CDs aus der Frühsteinzeit


Antikes Steingut braucht eben etwas länger: Die Stones-Werke der Siebziger erblickten, klanglich überarbeitet und in originalgetreue Hüllen eingepackt, bereits letztes Jahr (ME/Sounds 5/94) das Licht des digitalen Zeitalters. Nun sind die Frühwerke aus den Sixties an der Reihe: Polydor veröffentlicht 15 Alben und drei CD-Boxen – digital remastertes Material, das die Stones ursprünglich zwischen 1963 und 1971 für ihre erste Plattenfirma Decca eingespielt hatten. HiFi in Reinkultur ist von den angejahrten Aufnahmen natürlich nicht zu erwarten, doch das Rauschen hält sich in erträglichen Grenzen. High End-Puristen mit Sinn für Dezibelzählereien sollten sich ohnehin lieber an volldigitalen Demonstrations-CDs ergötzen, denn der rauhe Rock der Sechziger klingt angeschmuddelt immer noch am besten: Zu fettigen Pommes paßt eben ein Bier – und kein noch so deliziöser Schampus.

Als Aperitif empfehlen wir ENGLAND’S NEWEST HIT MAKERS (844460-2, 4), die US-Ausgabe des in Europa schlicht ‚The Rolling Stones‚ betitelten Debütalbums von 1964. Einziger Unterschied: Das Bo Diddley-Cover ‚Mona‘ weicht der Hit Single ‚Not Fade Away‘, worunter der derbe Charme des Rhythm & Blues-lastigen Erstlingswerks allerdings nicht leidet. Nach eins kommt zwei? Fehlanzeige: ‚The Rolling Stones N0.2‘ wurde nicht überarbeitet, statt dessen muß man mit den amerikanischen Compilations 12X5 (844461-2, 4) und THE ROLLING STONES, NOW! (844462-2, 5) vorliebnehmen, die jeweils Albumtracks sowie Single-A- und B-Seiten munter aneinanderreihen. Die amerikanische Unsitte, Songs der britischen Originalalben zu streichen, um Hitsingles unterzubringen, setzte sich 1965 auch mit OUT OF OUR HEADS (844463-2, 5) fort. Die Verwirrung komplett macht DECEMBER’S CHILDREN (844464-2, 5), eine Compilation mit zwei Live-Tracks, die das Cover-Artwork der britischen Originalversion von ‚Out of Our Heads‘ ziert. Mit drei Songs weniger als das europäische Pendant mußte die US-Ausgabe des Samplers BIG HITS (844465-2, 5) auskommen, und auch beim 66er-Meisterwerk AFTERMATH (844466-2, 5) schlössen die US-Macher einen seltsamen Deal ab. Gleich vier Songs fielen der Repertoirepolitik zum Opfer, dafür gab’s den Hit ‚Paint It Black‘ gratis dazu: einen Punkt Abzug für das US-Remake, die seit 1988 auf CD erhältliche Euro-Version mit der lilafarbenen Hülle ist der bessere Kauf. Die Neuauflage von GOT LIVE IF YOU WANT IT (844467-2, 3) markiert indessen einen echten Fortschritt: Der rüde, mit nachträglichen Overdubs versehene Konzertmitschnitt stand einst als markantes Negativbeispiel dafür, was man in den Sixties unter ‚Stereo‘ verstand. Die neue Version klingt deutlich ausgewogener. Ein letztes Mal zur Schere griffen die Amis – zumindest was ein abtaa Originalalbum angeht – beim 67er-Werk BETWEEN THE BUTTONS (844468-2,* 5): ‚Backstreet Girl‘ und ‚Please Go Home‘ flogen raus, ‚Let’s Spend The Night Together‘ und ‚Ruby Tuesday‘ hielten Einzug. Wo dabei der Vorteil liegt, ist unklar, doch immerhin versammelt die Compilation FLOWERS (844469-2, 4) unter anderem sämtliche Songs, die man in den USA auf ‚Aftermath‘ und ‚Between The Buttons‘ nicht hören wollte. Unbeschnitten kommt das LSD-Opus THEIR SATANIC MAJESTIES REQUEST (844470-2, 3) in die Läden, wobei man auf die 3DHülle der Vinylscheibe leider ver ziehten muß. Dafür gibt’s das Jahrhundertwerk BEGGAR’S BAN-QUET (844471-2, 6) mit dem originalen Orgien-Innencover: Mick, Keith, Charlie, Bill und Brian in der Pose ihres Lebens. Letzterer gab kurz darauf den Löffel ab – und wurde von seinen Kollegen posthum mit dem Sampler THROUGH THE PAST, DARKLY (844472-2, 3) gewürdigt. Ersatzmann Mick Taylor gab auf LET IT BLEED (844473-2, 4) seinen Einstand, die Livequalitäten der zweiten Stones-Besetzung läßt der in den USA eingespielte Konzertmitschnitt GET YER YA-YA’S OUT (844474-2, 5) Revue passieren. Wem das alles zu speziell ist, dürfte mit HOT ROCKS (844475-2, 5) und MORE HOT ROCKS (844478-2, 5) gut bedient sein: Die beiden Doppel-CDs verhelfen Einsteigern zum klaren Durchblick in Sachen Frühsteinzeit. Noch besser wird diesem Anspruch die 3-CD-Box SINGLES COLLECTION (844481-2, 6) gerecht: Auf über drei Stunden präsentiert das Set sämtliche 45er, die von den Stones für Decca eingespielt wurden, sowie Bonustracks vom Raritätenalbum ‚Metamorphosis‘.