Bryan Ferry


Sein Image ist das eines öligen Salonlöwen in einer dekadenten Welt von Champagner und grausam-schönen Frauen. Hinter der stilisierten Fassade aber stecken Unsicherheit und Menschenscheu. Seine Stil-Manie wirkt wie der Versuch, eine künstliche Ordnung zu konstruieren. Mit beiden Ferrys unter- hielt sich anläßlich der bevorstehenden Roxy-Tournee Kristine McKenna.

Bryan Ferry erwartet mich im Büro seiner Plattenfirma EG Records in der Londoner King’s Road. Er sieht aus wie… na, wie eben nur Bryan Ferry aussehen kann: Tadellos gepflegt rostfreies Lächeln, lange, dünne Haarsträhnen, die in regelmäßigen Abständen dazu neigen, vor seine wasserblauen Augen zu fallen. Er ist ein schändlich schöner Mann.

Überraschend ist aber, wie jungenhaft er in seinem blaumelierten Anzug wirkt. Ferry ist auf reizende Art unsicher und – man glaubt es kaum – erstaunlich schüchtern. Bitte, mich nicht mißzuverstehen: Stil hat er weißgott reichlich! Zigaretten beispielsweise behandelt er mit unglaublicher Eleganz und – hier erkennt man den wahren Gentleman – in seiner Umgebung herrscht weltmännische Gelassenheit Dennoch umgibt ihn eine Aura von Wehmut und Verwundbarkeit die so gar nicht passen will zu seinem Image ab öliger Salonlöwe, der durch Helmut Newton-Welten voll grausam-schöner Frauen, Perserteppiche und Champagner stolziert. Man hat Ferry einen dekadenten Eskapisten genannt einen fin de siecle-Dandy, der sein zweifelhaftes Glück als Chronist der prickelnde Zuckungen von eitlen Jet-Settern macht.

In Wahrheit ist Ferry’s zentrales Thema die Liebe -Romance als eine Arena voller Gelegenheiten für heroische Gesten. Seine Schwäche für Form und Stil oft als seicht und oberflächlich gebrandmarkt – kann in der Tat auch als Versuch gedeutet werden, den Anschein einer (künstlichen) Ordnung in einer chaotischen Welt zu wahren. Ernsthaft: Was sonst kann man schon tun in einer verrückten Welt… außer eine Rose für die Geliebte zu pflücken???

Auf der neuen LP AVALON zieht sich Ferry noch weiter in den Dunstkreis der liebe z.orück. Das Wort Avalon stammt aus der , Artus-Sage und benennt einen Ort, der – so Ferry – “ das absolute romantische Phantasieland‘ ist. Das Album, lyrisch und weich, beschwört diesen Ort mit eindrucksvoller Eleganz. Rauhe Kantaten gibt es hier nicht. Die Musik rollt vorbei wie glitzernder Nebel, Ferry’s zitternder Schmalz klingt so, als stamme er geradewegs aus : diesem mystischen Reich.

Sein privates Reich schirmt Ferry dadurch ab, daß er sich so selten wie möglich der Presse stellt. Und obwohl er im folgenden Interview einiges von seiner Person offenbart, hatte ich doch das Gefühl, daß er noch einmal ‚ mit vielen intakten Geheimnissen davongekommen sei. Style, soul und Geheimnisse – das ist der Stoff, aus dem Pop-Heroen gemacht sind Man bezeichnet deine Musik oft als realitätsfern und weltflüchtig. Hat man als Künstler überhaupt eine Verpflichtung, die politischen Probleme seiner Zeit anzusprechen?

„Für einen Künstler ist sicher von Vorteil, die Gegenwart zu interpretieren und-zu reflektieren und natürlich gehören auch politische Themen dazu. Eine Verpflichtung aber gibt es sicher nicht. Ich habe frühermal Dylans „A Hard Rains A-Gonna Fall“ gecovert. Um den politischen Inhalt aber habe ich mich nicht weiter gekümmert. Der Song hat wunderbare Lyrics wie so viele von Dylans Liedern -und ich war vor allem an seiner reichen Bildersprache interessiert. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie man etwas umsetzen kann, das vielschichtige und weitgehende Bedeutung besitzt.“

Überrascht es dich manchmal, was man an Bedeutung in deine Musik hineininterpretiert?

„Nein, wenn man etwas geschrieben hat und sich dann das fertige Resultat noch einmal anschaut, wird man selbst sehr analytisch und sieht plötzlich alle Möglichkeiten. Bei Shakespeare gibt es ständig Doppelbedeutungen. „

Du schreibst also, ohne konkrete Aussage machen zu wollen?

,Nicht unbedingt. Bei manchem Song spiele ich allerdings tatsächlich nur mit Worten.“

Wie wirkungsvoll ist überhaupt Popmusik? Kann sie in irgendeiner Form zu sozialen Veränderungen führen?

“ Vielleicht kann sie es als die Kunst form falls das der angemessene Ausdruck ist die den Menschen am nächsten steht. Viel näher als Kino, zumindest für die jungen Leute, und das schon seit etlichen Jahren, spätestens seit den Beatles.

Insofern: Ja, ich bin der Meinung, daß sie auf einen Einfluß die Kultur hat. Zum Beispiel ist die Art und Weise, wie Musiker aussehen, in den letzten Jahren ungemein wichtig geworden, etwa in seiner Wirkung darauf, wie Menschen sich kleiden.“

Fühlst du dich als Modell in irgendeiner Form verantwortlich?

,Bis zu einem gewissen Grade ja aber ich mache mir darüber keine allzu großen Gedanken. Ich fühle mich nicht gehemmt und denke ‚Gott, das darfst du nicht tun…“

Wie wichtig ist ein überspitztes, sofort eingängiges Image für den Verkaufserfolg?

, Ungeheuer wichtig. Das Cover einer Platte ist immer das Wichtigste (lacht). Mein eigenes Image ist allerdings nicht besonders eindeutig definiert, deshalb bin ich ja wohl auch nicht allzu erfolgreich.“

Du meinst du hättest wenig Erfolg?

.Vielleicht… Nicht, daß ich mich beklage! Interessant ist nur, daß für Amerika gilt: je einfacher das Image – ob nun beim Film, Fernsehen oder was immer – desto mehr Erfolg. Für England trifft das nicht zu, die Leute hier in Europa haben mehr Verständnis für Exzentrik und Komplexität.

In Amerika ist viel mehr Geld im Spiel, deshalb ist der kommerzielle Erfolg alles, was zählt. Wenn eine amerikanische Plattenfirma sich für einen Künstler entscheidet und ihn durchpauken will, dann pumpen sie einen Hauten Geld in ihn und sorgen für den großen Push. In meinem Fall ist das allerdings nie passiert. „

Dein Image ist ja das eines wohlhabenden Gentlemans, eines Land-Adeligen mit viel Freizeit. Ist das in deinen Augen eine akkurate Beschreibung?

“ Gestern habe ich gerade einen alten Freund besucht, der ein typisch englischer Exzentriker ist. Er ist Dekan in Oxford, ich bin mit ihm spazierengegangen und fand den Ort wirklich unglaublich. Ich sagte mir selbst ‚Gott! So solltest auch du eigentlich leben!‘ Überall ledergebundene Bücher, steinalte Gebäude, aus deren Mauern das Wissen nur so trieft. Doch letztlich könnte ich das doch nicht, ich mag elektrische Gitarren viel zu sehr. Außerdem brauche ich ständige Veränderung.“

Spielst du auf der Bühne eigentlich Rollen wie ein Schauspieler?

„Bei jedem Song ein wenig. Man nimmt einen Aspekt seiner Person, vereinfacht ihn entweder oder bauscht ihn auf. Eineinhalb Stunden Show, in denen du durch die verschiedensten Stimmungen gehst, eine nach der anderen. Natürlich gibt es keine Menschen, die wirklich so sind. Manchmal fragt man sich: Wie ging dieser Song nochmal?Ach ja, genau‘ -und dann schlüpfst du in die Hölle und verläßt sie wieder am Ende des Songs.“

Reicht dein Interesse an der darstellenden Kunst bis dahin und nicht weiter?

„Ja. Um Schauspieler zu sein, braucht man wohl mehr Geltungsbedürfnis als ich es habe. Man muß sich schon aus ganzem Herzen selbst lieben, und es gibt tatsächlich Leute, die das auch tun. Ich habe einmal eine kleine Rolle in einer Schweizer Fernsehshow übernommen und ich haßte es, mich selbst zu sehen. Ich bin lieber unsichtbar, als daß ich schlecht aussehe. So was nennt man wohl Eitelkeit.“

Ist Eitelkeit ein Laster?

„Nein, überhaupt nicht. Zwar kann sie Menschen ruinieren, doch hängt alles davon ab, in welchen Rahmen man sie einordnet. Ich bin nur eitel, weil ich selbst unsicher bin. Liebend gerne wäre ich jemand, der nie in den Spiegel zu schauen braucht, weil er doch immer weiß, wie phantastisch er aussieht. Ich habe meist das Gefühl, nicht allzu vorteilhaft auszusehen, deshalb mag ich auch nicht gern fotografiert werden. Kameras machen mich steif.“

Ist das auch der Grund weshalb du so selten Interviews gibst?

„Ich linde es immer ein wenig peinlich, über mich selbst zu reden. Etwas daran ist einfach faul. Hinzu kommt daß die Arbeit für sich selbst sprechen sollte, ohne Fußnoten.“

Inwieweit hat dich der Erfolg verändert?

„Nicht viel, vielleicht aus dem Grunde, daß er sich Zeit gelassen hat und erst relativ spät in mein Leben getreten ist. Ich habe erst mit 25 angefangen, Musik zu machen – und in dem Alter ist man in der Regel schon eine relativ gefestigte Persönlichkeit und weniger anfällig gegenüber extremen Situationen. Die meisten Aspekte des Erfolges habe ich genossen, auch wenn er gewisse Einengungen mit sich bringt. Du kannst eben nicht mehr wie ein normaler Mensch leben, weil du kein normaler Mensch mehr bist.“

Mit anderen Worten, der Erfolg hat dich in die Isolation getrieben?

Ja, ein wenig. Ich lebe die meiste Zeit auf dem Lande. Die einzige Großstadt, die mir Spaß macht, ist New York, denn dort kann man in der Masse leicht untertauchen.“

Kam der Erfolg für dich unverhofft – oder hast du schon immer den Wunsch gehabt, eine Spur auf dieser Welt zu hinterlassen?

„Ich hatte immer das Gefühl, irgendwie anders zu sein. Wahrscheinlich lag das an meinem Geburtsort Newcastle, einem unwirtlichen Nest mit keinerlei Chancen außer der Flucht. Ich war das zweitjüngste Kind von Vieren und hatte drei Schwestern. Meine Familie hielt mich immer für gescheit und machte mir Mut, mich auf der Schule und Universität durchzusetzen. Für sie war Bildung ein e Art Leiter zu etwas Höherem. Sie träumten davon, daß ich eines Tages Arzt werden würde. Natürlich habe ich daran nicht eine Sekunde lang gedacht, ich fühlte mich zu kreativen Dingen hingezogen.“

Welches war die erste Platte, die du dir gekauft hast?

„Ich interessierte mich sehr für Jazz, und meine erste Platte war eine EP von Charlie Parker. Ich spielte sie so oft, daß ich noch heute jedes seiner Soli darauf auswendig kenne.“

Glaubst du denn, daß in deiner Musik noch Jazz und Blues-Einflüsse vorhanden sind?

„Bestimmt. Für mich ist meine Musik eine Art modernisierter Blues. Am meisten beeinflußt haben mich farbige amerikanische Musiker, auch wenn ich selbst typisch weiß und typisch englisch bin. Zwischen diesen Polen spielt sich alles ab.“

Also siehst du dich eher in der Tradition von Parker, Cole Porter und Frank Sinatra als in der des Rock und Pop?

„Nimm zu den Dreien noch Jimi Hendrix und Otis Redding, das wäre dann die Party, auf der ich mich wohlfühlen würde.“

Gab es in deinem Leben entscheidende Ereignisse, von denen du rückblickend sagen kannst, daß sich von da an die Richtung geändert hat?

„Ich glaube, daß mein halbes Jahr in Los Angeles Mitte der 70er Jahre mir zusätzliche Spannkraft gegeben hat. LA ist für ein, zwei Wochen sehr angenehm, doch in diesem Land der Verlorenen zu leben, ist schon eine seltsame Erfahrung.“

Hältst du dich für einen melancholischen Menschen?

„Im Grunde ja. Es wechselt, oft sehr extrem. Manchmal kann ich auch lustig sein. Die Menschen, mit denen man lacht, sind im allgemeinen auch die, die man am besten kennt und Humor ist die Basis für fast alle m einer engen Freundschaften.“

Hast du regelmäßige Schreibgewohnheiten – oder ergibt sich das mit der Stimmung?

„Ich muß schon in der Stimmung sein, es sei denn, ich muß unbedingt schnell fertig werden. Am liebsten wäre ich einer der Komponisten, die morgens um sechs aufstehen, bis um neun schreiben und dann ihre Briefe beantworten. Im meinem Kopf sieht’s reichlich schlampig aus. Ich habe es gern, wenn die Dinge um mich herum übersichtlich und wohlgeordnet sind, doch drinnen bin ich reichlich chaotisch, besonders beim Arbeiten.“

Ich habe kürzlich in einem Buch gelesen, daß körperliche Schönheit und romantische liebe die destruktivsten Ideen der menschlichen Geistesgeschichte seien. Was hältst du davon?

„Für mich war romantische Liebe immer konstruktiv, denn meist geht sie Hand in Hand mit unerwiderter Liebe – und die besten Kunstwerke scheinen nun mal aus eben diesen Gefühlen zu entstehen. Sehnsucht führt zu großer Kunst. Es ist fast so, als schaffe man einen Ersatz für das, was nicht da ist. In gewisser Weise kreiert man eine Ersatz-Geliebte. Darüberhinaus versucht man natürlich auch, etwas Schönes zu schaffen, damit die Menschen dich beklatschen und dich lieben.“ (Lacht.) Bist du mit deinen bisherigen Leistungen zurfrieden oder hast du das Gefühl, dein Meisterstück liege noch vor dir?

„Ich hoffe, es liegt noch vor mir. Ich bin überaus selbstkritisch und keineswegs zufrieden mit dem, was ich bisher gemacht habe.“

Welches deiner Werke würdest du für den zentralen Angelpunkt halten? Ein einzelner Song oder ein Album, an dem du die anderen mißt?

„Vielleicht mein LA-Album. Obwohl ich THE BRIDE STRIPPED BARE nicht dort aufgenommen habe, entstand es doch aus meinen dort gewonnenen Erfahrungen. Die Platte hat eine intensive, manische Qualität, die mir sehr gefällt. Viele Leute können gute Songs schreiben und obwohl ich schöne Melodien durchaus schätze, bin ich mehr an den Dingen interessiert, die unter der Oberfläche eines Songs liegen.“

Glaubst du, daß du als Künstler Risiken eingehst?

„Nicht genug. Oft genug wird man von Managern und Business-Leuten irritiert. Vielleicht gehe ich auch gerade durch eine Periode der Konsolidierung. Soweit ich das beurteilen kann, ist AVALON kaum ein großes Risiko. Nichtsdestotrotz halte ich es für Qualitätsarbeit.“

Wie wichtig ist kommerzieller Erfolg für dich?

„Ziemlich wichtig. Es gibt Phasen, wo es mir relativ egal ist, doch dann, wenn ich etwas kaufen will und es mir nicht leisten kann, denke ich (lacht) ‚Gee, ich sollte mehr Platten verkaufen ‚. Ich glaube, das Leben wäre sehr trist, würde man nur noch daran denken. Ich verstehe mich als gutbezahlten Künstler-und das ist eine recht angenehme Sache.“

Wo siehst du deine Stärken als Künstler?

„Ich habe eine lebhafte Fantasie und kann problemlos mit anderen zusammenarbeiten. Ich kann andere Musiker gut motivieren und das Beste aus ihnen herausholen, indem ich ihnen ungewöhnliche Sachen sage-z.B. ‚Denkein grün!’oder so ähnlich. Ich höre Musik auf sehr visuelle Art.“

Was würdest du zu diesem Zeitpunkt in deinem Leben ändern wollen?

„Nichts Besonderes. Manchmal wünsche ich mir, ich würde mir um meine eigene Person mehr Gedanken machen. Das klingt vielleicht merkwürdig, denn bei der Arbeit interessiere ich mich ja ausschließlich für meine Person. Ich bin ein Konkurrenz-Mensch, ich möchte in jeder Situation gewinnen, auch wenn ich – etwa im Sport – ein ganz guter Verlierer bin. Auf dem Gebiet der Musik wünsche ich mir natürlich, daß jede meiner Platten ein Riesenhit wird und obendrein noch ein künstlerischer Triumph. Müßte ich wählen, dann wäre mit der künstlerische Triumph lieber als der kommerzielle.“

Was war das größte Hindernis, daß du in deinem Leben überwinden mußtest?

„Schüchternheit. Mittlerweile habe ich gelernt, damit fertigzuwerden, doch ein relativ reservierter Mensch werde ich wohl immer bleiben. Es ist eben meine naturgegebene Rolle, der distanzierte Beobachter zu sein.“