Caron Wheeler: the Soul of Soul II Soul


Daß Soul II Soul gleich mit dem Debüt Soul-Geschichte schrieb, war nicht zuletzt ihr Verdienst. Nicht nur ihre spektakuläre Stimme, sondern auch ihr musikalischer Input wareu das A und O für Jazzy B. Warum sie die unsichere Solokarriere einer sicheren Zukunft bei Soul II Soul vorzog, erklärte Caron Wheeler ME/Sounds-Mitarbeiler Steve Lake.

Auch wenn einem der Name (noch) nichts sagt – wir alle haben Caron Wheeler schon gehört. Jahrelang war sie nur eine körperlose Stimme und wurde erst durch Soul II Soul zu einem Gesicht. In den Videos zu „Keep On Movin'“ und „Back To Life“ wirkte sie wie Jazzie B’s weibliches Alter Ego, beide von einer beeindruckenden, bildschirmfüllenden Präsenz, breite Gesichter gekrönt von Dreadlock-Massen…

Carons Stimme dagegen war schon lange vor Soul II Soul fester Bestandteil der Pop-Landschaft und ist etwa im Backup-Chor von Special A.K.A.S „Free Nelson Mandela“ deutlich zu vernehmen. Und wer Alben von Heaven 17, den Jam, Phil Collins, Nona Hendryx, Howard Jones, Erasure, Neneh Cherry oder Elvis Costello besitzt, wird Carons Namen irgendwo auf dem Cover finden. Leser mit gutem Gedächtnis oder einer umfangreichen Reggae-Sammlung erinnern sich vielleicht auch an eine Band namens Brown Sugar, die Anfang der 70er Stammgast in den englischen Reggae-Charts war. Die Lead-Sängerin? Natürlich Caron Wheeler.

Sie war also schon ein alter Hase, als Jazzie B bei ihr anklopfte, und der Erfolg hat ihr nicht den Kopf verdreht. Trotzdem waren Insider verblüfft, als Caron das Angebot, fest bei Soul II Soul einzusteigen, ablehnte und damit auch einen Haufen Geld ausschlug. „Durch Soul II Soul wurde ich über Nacht ins Scheinwerferlicht gestoßen“, sagt Caron, eine bescheidene, gesprächige Frau mit Cockney-Akzent und der Statur einer afrikanischen Königin. „Nach 12 Jahren in zweiter Reihe war ich auf so etwas nicht vorbereitet. Als ich Jazzie traf, hatte ich gerade beschlossen, ein bißchen Stellung zu beziehen, Songs zu schreiben und ein paar gewagtere musikalische und textliche Ideen zu verwirklichen, die mir schon seit Ewigkeiten durch den Kopf gegangen waren. An eine Solo-Karriere dachte ich dabei eigentlich nicht. Ich wollte nur die Studioarbeit aufgeben und mich aufs Schreiben konzentrieren. Aber weil ich Jazzie mochte und mir sein musikalisches Konzept gefiel, machte ich mit.

Ab „Keep On Movin“ dann ein Hit wurde, dachte ich, jetzt oder nie. Entweder bleibst du in dieser Band und wirst reich, oder du machst deine eigene Musik. Irgendwie fiel mir der Abschied leicht – schließlich hat man nur ein Leben und sollte recht zeitig damit anfangen, das zu tun, was man wirklich tun will …“

Wenn einige der Stücke auf UK BLAK, Carons erstem Solo-Album, stark an Soul II Soul erinnern, dann deshalb, weil sie die Musik dieser Band mit geformt hat. Jazzie ist kein Musiker. Er ist DJ und deshalb sehr abhängig von seiner Umgebung. Die Tracks, auf denen ich singe, sind mehr oder weniger alle meine Arrangements.“

Soul II Souls Groove-Kollektion, von Hip-Hop über Soul bis zum Reggae, mit einigen Prisen Rock, Jazz und Ethno-Klängen, überraschte zwar durch ihre Frische, sehr viel erstaunlicher war jedoch, daß ihre Ideen – Reflektionen über das Leben schwarzer Jugendlicher in London – nicht schon früher realisiert worden waren. Caron führt diese Ideen auf ihrer Platte einen Schritt weiter, bringt ihre Erfahrungen aus der Arbeit im Schatten anderer Musiker mit ein und geht zurück zu den Wurzeln der Musik.

„UK BLAK wird schon jetzt häufig falsch interpretiert, viele verstehen meine Aussage als Ausdruck regionaler oder kultureller Überlegenheit. Das war nicht meine Absicht. Der Song, UK Blak’z. B. ist deswegen entstanden, weil ich so erstaunt über die Unwissenheit amerikanischer Journalisten war. Als ich mit Soul II Soul auf Promo-Tour war, wurde ich ständiggefragt: „Warum hast du eigentlich einen britischen Akzent?‘. Ich fragte mich, wie es möglich ist, daß die westindischen Einwanderer in England anscheinend für den Rest der Welt eine völlig unbekannte Größe sind. Ich weiß, daß die Farbe Schwarz in der englischen Flagge nicht vorkommt, aber das war wirklich ein bißchen zuviel des Guten.“

„UK Blak“ ist also eine kleine Geschichtsstunde. Es beschreibt, wie tausende von Westindern nach dem zweiten Weltkrieg mit dem Versprechen „Habt Teil an dem Reichtum des Commonwealth“ nach Großbritannien gelockt wurden und dort feststellen mußten, daß man es nur auf billige Arbeitskräfte zum Wegräumen der Trümmerhaufen abgesehen hatte. Viele waren aus Geldmangel gezwungen zu bleiben, hielten aber ehern an ihren gewachsenen Traditionen fest.

Caron wuchs in einer typischen jamaikanischen Arbeiterfamilie auf, in der man Bluebeat und Ska hörte, ihre ersten Einflüsse. „Später kamen andere Dinge dazu – die Beatles, Marc Bolan, David Bowie, dann ging es mit Reggae und Philly-Sound los. Als ich 13 war, ruinierte ich mir fast die Stimme, weil ich versuchte, wie Deniece Williams, Chaka Khan und Judy Mowatt gleichzeitig zu singen. Meine stilistische Bandbreite war also schon damals recht groß…“

Die Studioarbeit brachte weitere Anregungen: „Die Arbeit mit Elvis Costello verschaffte mir völlig neue Einsichten, was das Songschreiben betrifft. Die Vielschichtigkeit seiner Texte, die raffinierten Plots – das hat mich wirklich umgehauen. Howard Jones‘ humanitäres Engagement hatte etwas Bewegendes, und die Aufnahmen mit den Jam machten richtig Spaß. Einige von Paul Wellers wütenderen Songs haben mir gezeigt, wie man politische Themen anschneiden kann – etwas, was die Soulsänger damals nicht getan haben. „

UK BLAK zielt eindeutig auf die Tanzfläche – die durchaus gehaltvollen Texte müssen sich meist krachenden Baß-Grooves und treibender Percussion unterordnen. Caron drängt ihre „Message“ niemandem auf, und die Anziehungskraft der Platte liegt in der Ausgewogenheit zwischen dem intimen Sound der Vokal-Arrangements und den stampfenden Rhythmen. Der innovativste und bewegendste Song der Platte fällt dagegen völlig aus dem Rahmen: „Somewhere“, ein Acappella-Stück mit einer sich serpentinenartig über gewagten Harmonien dahinschlängelnden Melodie, eine vokale Tour de Force, die echte emotionale Kraft besitzt. Caron hat das Stück für ihren sechsjährigen geistig behinderten Sohn geschrieben: der Text setzt sich mit der schmerzhaften Erkenntnis auseinander, für das eigene Kind ein Fremder zu sein.

„Wenn ich auf Tour bin, wünsche ich mir immer, bei ihm zu sein zu können“, sagt Caron. „Und wenn ich dann wieder zuhause bin, erkennt er mich nicht. Als alleinerziehende Mutter mit einem behinderten Kind hat man es nicht gerade leicht. „

Sie lächelt traurig. „Aber dafür läßt es fast alle anderen Probleme unwichtig erscheinen.“