Bryan Adams: Ein Rockstar wird erwachsen
Aus Kanada kommen Lachse, Bären, Holzfäller - und handfester Rock. Von handfesten Burschen, wie Bryan Adams einer ist. Der hat mit 27 Jahren schon über 12 Millionen Platten verkauft - und ME/ Sounds-Mitarbeiter Steve Lake auf ein Sandwich eingeladen.
„Iiiiih!“ Bryan Adams zieht ein halbzerkautes rosa Stück Fleisch aus seinem Mund. „Yuk! Verzeihung“, entschuldigt er sich, „aber knuspriger Speck wäre angesagt, nicht diese Schuhsohle hier!“ Er läßt -platsch!- den Anstoß erregenden Bissen auf den Teller fallen, nicht ohne ihn achtsam mit einem Salatblatt zu bedecken. Dann hebt er die obere Toastscheibe von seinem Speck-Salat-Tomaten-Sandwich, stochert in seinen Bestandteilen herum und schichtet alles Fleisch auf einen Haufen. Eine unappetitliche Angelegenheit, denn geschmolzene Butter und Mayonnaise spritzt hier und da über den Tellerrand. Aber was soll’s – Bryan Adams ist schließlich ein Mann, der weiß, was er will. Besser noch, der bekommt, was er will.
Die Musiker seiner Band zum Beispiel. Sie treten eigentlich nicht als Personen in Erscheinung, sondern nur als Funktionsträger. Wieviel Freiheit haben sie eigentlich?
„Nicht sehr viel“, gibt er zu. „Genau genommen überhaupt keine. Um die Wahrheit zu sagen, ich hasse Bands. Hasse sie. Es gibt nichts Schlimmeres als die Situation, in der jeder Musiker auch noch seinen Quark dazugeben will. It doesn’t work! Jemand muß fähig sein, einfach nein zu sagen. Jemand muß die Zügel in der Hand halten.“
Er liebt das alles, soviel ist klar. Auf dieser 12tägigen Promotion-Tour ist er noch nicht müde geworden, über sich oder sein jüngstes Album Into The Fire zu reden. Ungefähr zwei Dutzend Journalisten werden mir noch folgen, und solange die nicht gerade fragen: „Hattest du wirklich eine Affäre mit Tina Turner“, wird Adams ihre Erkundigungen mit geschäftstüchtigem Enthusiasmus befriedigen. (Nebenbei bemerkt: Er hatte nicht.) Aber er ist nicht der übliche Popstar-Narziß. Er ist mehr der Selfmade-Mann aus dem Nichts, der Bursche aus der Arbeiterklasse, der es geschafft hat – mehr diese Schiene.
Er sieht aus wie ein Balg, der gerade aus einer der Nebenstraßen Vancouvers aufgetaucht ist. Er trägt ein einige Nummern zu großes, abgeschabtes Sweatshirt, aus dem ein dürrer Nacken und der bleiche.
sommersprossige Kopf ragen. Hier geht’s um proletarischen Rock’n’Roll. Mann, und darauf sind wir verdammt stolz.
Da gibt’s Springsteen. Und Cougar Mellencamp. Und dann kommt Bryan Adams. Von der Kreativität her betrachtet, mag er hinter den beiden zurückliegen, aber er ist mit einer Dekade Abstand der Jüngste. Mit 27 hat er schon mehr als 12 Millionen Platten verkauft.
Into The Fire beinhaltet einen tragbaren Anteil an gut abgehangenen Rock-Klischees, zeigt aber in zwei Songs auch wirkliche Größe: „Remembrance Day“ (ein Frontbrief aus dem Ersten Weltkrieg) und „Native Son“ (eine Meditation über die Not der kanadischen Indianer).
„Ich glaube, mein Schreibstil hat sich etwas verändert, als ich ‚Tears Are Not Enough‘ schrieb“, meint Bryan, als wir über seinen Beitrag zu dem U.S.A. For Africa-Album reden. „Ich hielt mich ziemlich zurück während der Aufnahmen des Albums, denn hätte mich jemand gefragt: ‚Was weißt du über den Hunger in Äthiopien?‘, hätte ich sagen müssen: ‚Ncht viel‘. Aber anyway, der Song bewirkte, daß ich das Schreiben mit anderen Augen sah …“
In den letzten zehn Jahren hat Adams mit Jim Vallance, einem schon älteren Zeitgenossen, den er in einem Musikgeschäft kennenlernte, Songs geschrieben. Für das neue Album verbrachte das Duo „Wochen“ in der örtlichen Bibliothek, um die Geschichte von Joseph, dem Häuptling des Nez-Perce-Stammes der nordwestkanadischen Indianer, zu erforschen.
Er scheint einen langen Weg seit „Kids Wanna Rock“ zurückgelegt zu haben. Von „Remembrance Day“ sagt Bryan: „Ich bin ein Erz-Pazifist, Mann, aber ich bin sehr dankbar für die Freiheit, die ich genieße; und es ist mir bewußt, daß Leute starben, um sie zu beschützen.“
Als Adams zum letzten Mal in unsere Gegend kam, spielte er den Anheizer im Vorprogramm von Tina Turner – aber das liegt alles weit für ihn zurück. „Ich werde nie wieder als Vorgruppe spielen – es sei denn für einen ‚Band Aid‘- oder ‚Conspiracy Of Hope‘-Anlaß. Diese Turner-Tour war eine Tor-tour für mich. Es war so frustrierend, nur 45 Minuten spielen zu dürfen. Ich wollte einfach meine eigene Show machen.“
Tina allerdings, so meint er, war immer eine Inspiration. „Jede Nacht stand ich auf der Seite und beobachtete sie bei „I’ve Been Loving You Too Long“. Und ich dachte: „Mein Gott, Adams! Sie ist 46, sie macht manchmal zwei Shows pro Abend, sie hat mehr Energie als du – und sie sieht obendrein auch noch um einiges besser aus.“