„Buster Scruggs“ auf Netflix: Böse Pointen aus dem Wilden Westen
Zwei der besten Regisseure der Welt nutzen die Streaming-Plattform aus, um sechs Kurzgeschichten über Goldgräber, Cowboys und Indianer zu drehen. Das trifft den Zeitgeist und ist stellenweise ganz großes Kino, das leider nicht im Kino läuft.
Warum die Coen-Brüder Joel und Ethan ausgerechnet für diesen Film den Drehbuchpreis auf dem Filmfestival von Venedig bekommen haben? Schwer zu sagen. Vielleicht war die Jury einfach froh darüber, inmitten sperriger Dramen wie „Werk ohne Autor“ und „Aufbruch zum Mond“ ein paar kurze und vor allem kurzweilige Snacks serviert zu bekommen.
Denn „The Ballad of Buster Scruggs“ ist kein mitreißender Western wie der ebenfalls von den Coens inszenierte „True Grit“, sondern eine Kurzgeschichtensammlung mit sechs teils bitterbösen Pointen. Exklusiv für Netflix schlagen die Brüder das Märchenbuch des Wilden Westens auf und stecken Weltstars teilweise nur für wenige Minuten in herrlich kitschige Rollen und Kostüme.
Figuren, die man nicht so schnell vergisst
Den Auftakt macht Tim Blake Nelson, der als titelgebender Buster Scruggs singend Saloons betritt und kurzerhand Schießereien anfängt. Die lokalen Großmäuler und Revolverhelden machen sich nämlich nur kurz über das lustige Aussehen des von der Polizei gesuchten Scruggs lustig, wenige Minuten später haben sie eine Kugel im Kopf. Die Coens erschaffen in einer Viertelstunde einen kauzigen Supercowboy und zeigen dann, dass jederzeit eben noch ein schnellerer Schütze vorbeikommen kann. Buster Scruggs steigt singend in den Himmel auf, da haben wir ihn gerade erst kennengelernt. Nur eine von vielen Figuren, die in Erinnerung bleiben werden.
Eine andere Kurzgeschichte, vielleicht die beste: Tom Waits spielt einen Goldgräber, der in einem ruhigen Tal nach einer Ader sucht. Mehrere Tage schürft er im Fluss, gräbt Löcher, wird endlich fündig und muss sich dann noch mit einem Banditen auseinandersetzen. Hier zeigt sich, wie geschickt die Coens ihr Publikum manipulieren können, selbst in so knapper Zeit. Der Goldgräber arbeitet hart, spricht mit sich selbst und der zu findenden Goldader und steckt mit seinem Glück an, sobald er das Tal mit gefüllten Säcken verlässt. Das Happy End ist aber keins, weil ein einzelner Mensch ein zuvor unberührtes Stück Natur im Alleingang ausgebeutet und durcheinandergebracht hat.
Die Coens verneinten übrigens schon vor Monaten, dass „Buster Scruggs“ eigentlich eine Serie im Stil von „Black Mirror“ werden sollte. Sinn ergeben würde dies nämlich, die Aneinanderreihung von kleineren Anekdoten mit derben Pointen und moralischem Zeigefinger ist wie gemacht für Netflix, gern würde man weitere Stories aus dem Wilden Westen sehen. Aber nein: Das Ding sollte von Beginn an ein Film bleiben, der Verleih im Kino wäre aber wahnsinnig riskant geworden. Einerseits erschreckend, dass selbst Filme der Coens („Fargo“, „No Country For Old Men“) mittlerweile zu riskant fürs Kino geworden sind. Andererseits schön, dass der Streaming-Riese aus den USA mal wieder seinem ursprünglichen Versprechen nachkommt, kniffligen und ungewöhnlichen Projekten eine Plattform zu geben.
Kritik an der Unterhaltungsbranche
In diesem Fall hält der Wechsel von Kino zu Mediathek fast nur Gewinner bereit. Die Regisseure konnten sich unbeschwert im Wilden Westen austoben, Netflix hat große Namen im Programm und die Zuschauer sehen seriellen Content, der weit besser ist als die meisten Produktionen, die normalerweise unter dem Label „Netflix exklusiv“ erscheinen. Da die Coens aber eben die Coens sind, behandeln sie in einer ihrer Kurzgeschichten dennoch das krampfhafte „mit der Zeit gehen“ in der Unterhaltungszeremonie. Liam Neeson spielt einen Schausteller, der mit einem Mann ohne Arme und Beine von Stadt zu Stadt fährt. Der Verkrüppelte spielt jeden Abend Theater, das Publikum interessiert sich aber irgendwann mehr für ein Huhn, das angeblich rechnen kann. Liam Neesons Figur erkennt den Zeitgeist und reagiert maximal unmenschlich.
Vielleicht kritisieren sich Joel und Ethan in dieser Kurzgeschichte sogar selbst für das Verlassen ihres eigentlich bevorzugten Mediums Kino. Und das wäre dann wirklich preisverdächtig.