Chris Spedding – Karriere auf Kreppsohlen
„Ich bin nur ein Musiker. Die Leute erzählen mir, was ich tun soll,und ich packe meine Gitarre aus und spiel’s. Dafür werde ich bezahlt.“ Mit diesen wenigen, eher bescheidenen Worten umschreibt Chris Spedding, seines Zeichens begehrtester Session-Gitarrist Englands, seinen Job. Den Job eines Studiomusikers.
Damit erlangte er aber lediglich in Musikerkreisen ein beachtliches Renommee. Für eine breite Masse trat er erst Anfang letzten Jahres aus dem Schatten der Anonymität. Als seine erste Single herauskam, und er offiziell den Mietsessions „Ade“ sagte, um eine Solokarriere zu starten.
Der Nostalgie-Freak
Dabei ist es alles andere als üblich, daß ein reiner Studiomann, noch dazu ein so begehrter, sich auf die Bretter der Öffentlichkeit stellt und lauthals verkündet, es künftig in eigener Regie versuchen zu wollen. Aber Chris leidet nicht an zu wenig Selbstbewußtsein. Er glaubt an sich und seine Sache und weiß, was er wert ist. Reife 32 Jahre, bereitet es ihm nicht die geringsten Schwierigkeiten, sich dem Image eines nostalgischen Rockers der frühen 60er Jahre anzupassen. Und genauso treffsicher und zielbewußt, wie er dieses Image an den Mann bringt, spult er seine Musik ab: Rock’n Roll und frühe R&B-Schlager. Alte Klamotten, die allerdings von seinem wohl hinlänglich bekannten Produzenten Mickie Most stets auf den neuesten Stand der Technik gebracht werden.
Immense Erfahrung
In dem Maße, wie Mickie Most ein erfahrener und erfolgsgewohnter Produzent ist, ist Chris Spedding ein profilierter und professioneller Gitarrist. Über kurz oder lang mußten sich die beiden einfach treffen und zusammentun. Aber es hat lang gedauert. Chris ist seit sage und schreibe 15 (!) Jahren im Geschäft (Mickie mindestens ebenso lange) und hat in all diesen Jahren so ziemlich jede der Stilrichtungen durchprobiert, die einem auf Anhieb einfallen: Von den Tanzkapellen über Swing-Orchester, von Big Bands über Jazzgruppen bis hin zu Soul- und Rock’n Roll-Formationen. Die immensen Erfahrungen, die er dabei gesammelt hat, sind quasi unbezahlbar und ließen ihn dann schließlich auch zum gesuchtesten Musiker in englischen Studiokreisen werden. Er fühlt sich halt in jedem Sattel zuhause.
Erste Soloambitionen
Wenn man derart zahlreiche Mietsessions hinter sich gebracht hat, kommt jeder irgendwann einmal an einen Punkt, wo er sich fragt, ob es nicht vielleicht zu etwas Eigenem reicht, zu einer eigenen Band oder einer eigenen Platte wenigstens. Nur, daß die meisten seiner Kollegen durch die häufige Session-Arbeit langsam an Identität verlieren. Nicht so Chris. Und da seine großen Idole neben Bob Dylan und Louis Armstrong King Elvis und Eddie Cochran sind, fiel es ihm nicht schwer, sich schnell ein passendes Out-fit zurechtzulegen: Der Teddy-Boy mit seinen typischen Problemen, die schon Pete Townshend zu seinem „Quadrophenia“-Opus inspiriert haben.
Studiofrustrationen
Chris hatte die Nase gestrichen voll, als er damit anfing, auf eigenen Beinen zu stehen. „Ich bin zwar gerne beschäftigt und tue am liebsten jeden Tag etwas Kreatives, aber die Sessions wurden mit der Zeit einfach zu viel. Über zwei Jahre spielte ich fast täglich auf drei verschiedenen Hochzeiten. Die erste von zehn bis eins, die nächste von zwei bis fünf und die letzte von sieben bis zehn Uhr. Dazu kommt, daß Du meist nicht so richtig auf die Sachen stehst, zu denen Du da ein Solo spielen mußt. Seit einiger Zeit nehme ich daher nur noch Aufträge an, auf die ich persönlich abfahre wie z.B. John Cale oder Roy Harper. Mein Preis ist natürlich inzwischen höher als der übliche, von der Musikerunion festgelegte Satz (ca. 100 DM pro Session), aber die Leute, die mich wirklich haben wollen, zahlen das, ohne lange herumzureden. Außerdem hatte ich genug davon, auf unzähligen Singles mitzumischen, die allesamt Nr. Eins-Hits wurden, und für die ich trotzdem keinen Pfennig mehr Kohle zu sehen bekam!“
Session-Jobs
Die Sessions derer, die Chris Preis bezahlten, sind kaum mehr alle rekonstruierbar. Unter anderem wirkte er bei Platten von Elton John mit, bei David Essex, bei Nilsson, Gilbert O’Sullivan, bei Nucleus, Eno und Roy Harper, bei Donovan, den Woombles (?), Lina Lewis, Mike Westbrook und bei .Jesus Christ Superstar“. Natürlich war er auch zeitweise fest in einer Band.
Die erste im Rock-Bereich war wohl Pete Brown’s Battered Ornaments von ’67 – ’69. Im: Jahre 1972 schloß er sich für! einige Monate der Jack Bruce‘ Band an, verließ sie aber wieder, um mit dem Ex-Free-Bassisten Andy Fräser die Sharks insj Leben zu rufen. Als das aber; ebenfalls schnell wieder in die‘ Hosen ging, half er John Cale und Roy Harper bei Europatourneen aus und hat gerade vor ein paar Wochen mit den Begleitern der Cale Band seine erste eigene Truppe gegründet. Die Chris Spedding Band.
Endlich- Die eigene Gruppe
Mit dabei sind Pat Donaldson, ein fantastischer Bassist, Timi Donald, ein nicht weniger talentierter Drummer und der Ex-Fairport Convention-Gitarrist Simon Nicol. Alles kampferprobte und überaus erfahrene Musiker, wie Chris stolz bemerkt. Momentan laufen die Vorbereitungen zur ersten eigenen Gruppen-LP auf Hochtouren, die irgendwann Ende des Jahres erscheinen soll. Die neue Single ist fertiggestellt. Eine reine Solo-LP brachte Chris bereits vor ein paar Monaten auf den Markt, die erste Mickie Most-Produktion übrigens, mit seinem Namen als Titel. Auf dem Cover der skeptisch dreinschauende Spedding in rosafarbenem Teddy Boy-Anzug, dicksohligen Turnschuhen und einer monströsen Haartolle. Neben ihm das olbigatorische Statussymbol von damals: Der chromüberladene Straßenkreuzer, in dem sich zu jener Zeit fast das ganze Leben abspielte. Und um dieses Leben geht es Chris auch in den meisten seiner Songs. (Die beiden viel früher erschienenen LP’s („Blackwoods Progression“ und „The Only Lick I Know“) würde Chris heute gerne vergessen, also tun wir ihm den Gefallen!)
Die Single-Erfolge
Richtig populär geworden ist Chris eigentlich nur durch seine Singles. Die erste, „My Bucket’s Got A Hole In It“ erschien Anfang ’75, erreichte jedoch noch keinen der vorderen Plätze in den Hitlisten. Aber bereits ihr Nachfolger, „Motorbikin‘ „, (eins seiner Lieblingsthemen), tummelte sich mehrere Wochen in den Top Ten. Und „Jump In My Car“, eine Auskoppelung der inzwischen erschienenen LP, erging es nicht viel anders. Viel lieber wäre Chris, wenn stattdessen sein Album solche Verkaufszahlen zeitigen würde. Aber vielleicht beim nächsten Mal, mit der eigenen Band… Mit der wird er vermutlich zur Veröffentlichung der Platte auch in Deutschland ein paar Konzerte geben.
Der versagte Poll-Platz
Trotz aller Beachtung, die er bei Insidern und speziell bei anderen Musikern bisher fand, blieb ihm eins bis heute versagt: Ein Platz in den umstrittenen Pop-Polls. Und das, obwohl genügend Leute gefunden werden könnten, die ihm bestätigen, daß er die meisten Konkurrenten ohne Mühe von der Bühne fegen würde. Für diese grobe „Mißachtung“ seiner Fähigkeiten gibt es für ihn nur einen Grund: ,Ich habe noch nie mit den ganz, großen Bands gespielt. Wie zum Beispiel Mick Ronson, der durch David Bowie Schlagzeilen machte. Und solange Du nicht diese mächtigen Publicity-Maschinen hinter Dir hast, wirst Du auch nicht als einer der Großen angesehen. Ist es nicht so?“ Hoffentlich liegt er mit dieser Vermutung richtig, der Chris, und es liegt nicht noch an etwas anderem.