Canton Blues


Nach dem Debüt "On How Life Is" kam für Macy Gray ein Karriereknick - und damit unerwartete Einblicke in die Spezies Mensch.

Frau Gray kommt zu spät zur abendlichen Probe. Die Los Angeles Lakers haben gerade in einem Heimspiel die Detroit Pistons geputzt, und Macy hatte bevorzugte Plätze für das Spiel. Allerdings soll in zwei Tagen Macys US-Tour starten, um im Vorfeld der Veröffentlichung ihres dritten Albums The Trouble With Being Myself der Welt ein deutliches Lebenszeichen des Shootingstars von 1999 zu übermitteln. Deshalb hat sich die siebenköpfige Tourband im Proberaum in Burbank bei Los Angeles schon mal warm gespielt. Die Percussionistin hatte zunächst Macys Gesangspart übernommen – eine gute Stimme, ausreichend, um die Probe zusammenzuhalten, aber gnadenlos zum Scheitern verurteilt, wenn es darauf ankäme, Macys Stimme zu imitieren. Richtig deutlich wird das, als der Star schließlich ohne große Begrüßungsformalien in den Raum schneit und umgehend das Mikro übernimmt. An eine Tischkante gelehnt steht Macy nun ihrer Band gegenüber, und plötzlich bekommt die Sache eine ganz eigene Qualität. Bereits am Nachmittag hatte Gray in ebendiesem Proberaum dem ME ein Interview gegeben.

ME: Du warst von Anfang an in Europa viel populärer als in deiner Heimat USA. Woran liegt das?

M.G.: Ich denke, immer wenn du etwas machst, was sich von der Norm unterscheidet, dann hast du in Europa die besseren Chancen, damit wahrgenommen zu werden. In Europa gibt es einfach mehr Raum für Dinge, die anders sind. In Frankreich habe ich im Radio einmal vier Songs hintereinander gehört, die alle in einer unterschiedlichen Sprache gesungen wurden. So etwas wäre in einem amerikanischen Sender einfach undenkbar.

Ware es da nicht ratsam, deine Musik den amerikanischen Bedürfnissen anzupassen?

Ich habe tatsächlich darüber nachgedacht, aber die Wahrheit ist, dass ich überhaupt nicht dazu in der Lage wäre. Ich kann nur das richtig gut machen, was ich mache. Oder mit anderen Worten: Ich könnte vermutlich ein geradliniges Rockalbum oder ein reines R&.B -Album einspielen, aber ich wäre wahrscheinlich nicht besonders gut darin. Ich würde das vermutlich noch nicht einmal zum Abschluss bringen, das ist einfach nicht mein Ding.

Dein zweites Album the ID war weniger erfolgreich als dein Debüt On How Life Is. War das eine schwierige Erfahrung, zuerst grenzenlos bejubelt zu werden und dann eine Abkühlung miterleben zu müssen?

Das war durchaus schwierig. Ich habe zum Beispiel daraus gelernt, wie wankelmütig Menschen sein können und wie die Dinge im Plattenbusiness wirklich laufen. Dabei ist mir doch etwas übel geworden. Ich selbst mag das Album, und es wurden immerhin rund zwei Millionen Exemplare davon verkauft, das betrachte ich nicht als Misserfolg. Aber du wirst einfach anders behandelt, wenn du plötzlich nicht mehr acht, sondern „nur“ noch zwei Millionen Platten verkaufst. Das ist alles.

Du gilst als etwas andersartige, leicht „verrückte“ Künstlerin. Empfindest du das als Beleidigung oder ist das einfach die Kehrseite des Originellen, des Einzigartigen?

Nun, Psychosen kommen in den unterschiedlichsten Schattierungen. Ich würde mich aber nicht unbedingt selbst als verrückt bezeichnen. Aber was genau ist verrückt? Es ist schwer, eine klare Linie zwischen verrückt und nicht verrückt zu ziehen.

Demnächst erscheint auch wieder ein neues Album von Marilyn Manson. Der stammt ebenso wie du aus Canton, einer Kleinstadt in Ohio, und gilt ja auch nicht gerade als normal. Liegt da etwas in der Luft dieser Stadt?

Ja, wenn du auch nur ein wenig ambitioniert bist, willst du auf keinen Fall in diesem Ort versauern. Canton ist eine vollkommen tote Stadt, in der man wirklich überhaupt nichts anfangen kann. Da gibt es Fabriken und Shopping-Malls, aber sonst ist da nicht viel los. Insofern wirst du durch diese Umgebung dazu inspiriert, aufzubrechen und selbst etwas zu unternehmen.

Kanntest du Brian Warner alias Marilyn Manson damals?

Wir sind gemeinsam zur Grundschule gegangen.

Und wie war der seinerzeit?

Ich kann mich, ehrlich gesagt, nicht an ihn erinnern.

www.macygray.com