Chris de Burgh – Schelm mit Charme


Es ist ein strahlender Frühlingstag in London. Der gepflegte junge Mann, der durch die Glastür der Plattenfirma auf die Straße tritt, blinzelt in die Sonne. Er sieht aus wie ein Büroangestellter oder Briefträger, der sich über den Feierabend freut. Doch hinter dem zufriedenen Lächeln des jungen Iren steckt mehr. Mit dem frisch unterzeichneten Plattenvertrag, den er in seiner Tasche trägt, ist ein Etappenziel erreicht, das ihn noch zu unglaublichen Höhen führen soll…? Das allerdings kann damals vor bald zehn Jahren – weder er selbst noch ein Prophet bei der Plattenfirma ahnen…

Denn schließlich: Auf der Gitarre klimpern und dabei von Ruhm und Reichtum zu träumen – wer hat das irgendwann nicht einmal getan?! Insoweit unterscheidet sich Chris De Burgh, Sohn einer pikfeinen irischen Aristokraten- und Diplomaten-Familie, kaum vom Durchschnitt.

Was ihn hingegen, von der Masse abhebt, ist seine Fähigkeit, hochkarätig kommerzielle Musik, gepaart mit hintergründigen Texten, aus dem Ärmel zu .’schütteln – und auch in dem irischen Starrkopf, der ihm in Zukunft sämtliche Hindernisse aus dem Weg walzen wird. Die Story hinter Chris De Burghs kometenhaftem Aufstieg klingt fast schon wie ein modernes Märchen. Aber wo gibt’s denn heute noch Zauberer, Hexen und Zwerge?

Ein paar Songs, auf einem Cassetten- Recorder aufgenommen, finden über einen Freund ihren Weg zu einem Musik-Verleger. Der muß den zukünftigen (fetten) Braten gerochen haben, denn bereits einen Tag später ist Mr. De Burgh im Besitz seines ersten Verlags-Vertrages.

Der Grundstein ist gelegt, doch zum angepeilten Erfolg fehlt noch eine Menge – zunächst einmal ein Plattenvertrag.

So macht sich Chris auf den ausgetrampelten Pfad Tausender Musiker und poliert-die Türklinken sämtlicher Plattenfirmen. Doch diese sind nicht ganz so hellhörig wie sein Musik-Verleger: „Interessant, aber kommen Sie wieder, wenn Sie neues Material haben“, klingt es ebenso lakonisch wie stereotyp aus den Chrom-Palästen der Plattenbosse. Nur: Die Plattenleute haben nicht mit seiner Zielstrebigkeit gerechnet, die seine spätere Karriere prägen soll und nicht selten extreme Ausmaße annimmt.

Kaum ist er abgewiesen worden, steht er schon wieder mit neuen Ideen, neuen Songs und neuen Konzepten vor der Tür. An einen „bürgerlichen“ Job möchte Chris gar nicht erst denken: „Alternativen zur Musiker-Karriere gab’s für mich keine“, lächelt er heute rückblickend, „Ich hatte mich bereits zu fest in die Idee verbissen. Mir war völlig klar, daß die Chancen, im Musik-Business weiterzukommen, etwa 1 zu 100000 standen, aber mein Dickschädel ließ nichts unversucht.“

Dieser Dickschädel schafft tatsächlich das statistisch Unwahrscheinliche: Er handelt sich einen Plattenvertrag ein und darf eine erste LP aufnehmen. Spektakuläres bleibt allerdings aus: Die Verkaufszahlen sind mehr als mäßig, und sein Tingeln durch die Folk-Clubs von Irland und England schafft ihm höchstens Insider-Anerkennung.

Dabei lernt er gleichzeitig das wirkliche Musikerleben kennen – und das stellt sich als das genaue Gegenteil‘ seiner Traumvorstellungen heraus:

„Ich mühte mich ab wie ein Verrückter. Jede Nacht spielte ich für ein Butterbrot vor einem gelangweilten Publikum. Ein vernünftiger Mensch hätte längst aufgegeben, aber ich konnte meinen Traum nicht einfach an den Nagel hängen. Und überhaupt: Wer will denn schon vernünftig sein?!“

Die Unvernünftigkeit macht sich 1975 mit Zins und Zinseszins bezahlt. Der gleiche Mann, der seinerzeit Chris schon den Platten-Deal verschaffte, hatte Jahre zuvor Supertramp unter Vertrag genommen und ist jetzt eben dabei, hauptberuflich als Manager bei Supertramp einzusteigen. Chris „rutscht“ geradezu in dieses Management mit hinein. Als es um die Wahl des Vorprogrammes für eine Supertramp-Welt-Tournee geht, geschieht alles wie von selbst…

Wir schreiben 1975. Bevor sich Chris versieht, spielt er plötzlich in riesigen Hallen allein und verloren mit seiner akustischen Gitarre vor einem Publikum, das gekommen ist, um eine Supergruppe zu hören und nicht einen unbekannten Iren mit seinen folkloristischen Balladen!

„Ich hatte eben meine erste LP-FAR BEYOND THE CASTLE WALLS – aufgenommen und spielte meine Songs bei 75 Konzerten quer durch Europa, die USA und Kanada. Gegen Ende der Tournee bekam ich langsam die nötige Routine und wurde immer besser, aber trotzdem war das Ganze ein echter Horror! Mich schüttelt’s heute noch bei dem Gedanken! Ich mußte jede Nacht mit mir kämpfen, um überhaupt auf die Bühne zu gehen; es war ein 45-Minuten-Alptraum! In einigen Ländern Europas wurde ich regelrecht ausgebuht. „

Und trotzdem war es nicht das letzte Mal, daß du als Vorprogramm zu Supertramp auf die Bühne gingst…

„Nein, aber später hatte ich auch meine eigene Band und dadurch wesentlich mehr Selbstvertrauen, als ich noch etliche Male mit Supertramp spielte, zuletzt auf ihrer diesjährigen Abschieds-Tournee in der Ur-Formation.

In Kanada spielten wir damals

noch immer als Vorprogramm

vor fast 60000 Zuschauern; und da hat’s echt eingeschlagen 1 Plötzlich verkaufte ich waggonweise LPs und bekam anständige Konzert-Angebote“

Veranlaßt durch die unerklärliche Popularität in Kanada veröffentlicht seine Plattenfirma eine „Best Of‘-LP, die mit Ausnahme zweier Songs ausschließlich Material enthält, das auf den fünf Alben, die Chris bereits aufgenommen hat, weitgehend unbeachtet geblieben ist.

BEST MOVES – so der Titel ist denn auch die Platte, die aus dem „Nobody“ Chris De Burgh innerhalb kürzester Zeit zuerst einen Geheimtip – und dann einen Superstar machen wird…

Nach Veröffentlichung der LP wird die erste eigene Europa-Tour angesetzt – und dabei passiert Unglaubliches: Konzertveranstalter in ganz Europa, so routiniert sie im Schätzen von Zuschauerzahlen und angebrachten Hallengrößen auch sein mögen, verkalkulieren sich diesmal kraß. Völlig unerwartete Zuschauer-Scharen wollen den stillen Iren plötzlich auf der Bühne sehen.

Das hat sicherlich mit dem BEST MOVES-Album zu tun, das stetig in den Charts hochklettert; mitverantwortlich ist jedoch ebenso sicher eine vorangegangene Promotion-Tour, die Chris quer durch Europa führt, Von seiner Plattenfirma wird er nicht etwa zum „kommenden Superstar“ proklamiert, sondern eher ungewohnt schlicht als neuer Künstler mit persönlichen Songs und kernigen Aussagen vorgestellt.

In einer geschickten Mischung aus Instinkt und scharf kalkulierter Voraussicht nimmt sich Chris bewußt viel Zeit, plaudert oft stundenlang mit Journalisten und hinterläßt überall mit seinem Charme eine Hypothek, die ihm wenig später sämtliche Türen öffnen soll.

„Ich bin ein Mensch, der sich gern mit anderen unterhält, der gerne Kontakte pflegt. Böse Zungen behaupten, ich hätte mir aus Berechnung gute Beziehungen zu Journalisten und Plattenleuten aufgebaut. Sicher; Freundschaften gibt’s da schon, aber die haben sich ganz natürlich ergeben!“

Noch heute, fast genau zwei Jahre nach dem großen Durchbruch, bilden Songs von BEST MOVES (wie „Spanish Train“ oder „In A Country Churchyard“) die Höhepunkte jedes Konzerts. Ist das nicht eine hinderliche Erbschaft?

„Manchmal habe ich schon das Gefühl, als ob ich auf der Stelle träte. Die alten Stücke werden leider immer und immer wieder verlangt. Ich mußte zwangsläufig Abstriche aus dem Repertoire machen, um überhaupt neue Songs vorstellen zu können! Glücklicherweise hatte THE GETAWAY einige Songs, die populär wurden und ebenfalls verlangt werden.

Ich darf mich allerdings auch nicht durch die erzielten Erfolge von neuen Projekten abbringen lassen, obschon das gelegentlich sehr verführerisch ist Heutzutage flitze ich von Konzert zu Konzert, mache Platten und Videos – und habe immer weniger Zeit, um kreativ zu sein.

Hinzu kommt, daß die meisten Gruppen zwei, drei Song-Schreiber haben, die sich gegenseitig anspornen und auch ergänzen können. Diese Möglichkeit kenne ich nicht; dadurch wird der Druck auf mich unglaublich intensiv. Das Schreiben wird zum härtesten Teil des Jobs.

Das soll aber beileibe nicht heißen, daß ich’s nicht gern tue! Ich sammle immer und überall Impulse und Eindrücke. Vielleicht hat das mit meiner Kindheit zu tun: Als Sohn einer Diplomaten-Familie verbrachte ich lange Jahre meines Lebens auf den verschiedensten Kontinenten. Dadurch war ich auch öfter allem als andere Kinder und lernte, die Einsamkeit durch Phantasie auszugleichen.

Phantasie ist eine wichtige Sache. Ich glaube fast, sie ist mein intensivster Lebensinhalt. Sie ist einer der wenigen Orte, wo es auch heute noch so etwas wie eine heile Welt gibt!

Ich versuche mit meinen Songs, die Phantasie der Zuhörer anzusprechen, indem ich Bilder präsentiere, die den Kern dessen enthalten, was ich aussagen will. Ich vermittle die Umrisse, nicht den detaillierten Gegenstand. Jeder Zuhörer kann sich den Rest der Bilder selbst zurechtlegen und ausmalen; er kann seine eigenen Gefühle hineinspielen lassen. Ich bin keiner, der fertig verpackte Meinungen verkaufen will, sondern versuche, durch Gleichnisse etwas zu vermitteln.

Das entspricht auch meiner Art als Mensch; Wenn ich ein Problem diskutieren will, tue ich das oft in einer schemenhaften, obskuren Weise. Diese Art des Denkens und Songschreibens ist für mich nun mal viel interessanter- denn schließlich will ich auch für mich eine persönliche Befriedigung herausholen!“

Reagieren denn die Zuhörer auf die Texte? Kommen deine Botschaften überhaupt durch?

„Ich bekomme eine Menge Fan-Post; und ein großer Teil davon bezieht sich auf den Inhalt meiner Songs. Es gibt Leute, die sich von meinen Texten haben trösten lassen; und es gibt andere, die mir ihre Interpretation zu Songtexten schreiben, die dann für mich oft neue, aber nicht minder interessante Aspekte aufzeigen.

Die meisten Zuschriften gehen tief unter die Haut, sind sehr emotionell. Sie zeigen mir, daß ich irgendwie richtig liegen muß, wenn ich nicht alles vorkaue, sondern nur Bruchstücke zeige – und den Rest der Einfallskraft jedes einzelnen überlasse. Man bekommt vom Fernsehen schon genug vorgefertigte Sachen serviert, bei denen man bloß noch konsumiert und überhaupt nicht mehr zu denken braucht!“

Fernsehen, Videos – das sind Schlagwörter, an denen du aber selbst wohl kaum vorbeikommst …

„Es paßt alles gut zusammen: Meine Songs basieren auf kurzen Geschichten, auf Mini-Handlungen; im gewissen Sinne sind sie also bereits theatralisch gefärbt. Da kommt natürlich das Aufblühen der Musik-Videos als willkommene Sache ins Spiel, die mir zudem auch ungeheuren Spaß macht!

Bloß: Man muß eine klare Linie ziehen zwischen einem Promo-Video für eine Platte – und einer visuellen Produktion, die ein eigenständiger Film zu sein versucht. Ich finde es absolut hirnrissig, 150000 Dollar für die Herstellung eines Videos auszugeben, dessen einzige Funktion es eigentlich ist, den Plattenverkauf anzukurbeln. Man kann auch für 30000 Dollar ein gutes Video ein sehr gutes Video! machen.

Besteht nicht bei einem Video die Gefahr, daß man der Phantasie des Zuschauers insofern die Flügel stutzt, als man ihm explizit und bildlich zeigt, was eigentlich der Imagination des Hörers überlassen sein sollte?

„Das kommt darauf an. Dasselbe kann man ja schließlich auch mit Songtexten tun wenn sie zu detailliert werden. Wie ich schon sagte: Meine Texte lassen eine Menge Freiraum zu eigenen Interpretationen; und ich hoffe, meine Videos tun das auch. Aber es ist natürlich ein gewisser Trend vorhanden, dem Zuschauer das letzte Detail unter die Nase zu reiben. Sicher eine tragische Entwicklung, die aber generell im TV passiert und uns letztlich zu hirnlosen Bild-Konsumenten macht.“

Was beeinflußt eigentlich deine Song-Texte? Liest du viel? Und was?

„Ich lese nicht viel – schon aus Zeitgründen -, aber ich lese: Graham Greene, den einen oder anderen Thriller, Charles Dickens. Die Ideen für Songs kommen aber selten aus Büchern, höchstens aus einer Stimmung heraus, die ein Buch hinterlassen hat.

Die Ideen haben aber meist viel profanere Hintergründe: Kürzlich war ich auf einem Flughafen in den USA und beobachtete die Leute, die einen Quarter (25 Cents) nach dem anderen in die Mmiatur-Fernseher in der Wartehalle warfen. Unzählige Leute, die hinter flimmernden Bildschirmen hockten und sich dennoch langweilten. Die werden bestimmt in einem meiner nächsten Songs auftauchen!“

Du lebst wohl nach wie vor in ziemlicher Abgeschiedenheit in Irland..?

Ja, so wie die vielbesungenen Leute von nebenan. Ich habe eine Fünfzimmerwohnung mit meiner Frau. Hätte ich ein Haus, müßte ich Leute anstellen, die es unterhalten, denn ich bin ja kaum einmal zu Hause. Ich führe eigentlich ein stinknormales Leben – schon eher langweilig, wenn man sich ’s genau überlegt! Als Kontrast zur Hektik der Tourneen ist das allerdings auch dringend notwendig. Ich spiele etwas Golf, Tennis, Sguash und fotografiere – was man eben so an Wochenenden tut. Ganz spießbürgerlich!“

Hast du politische Überzeugungen, für die du dich auch engagierst?

“ Wenn ich’s lassen kann, lieber nicht! Ich wohne ja auch nicht in Nord-Irland. Es sind tragische Sachen, die dort passieren, aber ich empfinde meine Rolle als Schreiber nicht als diejenige eines Kommentators oder Schulmeisters mit erhobenem Zeigefinger.

Ich habe schon politische Einstellungen und auch Aussagen dazu. Nur sind sie nicht spezifisch im Sinne von ,Rettet El Salvador‘ oder ,Stoppt die Bomben in Nordirland‘, sondern viel globaler. Hinzu kommt noch, daß ich – was vielleicht generell ein Problem von mir ist – mich sehr subtil auszudrücken pflege. Englischsprachige Leute mögen gewisse Untertöne noch wahrnehmen, aber in Übersetzungen gehen die Subtilitäten allesamt verloren. Ich habe beispielsweise vor einiger Zeit mit dem ,Stern‘ und dem ,Spiegel‘ ein Interview gemacht. Zu beiden habe ich gesagt, daß ich zwar nicht aktiv an Politik interessiert sei, daß ich jedoch wenn man z.B. bei ,Borderline‘ genau hinhört – durchaus eine Aussage mache.

Beide Zeitschriften haben das prompt in den falschen Hals gekriegt und schrieben – was ich als sehr verletzend empfinde -, daß dieser Typ viel zu weich sei, kein Rückgrat habe Gleichzeitig wurde aber gerade ,Borderline‘ von führenden Journalisten der ,Sunday Times‘ m England praktisch zum Song des Jahres gekürt, gerade wegen der Aussage! Denn die ist nun mal gegen den Krieg, ganz explizit. Es geht um junge Männer, die in einem Krieg sterben müssen, der von alten Männern heraufbeschworen wurde – siehe das Falkland-Fiasko.

Die direkte Konfrontation möchte ich dennoch anderen Leuten überlassen; wenn man an einer langfristigen Karriere im Musik-Business interessiert ist, sollte man nicht zu spezifisch werden. Denn in fünf Jahren ist das Aktuelle von heute der Schnee von gestern.

Du hältst es also prinzipiell für nicht angebracht, daß Musiker mit ihrer politischen Meinung an die Öffentlichkeit treten.

„Jemand in meiner Position also jeder halbwegs bekannte Rockmusiker – hat kein Recht, die Tatsache auszunützen, daß er im Radio oder Fernsehen auftreten kann. Politik sollte den Politikern überlassen werden; Künstler sollten sich mit Kunst und Unterhaltung begnügen.

Dennoch gibt es einen Bereich, in dem jemand wie ich aktiv sein kann – und auch sollte! Und das ist – grob umschrieben – der Weltfrieden.

Es dreht sich darum, daß jeder selbst für sein eigenes Überleben kämpfen muß in einer Welt, in der er Gefahr läuft, als einer von – sagen wir – 27 Millionen Menschen, die bei der ersten Welle eines nuklearen Angriffs sterben, zu enden. Entweder ist man ein Zyniker und sagt: Alles nimmt unabänderlich seinen Lauf- oder man ist ein Träumer, jemand, der seine Einfallskraft zur Änderung der Dinge verwendet. Ein Zyniker bin ich jedenfalls nicht. „