Britney ging wieder


James Murphy mag keine Posen und auch nicht helfen, Chartsmusik erträglicher zu machen. Seine Unternehmungen DFA und LCD Soundsystem sind tatsächliche Alternativen.

Wo hält er sich versteckt, der verdammte Trend, an dem sich die U-Musikwelt orientieren und aufrichten kann? Eine mögliche Antwort kommt aus New York. Die Stadt hat zuletzt den Retro -Punk der Strokes, elitäres Electroclash-Treiben und den Diven-Disco-Sound der Scissor Sisters hervorgebracht. Doch die eigentliche Sensation steht noch bevor. James Murphy hat es in der Hand. Zudem hat er zugegebenermaßen einen Allerweksnamen, doch was er anpackt, ist schon seit einiger Zeit offiziell ausgesprochen „heiße Scheiße“. Als Teil des Produzentenduos DFA hat er Alben von Radio 4 (goth AM!) und The Rapture (echoes) Beats und Tightness gegeben. DFA heißt auch sein Label. Von dort kommt der Sound, der sich Punk Funk nennt. Bei DFA erscheinen in der Mehrzahl Maxis – von alten Haudegen (Liquid Liquid), talentierten Neulingen und nicht zuletzt von Murphys eigener Band LCD Soundsystem. Wie heiß der Scheiß ist, verrät einem Murphys Anrufbeantworter: Im millionenschweren Namen von Janet Jackson wurde bei DFA um Hitbeschickung angefragt; Britney Spears saß sogar schon im Studio.

Bis tief in die 90er Jahre war James Murphy als Punkrocker in Aktion zu erleben, entweder in eigenen erfolglosen Bands oder als Mischer von kurzlebigen Kultcombos wie Six Finger Satellite. Bis ihn Ende des alten Jahrtausends die moderne Rocktour einfach nur noch anödete. „Nichts verabscheue ich so sehr wie die Rock-Pose. Posen sind heute sicheres Anzeichen dafür, dass die Musik nichts taugt. Früher in denyoern war das noch anders. Hinter dem Pomp von Led Zeppelin steckte musikalischer Drang, die Dinge extremer zu entwickeln. Jetzt klingt es nur noch lahm und falsch. Die Musiker wollen heute Ehrlichkeit ausstrahlen, doch hinter ihrer Fassade verbirgt sich eine egogetränkte Pose ohne echte Substanz. Ekelerregend.“ Der Fall war klar: Der Mann brauchte neue Anregungen, und er fand sie in den Clubs, in denen die Musik von den Turntables kam. Mit Disco und House hatte Murphy zuvor nie etwas am Hut. Dann aber sei man in New York zur Jahrtausendwende ziemlich günstig an Ecstasy gekommen. Plötzlich waren alle auf dem Partytrip, auch Murphy. Musiker aus allen Winkeln der USA, darunter The Rapture und !!!, kamen in die Stadt und feierten mit.

Aus der allgemeinen Feierstimmung entwickelten sich die ersten Unternehmungen von DFA. Die Abkürzung stand ursprünglich für Death From Above. Nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 hielten es Murphy und Partner Tim Goldsworthy jedoch für angemessen, sich auf die Anfangsbuchstaben zu beschränken. Der Hype kam durch die ersten Singles von LCD Soundsystem so oder so in Gang. Insbesondere der Song „Losing My Edge“ erregte Aufsehen. Ein böse groovendes Schlagzeug, ein Wühlbass und allerlei Störgeräusche machten Alarm wie seit Post-Punk-Zeiten nicht mehr. Murphy präsentierte sich dazu als Rezitator, der mit der Arroganz des selbsternannten Meinungsführers von Erlebnissen aus 30 Jahren Hipstertum erzählt und gleichzeitig darum ringt, den Draht zu den Trends des Moments nicht zu verlieren. Die Nummer hat viele an den monotonen, aber dennoch fesselnden Außenseiterrock von The Fall erinnert. Murphy fühlt sich geschmeichelt, wenn man ihm das sagt. „Als ich 1984 zum ersten Malein Album dieser seltsamen Band in die Finger bekam.fragte ich mich: Was ist das denn bitte? Für mich ergab das überhaupt keinen Sinn. Ich konnte nicht verstehen, warum dieser nörgelnde Typ Sängereiner Band ist und warum Musiker, die überhaupt nicht spielen können, ihn begleiten. Aber wenig später war ich total davon fasziniert. Ich bin es heute noch.The Fall haben einen der beeindruckendsten Kataloge im Rock hinterlassen.“

Man kann sich vorstellen, warum die angedachte Zusammenarbeit mit Britney Spears scheitern musste. Das Treffen zwischen DFA und der Popprinzessin lief in etwa so ab: Murphy erzählte ihr etwas von seinen Lieblingsbands, die Pop-Queen hatte Schwierigkeiten, überhaupt welche zu nennen. Danach war auch schon Schluss. „Die Kimstierwissen gar nicht mehr, was um sie herum wirklich passiert. Früher, zu Zeiten eines David Bowie, war das noch ganz anders. Der ging auf Tour und erkundete nach der Show das Nachtleben der Stadt, in der er gerade spielte. Das inspirierte ihn zu neuen Taten. Heute ist der Durchschnittsmusiker doch froh, wenn er nach der Pflichterfüllung zurück ins Hotel kommt.“ Nach der ernüchternden Episode mit Britney haben Murphy und Goldsworthy Produktionsanliegen der Popindustrie, etwa aus dem Hause Duran Duran, mit der Begründung „Zeitmangel“ abgewiesen. Bei DFA hat man andere Dinge im Kopf. Vor kurzem wurde ein Vertriebsvertrag mit der EMI unterschrieben. Erste größere Veröffentlichung ist das titellose Debütalbum von LCD Soundsystem. Es ist ein Werk, das den Punk Funk einer größeren Öffentlichkeit als bisher plausibel machen wird. Darauf jede Wette. www.lcdsoundsystem.com