Classix Nouveaux -Dschinghis Khan der Avantgarde
Es gibt Gigs, auf die reagiert man einfach stocksauer, weil sie einem total gegen den Strich gehen. Dann gibt es solche, die an dir vorbeirauschen, während du dich fragst, warum du nicht zu Hause geblieben bist, anstatt jetzt schon zum zweiten Mal "Frühstück bei Tiffany's" im Fernsehen zu versäumen. Und dann gibt es Kuriositäten wie Classix Nouveaux, die bei aller amüsierten Distanz, auf unerklärliche Art und Weise wieder Spaß bereiten...
Im Londoner Rainbow mischt sich die Creme der jeder-ist-ein-Star-Kostümfront mit ein paar übriggebliebenen Punks. Angesagt ist der letzte Abend der Package-Tour, die unter dem Label Jhe 2002 Review 1981″“ Bands wie Biddie and Eve, Theatre Of Hate, Naked Lunch und eben Classix Nouveaux präsentierte. Die ersten beiden haben wir dann auch prompt versäumt, weil der von der Schallplattenfirma engagierte Busfahrer keine Ahnung hatte, wo‘ s zum Rainbow geht und nach einer Sightseeing-Tour durch die vornehmeren Vororte mit Müh und Not und vereinten Kräften schließlich doch noch zum Finsbury Park gelotst werden konnte. Also platzten wir mitten in die schlecht ausgesteuerten Haßausbrüche von Theatre Of Hate nicht ganz in der angemessenen Stimmung, zugegeben, und neugierig auf eine Band, die in London zumindest kein Medienmensch, der etwas auf sich hält, öffentlich ernst nimmt.
Das Interview mit Sal Solo, dem glatzköpfigen Frontmann von CN, kurz zuvor im Hotel, war recht freundlich abgelaufen. Wohl dankbar, daß jemand nicht gleich seine Verachtung über ihm ausgeschüttet hat, zeigte sich der Bühnen-Weirdo zurückhaltend und äußerst charmant. „Nasty Little Green Men“ und „Guilty“ waren allerdings auch die beiden einzigen Titel, die ich von Classix bis dato kannte, zwei unterhaltsame, aber nicht gerade weltbewegende Nummern. Und das ist schließlich keine allzu breite Basis für einen fairen Zweikampf. Außerdem gehört Sal Solo zu den Show-Dämonen, die off stage von geradezu entwaffnender Harmlosigkeit sein können. Allerdings teilt auch er das Bewußtsein vieler Bands seines Schlages, daß er einer der ersten gewesen sei…
Vor eineinhalb Jahren spielte er zusammen mit dem heutigen CN-Basssiten Mik Sweeney in einer Band namens News, die „ihrer Zeit einfach voraus war“ und deshalb vorzeitig wieder einpacken mußte. Ihrer Zeit voraus bedeutete, daß zum Konzept von News schon damals extreme Kostümierung gehörte, sowie der unkomplizierte Elektronik-Sound, wie ihn all die Bands pflegen, die (sehr zu ihrem Leidwesen) unter den Begriff „New Romantics“ zusammengefaßt werden. Mit dem ehemaligen X-Ray-Spex-Drummer B.P. Hurding und Gitarrist Gary Steadman formierte Sal Solo nach einem Intermezzo in Italien mit weitaus mehr Resonanz dann also Classix Nouveaux. („Sie standen auf meine Stimme und meine Songs“). Jetzt managt Falcon Stewart das Unternehmen, der Mann bekanntlich, der auch Adam mit neuen Ants versorgt und zum ersten Kultheroen einer neuen Bewegung gemacht hat. „Adam Ant ist der erste Superstar der 80er Jahre,“ stellt Sal Solo so auch neidlos fest.
Sind wir also schon mittendrin in einer neuen Glamrock-Ära? „This is it“ konstatiert Sal. „Es ist nicht mehr der Glamour im Sinne der 70er Jahre mit David Bowie, Mark Bolan und Gary Glitter … es ist dieselbe Art, aber nicht derselbe Stil. Ich meine, es ist wieder Zeit für Stars. Steve Strange ist ein Star. Und das ist es, was die Leute zu bestimmten Zeiten wollen. In den späten 70ern waren Stars zwar verpönt, aber trotzdem wurde Johnny Rotten einer“.
Von Adam & The Ants über Visage, Classix Nouveaux bis hin zu den Langweilern von Spandau Ballett, sind die Bands dieses Genres von einer übergreifenden Idee beseelt und legen doch so großen Wert auf Abgrenzung. Sollte die Kluft zwischen Adam Ant und Visage tatsächlich so groß sein wie einst zwischen David Bowie und Gary Glitter? Die gemeinsame Idee ist es, einen plakativen, fantasievollen Kontrapunkt zum Müll-Kult der PunkÄra zu setzen. Was Classix Nouveaux nun von anderen Mitstreitern auf diesem riesigen Kostümfest trennt, formuliert Sal Solo eher diplomatisch: „Ich glaube nicht, daß es viele Gemeinsamkeiten gibt, weil die einzelnen Acts eben doch zu verschieden sind. Wir sind Performer, die auch Wert darauf legen, gut auszusehen.“
Sal Solo bekennt sich ohne Verlegenheit zum reinen Entertainment. Rückblickend auf seine erste Konfrontation mit den Popsounds aus dem Radio, hält er den Star als Vehikel zum Abheben in eine Traumwelt für absolut notwendig. Missionarisches liegt ihm fern. Persönliche Empfindungen verarbeitet er in seinen Songs deshalb auch lieber subtil, er will sie niemandem aufdrängen. „Der unterhaltende Aspekt ist für mich auf jeden Fall wichtiger, weil man sich sonst viel zu schnell in eine Sache hineinsteigern kann.“ sagt er mit bewundernswerter Einfalt. Und wenn er hinzufügt: „Politik und all diese Dinge haben ihren Platz, aber sie sollten nie auf die Musik übergreifen. Wenn du Politiker werden willst, solltest du Politiker und nicht Musiker werden“, klingt das aus seinem Munde fast schon logisch. „Es gibt aber schon Musiker, die ihr politisches Bewußtsein gut einsetzen, aber die haben auch ein anderes Publikum als ihr,“ kann ich da nur noch halb-engagiert kommentieren, bevor ich das Thema wechsele. Ich glaube, er hat es nicht einmal als Kritik aufgefaßt. „Unsere Präsentation ist eine Art von Flucht,“ hatte er gesagt. „Es soll live so sein, als ob du fernsiehst: für eine Stunde vergessen, wo du bist, ganz woanders sein, in irgendeinem Bereich deiner Einbildung.“
Dann tut sie sich also endlich auf, die Fantasy-Welt, in der sich Mittelalterliches und Futuristisches in durchaus irdischem Rhythmus bei dramatischer Pose zu neu-romantischem Pathos vereinen. Ein 80er Mephisto Gründgens’scher Prägung könnte sich keinen würdigeren Rahmen wünschen, um weniger elitär zwar, dafür aber publikumsgerecht präsentiert zu werden. Zwei Fans schwenken derweil ein Transparent: Mik Sweeney – Our Hero! Der kunstvoll frisierte CN-Bassist wiegt sich federnd und hüpft leicht und elastisch von einem Fuß auf den anderen. Ebenso Gitarrist Gary Steadman. B.P. Hurding bearbeitet sein elektronisch erweitertes Schlagzeug mit der vitalen Kraft eines Landsers, und Sänger Sal Solo treibt das dämonische Schauspiel eines stimmgewaltigen Flaschengeistes. Classix Nouveaux lassen nichts aus und wickeln ihre englische Gefolgschaft mit ihrer Bühnenkonzeption so gekonnt ein, daß man ihnen eigentlich schon wieder auf die Schulter klopfen müßte.
Ihre Stärke ist es, daß sie von Anfang an darin geübt sind, mit wenigen Mitteln den optimalen Effekt zu erzielen. „Wir haben Lampen und Spots eben immer anders eingesetzt, ungewöhnlicher. Deshalb dachten auch viele, unsere Show sei ungeheuer teuer,“ erklärt Sal. „Aber das Kostüm, was ich heute trage, hat mich zum Beispiel nichts gekostet.“ Es gibt inzwischen viele Fans, die es sich zur Ehre machen, ihren Classix die pludrigen Gewänder zu nähen.
Der Auftritt im Rainbow ist allerdings ein wenig teurer geraten. So gibt es auf der Bühne ein Gerüst, in dessen Mitte der glatzköpfige, schwarzgewandete Sal – in blauen Nebel gehüllt – natürlich extrem gut zur Geltung kommt. Die Beleuchtung stimmt auf den Punkt und die Lichtblitze explodieren exakt an den richtigen Stellen. Und wenn Sal Solo das Publikum dann auch noch mit seiner verspiegelten Gitarre blendet, kennt die Begeisterung kaum noch Grenzen. Die lange verschmähte Trickkiste, da kommt sie wieder zu neuen Ehren. Die Band meint es ehrlich, da bin ich sicher, und das Publikum weiß es zu würdigen. Das alles wirkt auch nicht einmal lächerlich, nur eben lustig. Aber lustig soll es natürlich nicht sein, wenn Classix auf der Bühne den Kurztrip ins Unergründliche gestalten. Wenn Solo seine Stimme wie aus vampirverseuchten karpatischen Grüften aufsteigen läßt, denke ich respektlos an Ivan Rebroff. Schlimmer: manchmal kommen mir Classix Nouveaux sogar vor wie die Dschinghis Khan der Avantgarde. Trotzdem, Sal Solo, der auch in allerhöchster Stimmlage noch ein Maximum an Power besitzt und zwar live wie auf LP (NIGHT PEOPLE, vergl. ME 6/ 81), hält meine Neugier wach bis zum Schluß. Obwohl ich absolut kein Freund von dieser Art des Bühnen-Pathos bin, fasziniert mich, wie er’s rüberbringt. Ich fühle mich unterhalten, amüsiert, aber ich kann’s bei allem Wohlwollen nicht ganz ernst nehmen.
Da fallen mir zum Schluß noch einige Bemerkungen ein, die Sal Solo während des Interviews fallen ließ. Zum Beispiel: „Ich habe in Abendkursen ein wenig Tanz und Pantomime gemacht, aber ich bin da nie allzu tief eingedrungen, weil ich einfach auch zu träge war. Außerdem finde ich, daß du innerhalb der Musik diesen Kunst-Aspekt nicht so hochspielen solltest. Es ist wichtig, daß alles spontan kommt. Diese Überbetonung des Theatralischen ist auch der Grund dafür, daß ich an diesen Dingen nie so besonders interessiert war. Mit meinem Auftritt verhält es sich genau wie mit unserer Präsentation, die auf viele so teuer wirkt. Wenn jemand glaubt, dies sei einstudiert – das genau ist es nicht!“
Ich glaube, Sal Solo ist ein Typ, der durchaus meint, was er sagt. Aber er weiß es nicht immer.