Christopher Lee über die menschliche Stimme
Er hat in über 250 Filmen gespielt, und beileibe nicht nur auf englisch. Doch seine Stimme bleibt in jeder Sprache einprägsam. Das weiß Christopher Lee selbst am besten: Schließlich wäre er am liebsten Opernsänger geworden.
Christopher Lee sitzt in einem Ohrensessel und raucht eine Montechristo No.2. Seine Zigarre habe heute schon den Feueralarm des Hotels ausgelöst, erzählt er und zwinkert mit den Augen. Seine tiefe, sonore Stimme ist ebenso beeindruckend und ehrfurchterweckend wie seine gesamte Person. „Legende“ genannt zu werden, amüsiert ihn. „Mein Gott, das klingt, als sei ich schon tot.“ Der 82jährige lacht und pafft eine große Wolke.
Herr Lee, Ihre Stimme und Präsenz sind beeindruckend. Gemessen an Ihnen erscheinen viele junge Schauspieler ziemlich schwachbrüstig. Glauben Sie, daß die Schauspielausbildung früher besser war als heutzutage?
CHRISTOPHER LEE: Das ist möglich. Aber auch ich habe lange gebraucht, bis ich meine Werkzeuge richtig beherrschte. Ich bin nun seit 58 Jahren in diesem Beruf. In den ersten zehn Jahren hatte ich nicht viel zu tun. Niemand wollte mich für eine Hauptrolle besetzen, weil ich zu groß war. Männer arbeiten ungern mit anderen Männern, die größer sind als sie selbst, müssen sie wissen. Das ängstigt sie.
Glauben Sie, daß man Sie deshalb für Ihre erste Hauptrolle in Frankensteins Monster verwandelt hat?
Das kann gut sein, aber in erster Linie brauchten sie für diese Rolle jemanden, der genug Berufserfahrung hatte, um eine Rolle zu spielen, die sich niemand recht vorstellen konnte.
Viele wirklich brillante Filme mit Ihnen sind hierzulande leider nicht sehr bekannt. „The Wicker Man“ bekommt man in Deutschland nicht einmal auf DVD…
Das war der beste Film, den ich je gedreht habe. Aber der wichtigste Film, die größte Herausforderung und beste darstellerische Leistung meiner Karriere war ein Film, der es niemals in die Kinos geschafft hat: „Jinnah“. Ich spielte Mohammed Ali Jinnah, den Gründer Pakistans. Mit dieser Leistung würde ich gern in Erinnerung bleiben, wenn ich einmal nicht mehr bin.
Tod und Alter scheinen Sie nicht sonderlich zu beeindrucken. Es gibt kaum Schauspieler in Ihrem Alter, die es wagen, immer weiteres Neuland zu betreten.
Ich werde oft gefragt, ob ich Angst vor dem Tod habe. Doch warum sollte ich nervös werden? Natürlich möchte ich nicht sterben und noch möglichst viel Zeit mit meiner Frau und meiner Tochter verbringen können. Aber kann ich es beeinflussen? Nein. Wenn meine Zeit gekommen ist, kann ich nichts daran ändern. Aber bis dahin habe ich noch eine Menge vot.
Gehört dazu auch Ihr aktuelles Projekt mit der Heavy-Metal-Band Rhapsody?
Ja, das gehört auch dazu. Ich habe nie Populärmusik gehört und kannte mich damit überhaupt nicht aus.
Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Man fragte mich, ob ich Intro und gesprochenen Part in einem Song einer „Symphonie Rock Band“ übernehmen wolle. Als ich die Musik hörte, sagte ich: „So etwas kann ich nicht. Ich kann nicht so singen.“ Aber da es nur um einen Sprachpart ging, willigte ich ein.
Am Ende haben Sie dann doch gemeinsam gesungen.
Ich habe gesagt: „Ich kann natürlich nicht so singen wie sie und nicht die Art Musik komponieren, die sie komponieren, aber Fakt ist: Ich singe auch.“ Da waren die Bandmitglieder sehr verwundert. Also habe ich gesungen: Jagos Trinklied aus Verdis „Othello“, was ganz schön schwierig ist. Und sie sahen mich an und meinten: „Mein Gott, Sie können wirklich singen! Sie müssen etwas mit uns zusammen singen!“ So entstand der Song „The Magic Of The Wizards Dream“, den wir gleich in vier Sprachen aufnahmen: Deutsch, Italienisch, Englisch und Französisch.
Wurde Ihnen schon einmal ein Pop-Projekt angeboten?
David Bowie wollte vor vielen Jahren mal eine Platte mit mir aufnehmen. Das hätte ich gern gemacht, aber unsere Stimmen passen überhaupt nicht zusammen.
Ursprünglich wollten Sie Opernsänger werden. Weshalb haben Sie sich für das Schauspiel entschieden?
Das ist wahrscheinlich die traurigste Geschichte meines Lebens. Meine Mutter hatte schon eine wundervolle Stimme, das liegt bei uns in der Familie. Mein Urgroßvater und meine Urgroßmutter haben vor vielen Jahren, ungefähr um 1867, das erste Opernhaus Australiens ins Leben gerufen. Meine Urgroßmutter wurde „die tasmanische Nachtigall“ genannt und steht in jeder großen Opernenzyklopädie.
Das klingt nach den besten Voraussetzungen. Weshalb sind Sie nicht in diese Fußstapfen getreten?
Ich wollte gern! Ich war sehr jung, es muß 1948 oder 1949 gewesen sein. Ich war in Stockholm, saß mit Freunden in einer Bar, trank Bier und sang Studentenlieder. Plötzlich kam ein Mann zu mir und sagte: „Was machst du aus deiner Stimme?“ Und ich sagte: „Ich versuche zu lernen, ein Schauspieler zu werden.“ Und er schüttelte den Kopf und sagte: „Das ist falsch. Deine Stimme ist dein Instrument. Du mußt Opernsänger werden. Komm morgen um elf Uhr ins Opernhaus, stell dich auf die Bühne und sing mir etwas vor.“ Ich war schrecklich nervös. Ich sang auf italienisch, auf deutsch, Opern, Operetten, einfach alles, was mir einfiel. Und als ich fertig war, sagte er. „Wenn du ein Leben in Stockholm selbst finanzieren kannst, werde ich dich ausbilden. Du hast eine sehr gute Stimme. Irgendwann wirst du Hauptrollen auf dieser Bühne singen.“
Wer war der Mann?
Jussi Björling. Der damals wichtigste Tenor der Welt. Sie nannten ihn den Caruso des Nordens.
Weshalb sind Sie dann noch Schauspieler geworden? Solch eine Chance bekommt man nicht alle Tage.
Weil ich mir ein Leben in Schweden nicht leisten konnte. Selbst damals war es dort sehr teuer. So ging ich zurück nach England. Es gibt nichts, was ich in meinem Leben je mehr bereut habe.
Dennoch haben Sie sich immer ein Hintertürchen offengehalten. Es gibt viele Filme, in denen Sie singen.
Das stimmt. Sogar in „The Wicker Man“ habe ich ein wenig gesungen. Ich habe sogar Platten aufgenommen, auf denen ich meine liebsten Opern- und Operettenstücke sang. Vor ein paar Jahren habe ich mit einer Opernsängerin – einer echten! – ein Stück zusammen gesungen. Und in Amerika habe ich eine Platte in fünf Sprachen aufgenommen. Ich schuf Charaktere durch die Musik. Ich spielte mit meiner Stimme. Das ist ein großer Unterschied zur Filmschauspielerei.
Aber Schauspielerei lebt doch auch von der Stimme …
Selbstverständlich, an der Stimme merkt man sofort, ob ein Darsteller gute Arbeit geleistet hat, ob er überzeugend ist. Ich passe meine Stimme der Rolle an, es ist fast wie Singen. Mit der alltäglichen Sprache verhält es sich ebenso. Interaktion steht und fällt mit der Stimme. Es ist ein Unterschied, ob ich Sie (mit sanfter, beinahe schüchterner Stimme) freundlich und zurückhaltend anrede oder ob ich (mit tiefem, bestimmtem Vibrato) unsere Konversation ab sofort in dieser Stimmlage weiterführe. Mit verschiedenen Sprachen ist es genauso. Die Sprachmelodie im Deutschen ist völliganders als die italienische, französische oder russische. Die Sprache des Kinos allerdings wird immer Englisch sein, was es sehr schwierig macht, Filme aus anderssprachigen Ländern zu vermarkten. Haben sie „The House Of The Flying Daggers“ gesehen?
Ja, ein wundervoller Film. Leider bekommt man durch die Untertitel immer nur die Hälfte mit, weil man sich nebenbei aufs Lesen konzentrieren muß.
Untertitel sind grauenhaft. Aber auch notwendig. Ich halte nicht viel davon, wenn Filme synchronisiert werden. Indem man dem Schauspieler eine neue Stimme gibt, geht ein großer Teil seiner Darstellung verloren. Die Stimme ist ein maßgeblicherTeil der Figur.
Sie haben schon Filme auf deutsch, französisch und sogar russisch gedreht.
Und auf spanisch und schwedisch und italienisch. Aber werden sie im Original in England oder Amerika gezeigt? Natürlich nicht! Anderssprachige Filme haben genauso wenig Chancen wie neue Ideen. Es ist nicht einfach im Filmgeschäft heutzutage. Dennoch liebe ich meine Arbeit. Und wäre ich Opernsänger geworden, könnte ich jetzt nicht mehr arbeiten. Meine Stimme und mein Körper sind nicht mehr stark genug, um einen ganzen Abend auf der Bühne durchzuhalten.
Und rauchen könnten Sie dann auch nicht. (lacht) Doch, das könnte ich! Caruso hat auch geraucht.