Californication mit Abstrichen


Mit meltdown suchen die Rockkarrieristen von einen neuen Weg, um in Würde zu altern. Leider sind sie dafür noch zu jung

Sie haben ein Problem: Sie haben ein neues Album gemacht. Dabei hätte es nach Platten wie 1977 und FREE ALL ANGELS völlig gereicht, fortan lorbeerumkränzt in den Clubs und Hallen dieser Welt zu stehen und bei gutem Wetter gelegentlich die alten Hits rauszuhauen. Sie hatten die höchsten Gipfel des Rock’n’Roll-Gebirges schnell und souverän erklommen. Hatten mit 1977 das indie-credible Gitarrenalbum schlechthin gemacht, mit FREE all ANGELS dann noch mehrfach die Hitparaden (wenn auch nicht hierzulande) gesprengt und die Konzerthallengröße maximiert. Mit zwei Volltreffern haben sich Ash einfach mal alle Goldmedaillen geholt. Schon 2002 gab es folgerichtig und ganz unsentimental eine Best-of-Platte. Und sie hatte diese Bezeichnung verdient, war tatsächlich randvoll mit sehr guten Stücken – da waren die Bandmitglieder gerade mal Mitte 20. Sie standen vor ihren Pokalen wie gealterte Fußballhelden nach der Abschiedsrunde durchs Stadion: Noch ziemlich jung, aber eben auch schon zu alt.

Soweit das Luxusdilemma von Ash. Aber weil es ja irgendwie weiter gehen muss, sitzen die vier jetzt wieder im dämmrigen Konferenzraum ihrer Plattenfirma in München und reden. Über meltdown, ihre neue Platte, ihren neuen Weg und überhaupt: über die neuen Ash. Die haben jetzt natürlich auch ein neues Bandlogo, Drummer Rick McMurray präsentiert es auf einem blitzsauberen Schweißband. Der neue Weg der Band führte ins Studio an die amerikanische Westküste .“Es schien uns, als kämen alle guten Platten aus Kalifornien, als wäre alles dort noch ein bisschen besser und größer. Deswegen wollten wirda hin“ sagt Tim Wheeler, Sänger, Frauenschwarm und aus nächster Nähe ziemlich schmächtig.

Dass sich Ash mit Produzent Nick Raskulinecz (u.a. Foo Fighters) dabei in jenen heiligen Hallen einquartierten, in denen unter anderem auch „Nevermind“ eingespielt wurde, gehörte zum Masterplan. „Wir stehen Nirvana und den anderen Seattle-Bands deutlich näher als etwa den kalifornischen Punkbands im Stile von Green Day. „Tatsächlich ist Ricks roter Iro aus Zeiten, als Ash durchaus mit fröhlicher Britpunk-Attitüde kokettierte, einer seriösen Halbglatze gewichen. Solide und ehrlich geht es nämlich zu, bei den neuen Ash. „Bisher versuchten wir in jede Platte so viel zu stecken wie möglich, uns war dabei kein Schnörkel, kein Effekt zu viel. Wir wollten die Leute aber jetzt nicht weiter verwirren und endlich eine Platte mit reduzierter, tiefgehender Atmosphäre machen, ein rohes aber konzentriertes Stück Musik“, sagt Wheeler und die anderen Bandmitglieder nicken eifrig dazu.

„Wir haben uns musikalisch ziemlich weiterentwickelt“, sagt er weiter „vor allem Rick wurde zu einer regelrechten Drummaschine.“

Reduzieren, konzentrieren, instrumente beherrschen – das klingt, wie das neue Album stellenweise auch, schwer nach künstlichem Reifungsprozess. Zwar ist es im unglaublichen zwölften Bandjahr ja durchaus löblich, allmählich etwas Altersreife zeigen zu wollen, mit Durchschnittsalter von gerade einmal 27 Jahren aber vielleicht einfach noch nicht möglich. So kommen eben auch auf meltdown recht bald die altbewährten Qualitäten dieser Kapelle zum Vorschein: hypnotisch leiernde Refrains, sorglose, ungestüme Mithüpf-Hymnen und charmant-sinnlose Gitarren-Soli. Stellt sich somit die Frage: Wie haben diese Gewohnheiten sich denn in das streng solide neue Ash-Konzept eingeschlichen? Bei allen betretenes Schweigen, dann lacht Mark Hamilton, der Bassist, und erklärt: „Nun, unser zweites Ziel war ja, die wahren Ash wieder zum Vorschein zu bringen und deswegen haben wir diesmal wirklich viel live eingespielt. Es ist eigentlich ein Live-Album aus dem Studio, die Songs sind ganz danach ausgerichtet, auf der Bühne gespielt zu werden.“

So richtig also hat das mit dem Neuentwickeln nicht geklappt und dabei hätten sich die vier mit einem konsequenten Fortschritt einen Gefallen getan. Ein schnelles Stück wie „Clones“ zeugt vom Vermögen der Band, eine harte Gangart einzuschlagen, ohne dabei an Ohrwurm-Attraktivität einzubüßen. Aber „Clones“ ist ein Einzelfall und als erste Single nahezu ein potemkinsches Dorf der Platte, hilflos eingebettet in schmachtende Rockdramatik. Weil Tim Wheeler ein verdammtes Songschreiber-Talent ist, lässt sich meltdown zwar trotzdem ohne weiteres toll finden, aber den großen Schatten der Vorgänger entkommt es nicht. Das macht freilich nichts. Schon mit nuclear sounds hatten sich Ash zwischen 1977 und free all ANGELS ein Album gegönnt, das wie eine Fingerübung auf dem Weg zum nächsten großen Ding erschien. Vielleicht brauchen sie das, als Blitzableiter für den Druck, der nach Smash-Hits wie „Girl from Mars“ oder „Shining Light“ da ist, auch wenn alle einhellig beschwören „Wir machen Musik, die uns Spaßmacht, wir denken nicht darüber nach, ob wir in Irland oder in Kalifornien sind, wir spielen einfach. Und die Plattenfirma wartet so lange, bis wir mit der fertigen Platte vor der Tür stehen.“

Vielleicht steckt die Band Ash aber auch in einer frühen Midlife-Crisis. In einer Zeit, in der junge Gitarrenhelden aus den Garagen strömen und mit ihren Debütalben die Mädels wuschig machen, kommt man sich vielleicht verbraucht vor, wenn man statt in lauschigen Clubs in großen Mehrzweckhallen alte Lieder spielen muss. „Ach was“, sagt Tim „wir sind immer noch jung und wir haben zusätzlich diese ganzen Erfahrungen schon gesammelt. Andere Bands bringen in unserem Altergrade ihr erstes Album raus und haben noch erst viel später Erfolg. Einer von The Darkness wollte sich neulich von uns Tipps geben lassen, für die erste Welt-Tournee. Das ist doch lässig!“

Ja, das ist lässig. Tim Wheeler, der kleine Mann, lacht. Und das klingt eigentlich nicht nach Krise. Es klingt auch nicht nach Reißbrettdiskussionen über einen Neuanfang. Scheiße, Ash haben halt ein neues Gitarrenalbum gemacht. Ist doch lässig! So klingt das.