um ihren ,tall poppies‘ an den Kragen zu gehen … aber wenn INXS diesem Syndrom zum Opfer fallen, dann haben sie es sich selbst zuzuschreiben.“
Die öffentliche Diskussion um das eigentlich so gut gemeinte Konzert stellte MMA vor eine Menge Probleme. Nach endlosem Für und Wider beschloß man, die erste Single-Auskoppelung aus dem neuen Album „Welcome To Whereever You Are“ doch wie geplant auf den Markt zu bringen — eine möglicheweise unkluge Entscheidung, denn „Heaven Sent“ schaffte es nicht einmal in die australischen Top Ten, geschweige denn an die Spitze der Charts, seit 1982 Stammplatz der INXS-Singles. Warner Music, das australische Label der Band, setzt nun auf das Album, aber bereits der Vorgänger „X“ ging im Land der Känguruhs mit 180.000 Exemplaren nur noch halb so oft über den Ladentisch wie der Welt-Hit „Kick“. Das Live-Album „Live Baby Live“‚ (von höhnischen Journalisten in „Dead Baby Dead“ umgetauft) fand gar nur 100.000 Käufer. Einem Warner-Mitarbeiter zufolge, der verständlicherweise ungenannt bleiben will, halten sich die Plattenläden mit Bestellungen derzeit noch vornehm zurück – nicht ohne Grund: „Viele Plattenläden sind auf Stapeln unverkaufter INXS-Alben sitzengeblieben. Die haben keine Lust mehr, noch einmal auf die Nase zu fallen. “ Hinzu kommt, daß sich Australien mitten in der schlimmsten Rezession seit den 30er Jahren befindet: Ein Drittel aller Australier unter 25 ist arbeitslos.
INXS begannen ihre Karriere als The Farriss Brothers, was bei drei Farriss-Brüdern in der Band nicht weiter verwunderlich ist. Ihr erster Manager war Gay Morris, der mit Midnight Oil heute Australiens zweite Renommier-Band betreut. Bei INXS fiel er in Ungnade, als er die sechs Bandmitglieder zum Christentum bekehren wollte, doch zumindest eine Taufe gelang ihm: Er schlug der Band vor, sich „Inaccessible“ zu nennen, und daraus wurde dann INXS.
Heute, mehr als ein Jahrzent spater, scheint es, als hätte Morris damals prophetische Gaben gehabt, denn INXS sind tatsächlich „unnahbar“ geworden, lassen Fans und Journalisten nicht mehr an sich heran. Frontmann Michael Hutchence hat in Australien in den letzten drei Jahren mal gerade ein Interview gegeben, und das bei einem eher unbedeutenden Radiosender.
Kein Wunder, daß die Stimmen lauter werden, die Hutchence als arroganten Schnösel bezeichnen — und ihn indirekt dafür verantwortlich machen, daß die „größte Rock „n“ Roll-Band der Welt“ (Eigen-Werbung) ins Sperrfeuer der Medien geraten ist.
Eine ehemalige Promotion-Dame bei Warner Music berichtet, das einzige Bandmitglied, das sie während ihrer vierjährigen Tätigkeit zu Gesicht bekommen hätte, sei Saxophonist Kirk Pengilly gewesen. „Den Leuten bei der Plattenfirma geht es nicht viel besser als den Fans“, sagt sie. „INXS haben sich wirklich isoliert. Das Publikum hat keine Möglichkeit, sich mit ihnen zu identifizieren, weil man sie nie sieht.“
Als die Band wahrend der „X“-Tour in Melbourne auftrat, war es wieder Pengilly. der sich als einziger zu einem Interview herabließ, doch selbst er kam nicht ohne Allüren aus: Von einem Mitarbeiter der Plattenfirma zum Termin gefahren zu werden, war ihm nicht gut genug — er verlangte nach einer Limousine. „Wahrscheinlich liegt es mehr am Management ab an den Jungs selbst, aber so eine Haltung stößt den Australiern immer noch sauer auf. Wir wollen Stars, aber wir wollen nicht, daß sie sich benehmen wie Stars.“
Ein weiterer ehemaüger Warner-Bediensteter meint, die Weigerung der Band, mehr Interviews in Australien zu geben, habe sich negativ auf den Verkauf des letzten Albums ausgewirkt. „Wir habenßr dieses Album alles getan, was in unseren Kräften stand. Wir haben haufenweise Fernsehspots geschaltet. Aber die Tatsache, daß es keine Interview-Termine gab, hat uns bei den Medien einige Sympathien gekostet. Und ich bin sicher, daß das auch die Meinung des Publikums und damit die Verkaufszahlen beeinflußt hat. „
Womit wir beim neuen Album wären, das die Band von vorneherein kaum promoten will. Live-Auftritte sind nicht geplant. Begründung: Man habe einen neuen Karriereabschnitt erreicht und wolle sich nun mehr auf das Studio konzentrieren. „Wir wollen Platten machen, die Anstoß erregen „, sagt Gitarrist Tim Farriss. Doch Kritik kommt mittlerweile selbst aus den eigenen Reihen. Ein MMA-Mitarbeiter klagt, die Band sei bei diesem Projekt nicht ausreichend bei der Sache gewesen, Glamourboy Hutchence habe seine Parts in nur zwei Wochen abgeliefert, um mit seiner neuen Freundin, Model Helena Christensen, so schnell wie möglich in seine Wahlheimat Hongkong zurückfliegen zu können. „JJ2 arbeiten zwei Jahre an einem Album, INXS nur zwei Monate. Ist das gut genug?“
Michael Hutchence wischt solche Vorwürfe sichtlich genervt vom Tisch. „Ich kann damit leben, wenn mich irgendwelche Schreiber als arroganten Schnösel oder unnahbaren Dandy bezeichnen. Aber in Wirklichkeit bin ich nicht so. Sicher, ich bin auch kein Typ, der gleich mit jedem warm wird. Und ich habe keine Lust, einen solchen Typen zu spielen, wie das viele andere in der Branche tun. Ich sitze oft mit alten Kumpels zusammen und mache mir nichts daraus, ständig den Glamourstar heraushängen zu lassen. Ichßhle mich immer noch als Australier — und Australier sind entspannte, lokkere Menschen.“
Die jüngste Band-Bio endet interessanterweise mit einem sehr australischen Kommentar von Michael Hutchence. Gefragt, wie er INXS einmal in den Annalen der Musikgeschichte verewigt sehen möchte, antwortet er: „Zumindest als eine sehr gute Popgruppe! Wir sind schließlich nicht größenwahnsinnig, dazu sind wir viel zu sehr Australier. Wenn du einen Australier fragst, wasßr einen Platz in der Geschichte er sich wünscht, wird er mit Sicherheit antworten: „Wen kümmert denn sowas?“