Camel on the Road
Mit erheblich veränderter Besetzung tourte. jetzt die britische Band Camel durch die Bundesrepublik das einzige Land, in dem mittlerweile jede Camel LP ein Hit wird. Und es sieht ganz so aus. als würde dieser Erfolg und mehr noch der Einstieg von zwei neuen Keyboard-Leuten der Gruppe Mut machen, zu neuen Ufern aufzubrechen.
Andy Latimer ist sauer. Er zwirbelt seinen frisch gesprossenen schwarzen Schnauzbart und knurrt: „Ich kann’s bald nicht mehr hören. Bardens weg – Camel kaputt. Als wäre Camel Peter Bardens Privatband gewesen. Im Gegenteil: wir haben uns bewußt von ihm getrennt. Er war eine Hypothek auf unsere Zukunft. Und die fängt jetzt erst richtig an.“
Andys Optimismus hat Hintergrund. Sechs Camel-Jahre lang hat der Gitarrist und Songwriter mit Co-Autor und Tastenmann Peter Bardens Krach gehabt, menschlich und musikalisch. „Zum Schluß ging es nicht mehr“, sagte mir Latimer vor dem Konzert, das die Gruppe auf der jüngsten Deutschlandtour in Dortmund gab. ,,Bei jedem neuen Album-Konzept haben wir Kompromisse schließen müssen. Was bei sowas herauskommt, ist immer schwächer als eine konsequente Einzelleistung.“ Womit Latimer auch gleich klargestellt hat, wer in Zukunft der allein maßgebende Kameltreiber sein wird.
Der geschaßte Bardens hat inzwischen eine Platte mit Van Morrison gemacht. Mit dem verbindet ihn noch eine alte Bekanntschaft aus gemeinsamen Them-Tagen. Inzwischen hält er sich in den USA auf, ohne daß Latimer genau sagen könnte, was sein früherer Kompagnon für Projekte verfolgt. Als letzter gemeinsamer Plattenstreich ist jetzt das Album „Breathless“ in die Läden gerollt (siehe Longplayers). Latimer: „Es stand schon vorher fest, daß Peter anschließend gehen würde. Viel Spaß hat’s deshalb nicht mehr gemacht. Mit dem Ergebnis sind wir trotzdem zufrieden.“ ^ Das nächste Album allerdings wird von größerer, von programmatischer Bedeutung sein. „Von ‚Moonmadness‘ zu ‚Rain Dances‘ war kaum eine Entwicklung“, sagt Latimer. ‚Breatlgss‘ jetzt ist etwas kommerzieller ausgefallen als die Alben vorher. Aber der Weisheit letzter Schluß ist das auch noch nicht. Wir wollen mit dem Sound mehr in die Breite, neue Farben und Nuancen einbringen. Das Schlimmste, was einer guten Band passieren kann, ist die totale Erstarrung, die. blinde Fixierung auf die Erwartungen des Stammpublikums. Abschrekkendes Beispiel aus unserer Ecke ist da Barclay James Harvest. Die sind doch klinisch längst tot. Da wollen wir nicht hin.“
Latimers Wunderwaffe gegen die kreative Verkalkung: ein neuerliches Aufstocken des Bandpersonals. Nachdem Mel Collins, Allround-Saxer und gewiefter Studiofuchs, im letzten Jahr als fünfter Mann zur Gruppe gestoßen war, sind als Bardens-Ersatz gleich zwei neue Keyboardspieler angeheuert worden. Der Clou: seither besteht die nunmehr sechsköpfige Camel-Combo genau zur Hälfte aus ehemaligen Caravan-Komparsen. Richard Sinclair, vormals Bassist bei der famosen Canterbury-Gruppe, war bereits 1977 bei Latimer & Co. eingestiegen. Jetzt ist auch sein Cousin David nachgefolgt, der auf sechs Caravan-Alben für den Orgelsound gesorgt hatte. Außerdem noch Jan Schelhaas, der Dave 1975 an den Caravan-Tasten abgelöst hatte. Richard Sinclair „So langsam entwickelt sich Camel zur Karawanserei.“
Live vermochte die Gruppe ihre neue Keyboard-Kreativität noch nicht ganz auszuspielen. Die alten Stücke sind noch zu sehr auf Bardens’sche Beschaulichkeit ausgerichtet, die neuen naturgemäß mit einigen Unsicherheiten im diffiziler gewordenen Zusammenspiel belastet. Der zukünftige Camel-Trend allerdings deutete sich bei den aktuellen „Breathless“-Titeln nachhaltig ein. Live nämlich fielen die noch nicht ins Standard-Repertoire eingeschliffenen Nummern wesentlich rauher, jazziger und aggressiver aus als die LP-Vorgabe. Wüste Dialoge zwischen Gitarre und Saxophon bewiesen, daß die Tür in Richtung Improvisation ein Stückchen weiter aufgestoßen worden ist.
Etliche alte Zöpfe schließlich sind radikal abgeschnitten worden. So ist die einst so berühmte Camel-Lightshow 1978 passe. (Latimer: „Zu teuer. Und auf Dauer für die Musik zu problematisch“). Auch vom ewigen Konzerthöhepunkt „Lady Fantasy“ hat sich das Sextett getrennt. Neuer Publikumsrenner ist das perkussiv aufgebauschte „Never Let Go“. Anschließend sind zwei Zugaben fällig. Als der akustische Orkan über dem „Lunar Sea“ verweht ist, ist der Beweis erbracht, daß mit Camel weiterhin zu rechnen ist. Daß diese Rechnung wieder ein paar Unbekannte hat, macht die Sache nur reizvoller.