Carbonara Ade – Sind die fetten Jahre für Spliff vorbei?
Ursprünglich wollten wir die Gruppe für einige Tage auf Tournee begleiten. Die Rock-Götter aber wollten es anders: Aufgrund des katastrophalen Vorverkaufes wurde ein Teil der Tour rechtzeitig gekippt-und Spliff kamen finanziell noch mal mit einem blauen Auge davon. Die Frage aber bleibt, wie eine der erfolgreichsten deutschen Gruppen der letzten Jahre so tief stürzen konnte. Und: Ist's nur ein vorübergehendes Tief-oder das sang- und klanglose Ende einer steilen Karriere? Andreas Hub versuchte, mit allen Beteiligten diese Frage zu klären.
Musikexpress? Zimmerreservierung? Nein, da haben wir nichts vorliegen – das Haus ist belegt. „Der Mann an der Siegener Hotelrezeption schüttelt bedauernd den Kopf. Das fängt ja schon gut an.. Ich hole nochmal meine Unterlagen aus dem Koffer und finde es schwarz auf weiß: Hier und heute bin ich mit Spliff verabredet. „Ah, Spliff“, sagt er, „ja, die haben vor ein paar Tagen alles abgesagt – das Konzert fällt aus.“
Wie so viele andere auch auf dieser von Zuschauerzahlen nicht gerade begünstigten Tournee; nur diese Nachricht hatte mich nicht mehr rechtzeitig erreicht. Band und Crew sind schon in Würzburg, der nächsten Station.
Ich bekomme Reinhold ans Telefon: „Sieh zu, daß du am Abend hier bist – wir machen ein kleines Fest. Von gedrückter Stimmung keine Spur – ein Eindruck, der sich auch bei meiner Ankunft bestätigt.
Nur Manne sieht anfangs etwas lädiert aus. Kein Wunder, er hat sich nach dem gestrigen Konzert in Stuttgart von einer dortigen Kollegin die Kneipen zeigen lassen.
Ein großes Glas Milch macht den müden Manne munter, bevor wir in die Disco fahren. Im Taxi äußere ich mein Erstaunen über die gute Stimmung; bei einer Tour, die man getrost als Flop bezeichnen kann, sollte man doch eigentlich lange Gesichter erwarten…
„Klar“, sagt Reinhold, „ist das erstmal ein Schock, wenn man sieht, daß es nicht richtig läuft. Aber das muß man facen. Wir sind ja keine Band, die ganz oben angefangen hat. Höhepunkte und Rückschläge haben sich immer abgewechselt. Die letzte ,Radio-Show‘-Tour war z. B. viel schlimmer als diese hier.
Als wir absehen konnten, wie es laufen würde, haben wir überlegt: alles absagen oder durchziehen ? Aber wenn, dann wollten wir uns den Spaß nicht verderben lassen.
“ Und das merkten die Leute „, pflichtet Manne ihm bei, „ich glaube, das ist die beste Tour, die wir je gemacht haben, und man kann nur jeden bedauern, der nicht gekommen ist.“
Trotzdem gibt es natürlich Schattenseiten, die nicht wegzudiskutieren sind. Der finanzielle Verlust liegt zum Beispiel in Bereichen, die man sich „nicht einmal im Jahr erlauben kann“.
Als ich ein paar Wochen nach Tournee-Ende mit Manager Jim Rakete ein längeres Gespräch über die Tournee führe, reakiviert er: „Wir haben mittlerweile einen ganz guten Überblick, und finanziell sind wir mii einem blauen Auge davongekommen. Solche Ausmaße wie damals bei der Extrabreit-Tournee haben die Verluste keinesfalls, und niemand ist in seiner Existenz gefährdet worden.“
Und als böses Omen für ein sich ankündigendes Ende der Ära Spliff will er diese Tournee schon gar nicht gelten lassen:
„Natürlich geht’s mir schlecht dabei, aber das muß man halt facen (scheint ein Lieblingsausdruck bei ihnen zu sein..), das gehört dazu, und hier klemme ich mir das viel mehr an den eigenen Hut, als damals bei der mißglückten ,Radio-Show‘-Tour. Ich hatte nicht erwartet, daß all die großen Hallen voll sein würden, aber daß es gleich so reinsensen würde…
Aber ich finde, man darf vor sowas nicht kneifen – Absagen wäre keine Alternative gewesen. Man muß aus Fehlern lernen, und wir werden beim nächsten Mal ein wahnsinniges Ding hinlegen so wütend, wie die Combo jetzt ist.“
Schlechte Vorverkaufszahlen, trotz überdurchschnittlich guter Rundfunkeinsätze, keine adäquaten Verkäufe für die Single „Radio“-Warnzeichen hatte es gegeben. Vielleicht ein bißchen zuviel Selbstsicherheit, durch Nena-Erfolge der Glaube an ungebremstes Wachstum, das eine Spliff-Schlappe nicht vorsah?
„Nein“, sagt Rakete, „Spliff ist keine Band, bei der man mit cleverer Promotion noch so viel rausschlagen kann wie bei einem Billy Idol, der sich auf der Bühne besabbert – und alle rufen: .Skandal!‘ Unsere Philosophie ist anders: Wir hören nicht auf das, was der Markt sagt, sondern nach innen. Musik ist der größte Luxus, den wir uns leisten. In der Vergangenheit haben wir viel Glück gehabt, daß das, was uns Bock gemacht hat, auch der breiten Masse Bock gemacht hat. Aber was soll die Unkerei? SCHWARZ AUF WEISS ist mit 130.000 Einheiten doch keine schlechtverkaufte Platte!“
Zurück nach Würzburg: Vor der Disco angekommen, fragt Manne mit seinem unverkennbaren Berliner Akzent den Türsteher, wieviel’s den kostet und wird trotz schummriger Beleuchtung sofort als Spliffer identifiziert. Natürlich sind wir Ehrengäste; der gut 20köpfige Spliff-Troß stellt ohnehin die Mehrheit der Besucher: Der riesige Laden ist gähnend leer, ungnädig zucken grelle Lichtblitze über die verwaiste Tanzfläche. Reinhold wird philosophisch: „So viel Licht und doch soviel Finsternis!“
Bevor wir allerdings die Stätte der Finsternis wieder verlassen können, lockt der Besitzer mit Champagner. „Vielleicht platzt der Knoten ja doch noch“, meinen sie, aber das „Material“ in der Disco scheint der Herrengesellschaft nicht zuzusagen. Ich verdrücke mich – und bin am nächsten Morgen der einzige beim Frühstück. Doch noch was geplatzt?
Am Nachmittag fahren wir in die „Halle“, die sich als die größere und gestern geschlossene Hälfte der Disco entpuppt – ein großer Club für gut 1500 Leute mit genügend großer Bühne, um den Materialaufwand von Splitt verkraften zu können.
Besonders ins Auge fallen die sechs computergesteuerten Scheinwerferanlagen, die Lichteffekte ermöglichen, die bislang bei kaum einer deutschen Band zu sehen waren. Sicher, auch da hätte man Kosten sparen können, aber in solchen Dingen sind die Spliffer dickköpfig wenn schon, denn schon.
Als beim Soundcheck einer von Reinholds hochgezüchteten Synthesizern nur noch heiseres Krächzen von sich gibt, verhält man sich entsprechend: Verzicht auf das Instrument ist für Reinhold als Perfektionisten nicht denkbar; man versucht ein zweites Gerät herbeizuschaffen, und als das nicht geht, wird nachgedacht, gebastelt – und am Abend läuft alles.
Doch bis dahin ist noch Zeit. Die einen flippern, die anderen sitzen in der Garderobe, von Lampenfieber keine Spur. Bis zur letzten Minute vorm Auftritt sind Gäste willkommen.
Gar nicht wie ein Gast wirkt Curt Cress, mindestens für diese Tour der fünfte Spliffer. „Wir kennen uns ja schon länger, da war es klar, daß keine großen Probleme untereinander auftauchen würden. Ich bin ja auch kein .Mietschlagzeuger‘, den man eben mal anheuert. Für sowas bin ich mir zu schade.
Im Studio spiele ich alles Mögliche, aber das ist auch anonymer. Sowas wie hier mache ich nur unter der Voraussetzung, daß wir nach Möglichkeit auch in Zukunft zusammenarbeiten werden. „
Ein bißchen gewöhnen muß Curt, der sonst nur mit Klaus Doldingers Passport live spielt, sich an die Fans, die nur „abfahren, wenn’s voll auf die Nuß geht und nicht so sehr bei den musikalisch anspruchsvolleren Nummern „.
Mag sein, daß das eine der Hauptursachen für das Wegbleiben vieler Fans ist, die mit den kapriziösen, nicht gerade eingängigen Titeln von SCHWARZ AUF WEISS nicht soviel anfangen können. Eine Vermutung, die auch Jacky Jedlicki von Mama-Concerts hegt; er hat die gesamte Tournee geplant und organisiert. „Die Leute wollen Hits. Das ist für mich der Hauptgrund. Wir alle hatten geglaubt, daß eine so renommierte Band wie Spliff es sich leisten könnte, fast zwei Jahre Pause zu machen.
Sicher, andere überbrücken solche Pausen durch die eine oder andere Single oder ein paar Stories aus ihrem Privatleben, damit die Teen-Presse ein paar Schlagzeilen hat. Bei Spliff wird das allerdings immer sauber vom Beruflichen getrennt.
Was ich auch oft wieder als Grund höre, ist der angeblich zu hohe Eintrittspreis. Natürlich, BAP nimmt mit 15,- DM fast zehn Mark weniger, aber der Aufwand ist überhaupt nicht zu vergleichen; und ich glaube, daß die Leute zu Spliff gehen, weil sie eine perfekte Show erleben wollen.
Ein dritter Grund könnte der ARD-Jugendabehd sein…
Es läßt sich nicht leugnen: Was da unmittelbar vor Tourneestart aus München zur besten Sendezeit live über die Bildschirme flimmerte, war vor allem soundmäßig nicht gerade überzeugend, aber die Band führt glaubwürdige Argumente für ihre Unschuld an: „Das technische Personal hatte überhaupt keine blasse Ahnung, was da ablief. Der Toningenieur hatte sich weder die Mühe gemacht, unsere Platte zu hören, noch war irgendeiner der zuständigen Leute beim Bayerischen Rundfunk bereit, einen Soundcheck zu machen, geschweige denn, sich vorher einen Durchlauf unseres Programms anzuhören. Stattdessen sind sie lieber zum Mittagessen gegangen.“
Jacky Jedlicki dazu kurz und trocken: „Wir hätten unmittelbar vor der Sendung den Auftritt abblasen sollen. Das hätte einen Skandal gegeben – der wäre hilfreicher gewesen als alles andere.“
Nur rund 500 sind in die Würzburger Music-Hall gekom¿men, um sich zu überzeugen, daß die Spliffer es besser können. Und den Beweis bleiben sie nicht eine Minute lang schuldig, genauer gesagt: zwei Stunden und zehn Minuten lang. Sie spielen alle Hits, natürlich; und sie spielen die SCHWARZ AUF WEISS-Songs so, als wären es welche: direkt, ohne Schnörkel, hart.
Im Mittelpunkt steht Herwig, der- entlastet durch Curt – nicht mehr ans Schlagzeug gefesselt ist, sondern um sein Gesangs-Mikro nur ein paar elektronische Toms aufgebaut hat, auf denen er sich bei Bedarf austoben kann – bis hin zum Perkussions-Duell mit Curt.
Trotzdem, Star des Abends ist heute Potsch, denn der Gitarrist kommt aus Würzburg – und das hat seinen Preis: Er, der sonst von dem ganzen Rummel mit Fans am allerwenigsten hält und lieber seine Ruhe hat, muß heute Autogramme geben, bis die Finger wund sind. Viele andere Berühmtheiten hat Würzburg wahrscheinlich nicht hervorgebracht, und da muß Potsch ran…
Natürlich haben auch die Würzburger Zeitungen ihre Vertreter entsandt, und da zeigt sich wieder, warum die Spliffer bei manchen Kollegen wegen ihrer scharfen Zunge gefürchtet sind: Wie die Fragen, so die Antworten – keine Gnade. Daß sie sich damit nicht nur Freunde erworben haben, wissen sie ganz gut, aber Konsequenz geht ihnen vor Heuchelei.
Düsseldorf steht auf dem Programm. Die Road-Crew fährt zum größten Teil schon in der Nacht los, unmittelbar nachdem der Abbau in Würzburg beendet ist. Man hat einen Schlafbus mit eingebauten Betten, einen deutschen, gottseidank, wie sie sagen – die englischen Busse seien so eng, daß man nur mit dem Schuhanzieher in die Kojen käme. Ein Gute-Nacht-Pfeifchen sorgt für die nötige Bettschwere, bevor’s auf die Autobahn geht.
Wer noch bleiben kann, versucht sich so gut wie möglich die Zeit in der Disco zu vertreiben – das Unterhaltungsangebot in Würzburg ist eher knapp bemessen.
Nicht alle sind im gleichen Hotel untergebracht – Herwig hat sich mit seiner Freundin Bea in ein anderes Hotel geflüchtet, um Ruhe zu haben. Die beiden bleiben auch während der Busfahrt unter sich, während die anderen Videos gucken – Gerhard Polt und zwei halbe James Bond – oder sich Turnschuhe im Prospekt aussuchen. Eine Sportartikelfirma mit Spendierhosen: Sie verspricht sich umsatzträchtige Reklame, wenn Popstars mit ihren Schuhen rumrennen.
Vor der Düsseldorfer Philipshalle haben alle ein bißchen Bammel – sie ist vor allem nämlich eins: sehr groß, selbst wenn man mit Vorhängen ein paar optische Retuschen vornimmt. 500 Leute sehen darin aus wie ein verlorenes Häufchen.
Aber die Sorge ist unbegründet: Heute ist die Zuschauer-Kulisse einigermaßen imposant; die Band honoriert’s mit bester Spiellaune.
Live scheinen sie auf dieser Tour wirklich eine eigene Qualität erreicht zu haben, die nicht mehr primär von dem abhängig ist, was auf Platte zu finden ist. Jim Rakete sagt’s mit blumigen Worten: „Spliff-Platten waren früher immer wie Regierungserklärungen, während die Konzerte das Regieren waren. Da versuchte man dann, die gegebenen Versprechen einzulösen. Da standen wir immer mit dem Rücken zur Wand.
Erst jetzt stellt sich eine gewisse Leichtigkeit ein und das ist für eine Band wie Spliff, die an Ansprüchen geradezu erstickt, eine ganz tolle Sache.“
Der Abend geht zu Ende und damit auch diese Geschichte. Vieles bleibt auf der Strecke, was selbst in meinen Notizen nur zwischen den Zeilen steht, die vielen kleinen und längeren Gespräche zwischendurch, meist zu privat, um breitgetreten zu werden. Sie zeigen aber auch, daß man bei Spliff über alles in einer Form reden kann, die weit entfernt ist von jener Oberflächlichkeit, mit der „Szenenleute“ sich oft über Musik unterhalten, als sei’s über das Wetter.
Und wenn’s schon an die Gefühle geht, zum Schluß noch mal ein echter Rakete, weil’s so schön ist: „Also diese ganze Scheiß-Pleite ist mir sowas von fucking egal, weil ich jetzt Perspektiven sehe, die vorher nicht da waren. ‚Ne Bauchlandung kann nämlich auch ganz gesund sein. Das ist wie auf einer Party, wenn da ein trauriges Mädchen sitzt und du hingehst und sie fragst: , Warum weinst du denn?‘ Vielleicht sagt sie, dann: ,Warum soll ich nicht traurig sein, wenn mir danach ist?‘ Ich finde es ganz wichtig, traurig zu sein, sonst weiß ich doch nicht, was Glück ist!“