COVERVISIONEN
DER STIL
YEEZUS ist der Endpunkt einer Entwicklung hin zum Minimalismus. Kein Cover, kein Booklet, kein schicker Aufdruck, nichts. In der Kunst wollten die Minimalisten durch das Weglassen alle möglichen Lesarten und Bedeutungen ausschließen und so eine „reine Präsenz“ erreichen. YEEZUS ist deshalb exemplarisch für den Postminimalismus, der mit den gleichen Mitteln – also eigentlich keinen Mitteln – durchaus psychologische Effekte erzielt. Einerseits. Andererseits geht’s nicht dekadenter und dandyhafter. So viel Verzicht auf alles kann sich nur leisten, wer sich potenziell alles leisten kann. Yo!
Albumkritik S. 91
DER TONTRÄGER
Ohne Cover haben wir den direkten Durchblick auf die CD selbst, dieses in allen Farben schillernde Rätsel, der geheimnisvolle Container der Musik. Sie ist als nacktes Industrieprodukt ausgestellt, sogar Künstlername und Albumtitel laufen dezent am Rand entlang, um die reine Oberfläche nicht zu stören. Pop ist Oberfläche, und diese Oberfläche ist – Pop. Man könnte es auch für eine freundliche Betonung des klassischen Tonträgers in Zeiten des Downloads halten.
DIE VERPACKUNG
Die übliche Strategie, den physischen Handel zu stärken, besteht derzeit in einer künstlerischen Aufwertung der Verpackung. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, wenn es um „attraktive“ Verpackungen für CDs geht. Kanye West geht den umgekehrten Weg. Die CD ist nicht in Flausch gepackt oder in Holz, kein Künstler hat Hand angelegt oder eine spezielle Farbe ins Spiel gebracht. Nein, die schmucklose CD steckt in einem schmucklos semitransparenten „Jewel Case“.
DAS SIEGEL
Der ästhetische Clou an YEEZUS ist so dezent, dass er zunächst kaum auffällt – der rote Sticker an der rechten Seite. In einer früheren, von Kanyes Braut Kim Kardashian geposteten Version, war dieser Sticker noch ein geriffeltes Duct-Tape mit Edding-Aufdruck: „Yeezus“. Selbst das fehlt hier. Der Aufkleber ist das einzige Element, das die Verpackung adelt, denn es ist ein Siegel. Dafür sprechen die rote Farbe seine Funktion. Erst wer Sticker abzieht oder einreißt, also das Siegel bricht, dringt zum Inhalt vor und kann die CD entnehmen. Die Pointe besteht darin, dass ein herkömmliches Siegel den Inhalt vor unbefugten Blicken schützen soll, hier aber der Inhalt – die CD – bereits zu sehen ist. Vielleicht liegt der eigentliche Inhalt ja tiefer als die Oberfläche. Vielleicht, und das könnte die Kernbotschaft sein, ist es die Musik.
VORLÄUFER
System Of A Down
Pink Floyd hatten WISH YOU WERE HERE in einer schwarzen Plastikhülle verkauft, die aber eher Geschenkpapiercharakter hatte. Was den wegoder besser hinwerfenden Gestus betrifft, weisen hier eher System Of A Down mit STEAL THIS ALBUM einen Weg – der Albumtitel war wie mit Edding auf ein weißes Cover gekritzelt.
Suede
Mit A NEW MORNING wagten Suede 2002 bereits das Weglassen, allerdings ergänzt um den Namen der Band und des Albums auf der CD selbst – und einem neckisch verwischten roten Farbklecks, der wie Rauch aus dem Loch in der Mitte zu entweichen schien.
Hard-Fi
Wesensverwandt mit YEEZUS ist ONCE UPON A TIME IN THE WEST von Hard-Fi. Das Album sorgte 2007 für Aufsehen, weil es sich mit den Mitteln des Grafikdesigns dem Grafikdesign entzog. In schmuckloser Futura-Schrift steht da, was jeder ohnehin sieht: NO COVER ART.