Carmel


Carmel McCourt an der Quelle ihrer Inspiration: Edith Piaf, der „Spatz von Paris“, und die Seine-Metropole selbst üben seit jeher einen besonderen Reiz auf die blonde Halb-Irin aus. Edith „war die Größte“, wie Carmel immer wieder betont. Nicht nur wegen dieser „unglaublichsten Frau der Welt hält sie sich gerne in Paris auf. Carmel denkt sogar ernsthaft an einen Wohnungswechsel von der Themse an die Seine. Denn in Paris feiert sie seit einigen Jahren ihre größten Erfolge; der Schmelztiegel aus afro-europäischer Musik und Kultur liefen der blonden Engländerin die Ressourcen für ihre weitere musikalische Entwicklung. Zunächst einmal ging es aber um einen ganz anderen Kulturkreis – um Italien und „Napoli“. Carmels klare, kräftige Altstimme tauchte aus dem Dunkel der Bühne auf, ummantelt von dezenten Synthesizer-Klängen und schweren Piano-Akkorden. Die Eröffnungsnummer aus dem aktuellen Album SET ME FREE verfehlte auch live nicht ihre magische Wirkung. Die schwerblütigen Melodien hielten das Publikum noch gefangen, als die zehn Bühnen-Musikei bereits zu einer „Tour de Dance“ durchs neue Repertoire starteten. Jim Parris am Baß und Drummer Gerry Darby gaben einen zügellosen Rhythmus zwischen Afro und Latino vor, den die vier Bläser schnittig nach vorne trieben. Carmels Bühnen-Team, das nahezu identisch ist mit den Musikern der letzten LP, erwies sich als stilsichere Begleitung der Meistersängerin – ob mit Jazz, Gospel und Soul oder schlicht und einfach Kitsch.

Nur schade, daß das ganze Konzert ziemlich kurz geriet und das alte Repertoire der Band dabei fast völlig unter den Teppich fiel.

Zwischen all dem neuen Material gab es lediglich eine ausgedehnte, fiebrige Version des Carmel-Klassikers „More More More“ aus der Debüt-LP THE DRUM IS EVERYTHING. Hier steigerte sich Jim Parris mit dem farbigen Percussionisten der Band in einen Dialog aus Rhvthmus und Gefühl. Carmel McCourt, deren Stärke eher auf der Bühne als im Studio zum Tragen kommt, gönnt sich während dieses Duett-Intermezzos eine kurze Verschnaufpause, um schließlich voll konzentriert in eine bittersüße Schluß-Ballade einzustimmen.

Gerade in diesen ruhigen Liedern glänzt die 31jährige Bewunderin von Edith Piaf und Maria Callas mit vokaler Eleganz und Gefühlsintensität, wie man es von der Callas und der Piaf kennt. Auch Billie Holiday verstand dieses Spiel. Carmel bewundert solche Frauen. Auch sie geht bis zum Äußersten. Genau wie in Paris.