Comeback Für Carlos
Die Erde hat ihn wieder! Carlos Santana läuft nicht mehr seinem Guru hinterher und ist auch sonst wieder ganz der Alte: die Haare so lang wie die Gitarrensoli und allen weltlichen Genüssen zugetan. Teddy Hoersch stieg zu Santana in den Tour-Bus.
Wie in alten Zeiten! Aus dem Zimmer von Carlos Santana dringt der schwere Duft süßlicher Räucherstäbchen. Hier in Kassel wirkt das doppelt komisch. Love & Peace in Börners Heimatstadt? Am Abend zuvor hat die achtköpfige Santana-Truppe in der“.Eissporthalle“ ihr erprobtes musikalisches Feuerwerk abgebrannt, jene perfekt abgestimmte Mischung aus Blues und Soul. Rock und Jazz. R&B und Funk.
Und die Reaktion des Publikums entsprach genau den Erwartungen: Andacht. Ekstase, Verzückung. Direkt vor mir führte eine Grazie mit selbstgestrickten Wollsocken einen wilden Tanz auf. Ein anderer stand wie hypnotisiert auf der Stelle und ließ den Kopf baumeln wie die Dakkel auf den Hutabkmcn der Autos. Wieder andere spielten auf imaginären Gitarren die Soli von Carlos nach. Und wenn mich mein Geruchssinn nicht verlassen hat. dann waren’s Haschisch-Wolken, die da gen Hallenhimmel stiegen.
Am nächsten Morgen um halb zehn Abfahrt nach Würzburg, weitere Station der zehnten Santana-Welttournee. die – ebenso wie das aktuelle Album – unter dem Motto „Freedom“ läuft. Kaum im Bus. kreist der Joint. Bandleader Carlos thront auf der Rückbunk. beschlagnahmt den Bananensaft von „Grannini“ und legt eine Cassette nach der anderen in seinen Gettoblaster.
„Beautiful“, sagt er und zeigt auf verschneite Wälder, die im Licht glitzern. Als ich ihm mit Waldsterben komme, meint er lakonisch: …4; least something’s growing“. zumindest etwas wachse!
Äußerlich erinnert nichts mehr an den Eleven von Musikcr-Guru Sri Chinmoy. Die krausen Haare, von grauen Strähnen durchzogen, sind wieder schulterlang. Das uniforme Weiß seiner Kleidung ist einem bunten Freizeit-Look gewichen.“.Devadip“. so sein spiritueller Name, raucht wieder (Marlboro und Marihuana), ißt Fleisch und läßt fünf gerade sein.
Auf die Frage, warum gerade Musiker einen solch ausgeprägten Hang zu Erleuchtungstheorien wie Scientology (Chick Corea, Stanley Clarke). zu Gurus (John McLaughlin. Pete Townshend) und religiösem“.Bäumchen-wechsel-diclr (Bob Dylan. Van Morrison) haben, hat Santana eine Antwort‘ „Das hat nichts mit dem sogenannte/t Rock ‚//‘ Roll-Leben zu tun. Keiner von denen, die du aufgezählt hast, macht Musik, um an dieser Glitterwelt zu partizipieren. Dieses profane Geschäft sollte man sowieso denen in Hollywood überlassen. Das Problem heißt Inspiration.
Ich glaube immer noch an einen Schöpfer, gleichgültig wie man ihn nennt: Jesus, Gott, Allah, Buddha. Für mich ist das alles eins. „
Wie darf man dann sein, sagen wir. normales Äußeres, sein normales Benehmen verstehen?
Mauz einjach, Freiheit kommt von Disziplin. Wenn man diese Lektion einmal gelernt hat, braucht man sich nicht streng an die Regeln hallen. Es reicht schon, wenn man auf seinen Körper hört. Er weiß, was einem gut tut, was einem schadet. „
Carlos wird am 20. Juli 40 Jahre alt. Nicht das einzige Jubiläum in diesem Jahr. Die Band, die seinen Namen trägt, feiert ihr ZOjähriges Bestehen. Seit der in Mexiko geborene Gitarrist in San Francisco sein Septett gründete, seit er 1969 – damals noch ohne Plattenvertrag – mit einem kochenden“.Soul Sacrifice“ die Woodstock-Generation begeisterte, erschienen 16 Band- und sechs Soloalben. Doppelplatin. Gold- und Hitehren gab’s mit schöner Regelmäßigkeit.
Erst als der religiös und musikalisch inspirierte Carlos sich dem Jazz zuwandte, kam der Karriereknick. Gitarrist Neal Schon und Keyboarder Gregg Rolie verließen das Ensemble, um Journey zu gründen. „Ich bin mit Nea! noch immer befreundet. Aber zu der Zeit, als er und Gregg noch in der Band waren, fehlte mir ganz einfach die Herausforderung. Und die brauche ich, um musikalisch zu wachsen. „
Wachsen konnte er dann an seinem Bruder im Geiste, John McLaughlin. Im Vergleich zu dem technisch brillanten Engländer, so war damals zu lesen, fühlte sich Santana harmonisch und akkordisch minderbemittelt.
„So ein Unsinn“, lacht er und die Fältchen in seinem Gesicht multiplizieren sich, „es gibt doch eh nur acht Noten. Mir geht’s nicht darum, der Schnellste zu sein, nicht darum, alle Akkorde zu kennen. Man kann – vorausgesetzt es besteht eine Einheit zwischen Geist und Körper, Herz und Seele – alles mit drei Noten sagen. Ansonsten gilt bei jedem Solo nur eins: Wie erzähle ich am besten meine Geschichte.“
Santana. der eerade den ehemaligen Miles-Davis-Gitarnsten Mike Stern zu seinem Favoriten erklärt hat und McLaughlin erst als Zweitliebsten nennt, macht in bezug auf sein Handwerk eine klare Aussage: „T-Boiw Walker hat den Schuh erfunden, in dein wir alle gehen. Für mich gehört er neben C ‚hurlie C ‚hristiun und Django Reinhard zu den Begründern des modernen Gilarrenspiek. Du kannst du jeden fragen: Chuck Bern, Muddy Waters, JimiHendrix, wo immer der jetzt ist. „
Es scheint, als habe Santana einen gangbaren Weg gefunden zwischen seineT weltfernen Religiosität und dem so irdischen Rock-Geschäft. Aber immer noch wimmelt es in der Terminologie Santanas von Bildern und Vergleichen aus dem Chinmoy-Handbuch. Musiker sind „Krieger des Lichts“, die in dem Jammertal Erde „uW Gutes um können“. Oder: Musik ist „universelle Sprache“, „Waffe der Liebe“, zu richten gegen die zwei Grundübel zeitgenössischen Lebens: Apathie und Ignoranz.
Man mag sich gegen das bildhafte und an den Religionsunterricht erinnernde Vokabular sträuben, aber Santana verströmt wirklich die Würde eines alten weisen Häuptlings. Als einer von der Roadcrew bekifft einschläft, streichelt er ihm fast schon zärtlich über den Kopf.