BRIAN ENO


Es gibt immer noch Leute, die darauf warten, daß er wieder "Songs" schreibt. Gebt die Hoffnung auf, wenn es sein muß,auch Brian Eno. Sein Verständnis von Musik erfordert neue Methoden der Auseinandersetzung.

Rekonstruktion: Das Jahr 1976. David Bowie macht auf seiner weißen Station-To-Station-Tour in Berlin Station. Vor dem Konzert fahrt ein schwarzer Mercedes 600 zum Kontrollpunkt Checkpoint Charlie. Drinnen sitzen zwei Pop-Stars: Bowie und der blonde Iggy Pop. Aus dem Lautsprecher-System kommen atmende Töne, die den Innenraum füllen. Bowie erklärt mir, daß dies zur Zeit seine Lieblingsmusik ist, nicht nur beim Fahren. Mood-Music. Der Titel der Platte: ANOTHER GREEN WORLD. Der Interpret: Brian Eno. Monte später schlägt sich Bowies Begeisterung für Enos meditatives/neo-klassisches Meisterwerk nieder in seinem LOW-Album. Sound- und Echo-Erforschungen mit Synthie-Flüssen. Mit ANOTHER GREEN WORLD (1975) und dem abendlichen DISCREET-MUSIC-Werk (1975) beginnt die eigentliche/eigenwillige Sound-Arbeit des Brian Eno. Das Experimentieren mit dem hierarchischen (Ordnungs-) System traditioneller Rock-Musik. Enos Roxy Music-Verüechtung ist Geschichte. (Das göttliche »Virginia Plane“ gehört zu den sieben größten Singles der 70er Glitter-Phase!) HE-RECOMETHEWARM JETS, sein erstes Solo-Album, ist ganz einfach grauenhaft (vor allem durch den gequälten Gesang!), klebt an durchschnittlichen Rock-Strukturen. Versucht, aggressiv zu sein. Mit Solo-LP Nr. 2, TA-KING TIGER MOUNTAIN (BY STRATEGY) (1974), deutete Eno sein Experiment an. Das Experiment mit der Hierarchie. Ein Übergang weg von der Musik, die Brennpunkte hat Die Struktur der traditionellen Rock-Musik: Stimme, Gitarre, Rhythmus-Gitarre, Piano, Bass und schließlich das Schlagzeug. Und ganz unten Bass-Drum. Das Konzept des Mischens war: Der Gesang ganz vorn/laut, der Bass ganz leise. Wichtig war die Melodie. Und nun? Für den Hörer ist es nicht mehr offensichtlich (offenhörbar), was/wo der Brennpunkt in der Musk ist. Es gibt eineArt Zwischenspiel/Wechselwirkung der einzelnen Musik-Teile. Ein Fluß. Vermischung. Mal dominiert ein Teil, mal der andere. Dann verschwindet der Brenn-/ Dominanz-Punkt ganz. Eine Technik, die Brian Eno von Sly Stone gelernt hat. Mit einer Rhythmus-Box und dem Bass beginnen, dann den Gesang und die Bläser hinzufügen, die eine perkussive Rolle einnehmen. Dann werden der erste Bass und der Rhythm-Track weggemischt und der Bass und die Drum als letztes Stück eingebracht. Bass und Drums haben nicht mehr Rhythmus-Funktion, denn die wurde bereits von den Instrumenten übernommen, die normalerweise die Melodie spielen. Brian Eno befaßt sich seit längerer Zeit mit der Theorie des englischen Mathematikers Richard Moore. Diese besagt: daß viele, scheinbare Zufalls-Situationen genaue/voraussagbare Ergebnisse hervorbringen. Der Schlüssel: Das Studio nicht als Transmuter (Umwandler) benutzen/einsetzen, sondern als Transrnitter (Übersender). Interview/Szenarium/Data: Eine Stunde Telefongespräch mit Brian Eno. Ort: das Büro von EG, der Plattenfirma in New York City. Das andere Ende: ein Ort in West-Deutschland Kosten: DM 450,-. Wer bezahlt? EG/Polydor Deutschland-West .Ich gebe lieber Telefoninterviews, weil der Grad der Iniormation beim Telefonieren sehr hoch ist. Es gibt keine Zeitverschwendung. Wenn ich meine Telefon-Interviews hinterher in den Zeitungen gelesen habe, war ich beeindrucktvon der Genauigkeit meiner Sprache. Dagegen habe ich sehr viel Überschuß an Information, wenn ich persönlich zu jemandem spreche.‘ Im Sommer 1982 will Eno nach Deutschland kommen. Die Musikhochschule ‚ in Hamburg hat ihn zu einem Vortrag eingeladen. Jch werde über die Entwicklung neuer Wege/Methoden einer Auseinandersetzung mit der Musik sprechen. Da ich die meiste Musik, die ich heutzutage höre überhaupt nicht ausstehen kann, möchteich darauf hinweisen, daß es etwas Neues und anderes gibt und daß es Zeit wird, eine adäquate Sprache zu entwickeln, um darüber zu sprechen.“ Du hast mit Robert Quine zusammengearbeitet? (Quine gehört zu den derzeit hervorragendsten Gitarren-Spiel-Innovatoren in New York; zu hören ist er auch auf Lou Reeds letztem Album). Jch habe mit Robert gearbeitet, aber nicht auf meinem ON LAND-Album. Ich habe sehr lange und ergiebige Gespräche mit ihm geführt, und für seine Anregungen bin ich sehr dankbar.’In dem vierseitigen Begleitschreiben für die Presse zu seiner ON-LAND-LP erwähnt Eno Robert Quine, der ihm ein Exemplar des Miles-Davis-Stücks „He Loved Hirn Madly“ gegeben hat. Die revolutionäre Produktion von Teo Macero sei für ihn, Eno, ein Prüfstein, zu dem er immer wieder zurückkehre. .Robert war für mich gedanklich eine wichtige Persönlichkeit, als ich diese Platte gemacht habe. Er hat mir wirklich ein Menge Vertrauen gegeben, als die meisten Leute mir gar nicht viel Vertrauen schenkten. Die meisten, die mich kennen, wollen von mirm ehr Hock n Roll-Platten h ören, und die Kritiker versuchen immer zu sagen: Wann wird er wieder einige Songs schreiben, warum macht er immer wieder dieses langsame Zeug?“ Und was antwortest du darauf? .Nun, dies ist das, woran ich im Moment glaube! Diese Art Musik ist viel schwerer zu machen. Im A ugenblick scheint sie außerhalb des Mittelpunkts der Ereignisse zu stehen. Sie ist in gewisser Weise weniger lohnend weil sich nur eine kleine Anzahl von Leuten dafür interessiert. “ Eno will in Kürze einen zwanzigtausend Wörter-Essay über Empfindungen von Musik im allgemeinen veröfientlichen. Dieses Buch können Interessenten für wenig Geld bei Enos New Yorker Büro bestellen. Eno, der dozierende Musiker/Intellektuelle. Der sich durch das vortragende oder geschriebene Wort sprachlich artikuliert, während er seine Stimme aus seinen Platten verbannt hat (zuletzt war der Eno-Gesang auf der BEFORE AND AFTER SCIENCE LP zu hören; die unter dem Ambient-Music-Konzept erschienenen Raum-Sound-Konstruktionen vezichten auf Vokal-Passagen – nur MUSIC FOR AIRPORTS bringt fremde Stimmen). .Zur Zeit schreibe ich keine Songs mehr, ich kann einfach meineStimmein diesemZusammenhangnicht mehr hören. Ich möchte Musik machen, in der nicht eine Persönlichkeit dominiert. Die meiste Popmusik dreht sich doch nur um ein großes, schreiendes Ego. Ich will Musik hören, in der keine Personen zu identifizieren sind – oder die Leute mysteriös bleiben.“ Es gibt nur zwei Werke der neueren Popmusik, die Eno gefallen: BLUE MASK von Lou Reed und Van Morrisons BEAU-TIFUL VISION, “ weil beide Leute daran glauben, was sie machen, und nicht versuchen, sich berühmt zu machen! Die meisten versuchen doch nur, sich in die Position zu manövrieren, wo sie Drogen nehmen und kleine Mädchen bumsen können. Mit den geistigen Werten fast aller Musik, die ich höre, kann ich nichts anfangen!“ Seit Monaten hat sich Eno keine Gruppe mehr in New York angesehen. Im Augenblick hört er gern Gospel-Musik. Letztes Jahr produzierte er in Ghana das Album THE PACE SETTERS der afrikanichen Gruppe Edikanfo (ein ziemlich durchschnittliches Afro-Jazz-Werk). Einflüsse spiritueller/afrikanischer Musik dokumentierten sich dann natürlich auch auf dem berühmten MY LIFE IN THE BUSH OF CHOSTS, der Platte, die Eno zusammen mit David Byrne produziert hat, und die nach dem gleichnamigen Buch des 63jährigen Nigerianers Arnos Tutoula benannt ist. Das Buch projiziert afrikanischen Geist und moderne West-Welt in eine Phantasielandschaft, wo hochentwickelte Technologie Seite an Seite existiert mit übernatürlichen Mächten und Schamanentum. .Ich stehe mit einem Freund, den ich in Afrika kennengelernt habe, in Verbindung, undersoll für mich herausfinden, was es für interessante, neue Musik dort gibt. Er schickt mir regelmäßig Bänder zu, und wenn etwas A ufregendes dabei ist, das noch unentdeckt ist, dann möchte ich gern dort hinfahren und einige Platten produzieren. Momentan bin ich ganz zufrieden damit, hier allein zu arbeiten, und empfinde keinen Drang, mit irgendjemandem zusammenzuarbeiten. Irgendwann werde ich’s wieder.“ Und wie entstehen die Stücke, wenn Eno allein im Studio arbeitet? .Einige Stücke bei ONLAND sind als Ableger aus anderen Stücken entstanden. Wenn ich an einem Musikstück arbeite, höre ich zwei oder drei Töne innerhalb dieses Stücks, die für sich interessant sind und den Anfang eines neuen Stücks bilden können. Die meisten ON-LAND-Stücke sind so entstanden: Ich habe mit der 24-SpurMaschine gespielt Sachen verändert, verlangsamt, und so habe ich den Anfang eines neuen Stücks gefunden, von dem ich überhaupt nicht wußte, wie es aussehen soll. Ich habe mir eine Cassette davon gemacht und sie mir dann zu Hause über viele Monate lang angehört. A ui diese Weise hatte ich eine Sammlung von Stücken, ohne wirklich zu wissen, warum, denn sie schienen meiner sonstigen Arbeit überhaupt nicht zu entsprechen. Je öfter ich sie hörte, desto interessanter wurden sie für mich, und schließlich erkannte ich, daß dies keine Ableger waren, sondern meine tatsächliche Arbeit! Die ursprünglichen Stücke waren nur Ausgangspunkt. Andere Stücke sind eher aus einer analytischen Überlegung heraus entstanden. Ich bin auf die Idee der zwei unterschiedlichen Arten von Bewegung gekommen: Wenn sich etwas sehr schnell bewegt, zu schnell, dann sehen wir es statisch, wie die Bewegung von Atomen in einem Stück Holz. Wir sehen das Holz als festen und unbeweglichen Gegenstand, aber drinnen bewegen sich unzählige Atome außerhalb unseres Wahrnehm ungsverm ögens! Diese beiden extremen Bewegungsstärken haben mich in teressiert – übertragen auf die Musik. Keine direkten, offensichtlichen Aktionen, sondern scheinbar stille, aber sich ständig verändernde Sachen. Entweder schnelle Veränderung, wie der Sound der Grillen und Frösche, oder langsame, wie das Brummen auf der Platte.“ Eno mag die totale Einsamkeit, die ON LAND ausstrahlt, ,du bist an einem ziemlich bedrohlichen Ort, ganz allein! Dieses Gefühl m ag ich.“ Er lebt in New York in totaler, selbst auferlegter Einsamkeit (Zurückgezogenheit), immer wieder betont er im Verlauf des Gesprächs, daß er nie rausgeht Leute trifft. Bowie hat er seit Jahren nicht gesehen. Und ins Kino gehst du auch nicht? ,Doch, klar! Das ist was ganz anderes!Im Kino kann ich mich unentdeckt aufhalten. Durchschnittlich sehe ich zwei Filme pro Woche, zuletzt habe ich THE BAD SLEEP WELL vonKurosawa gesehen, ein toller Film aus den 50-em über die Korruption in einer japanischen Firma. Davor war ich in QUEST OFFIRE!Hast du ‚mal daran gedacht für einen Film den Soundtrack zu machen? Ja, ich habe das vor, man hat mir unzählige Scripts angeboten, die jedoch so schrecklich waren, daß ich imm er ablehnen mußte! Ich warte auf einen guten Film! Ich wünschte, Kurosawa würde mich bitten, für ihn zu arbeiten! Oder Fellini, ich glaube das wäre mein Traum: einen Fellini-Film zu machen! Oder einen Yasujiro Ozu Film!“ (Fellinis AMARCORD nennt Eno in seinen Erläuterungen 2×1 ON LAND als eine der Inspirationen zur Platte, als auralen Kontrapunkt zu den visuellen Kindheitserinnerungen des Films.) Bis ihn Fellini oder Ozu bitten, läßt Eno seine Musik für Filme verwenden. 1976 verschickte er 500 Exemplare einer exklusiven MUSIC-FOR-FILMS-LP an verschiedene Filmregisseure. Diese Exklusivausgabe enthielt 28 kurze Fragmente aus ANOTHER GREEN WORLD und EVENING STAR (das Robert Fripp und Eno zusammen gemacht haben). Die zweite Version von MUSIC FOR FILMS bestand aus unveröffentlichtem Material, erschien bei EG/Polydor. Version Nr. 3 hat dieselben Stücke (18) wie Nr. 2, jedoch in einer anderen Reihenfolge, da Eno nach fünf Jahren mit der Organisation der Stücke nicht mehr zufrieden war (Version Nr. 3 erschien 1981). Zurück zu ON LAND. Der meditative Einsatz der Töne, die Idee, bestimmte geographische/ kulturelle Eigenschaften als Sound-Collage zu rekonstruieren, erinnert mich an die Eskimo-Arbeit der Residents, wo diese Gruppe die Kultur der Eskimos zu ihrem ESKIMO-LP-Werk verarbeitet hat. Ja! Ich finde diese Platte der Residents sehr schön! Vielleicht gibt es da Ähnlichkeiten zu meiner LP. Tatsächlich war ich gerade in San Franzisko, als die Residents dasESKIMO-Album aufnahmen. Und wir wurden Freunde! ESKIMO ist zweifellos ihr bestes Werk.“ Die Videos. Eno produziert ganz allein – figurative Aufnahmen von Orten/Räumen, die entsprechend seiner Musik sehr statisch sind JDas einzige, was sich bewegt, sind die Sachen, auf die die Kamera gerichtet ist. Das sind der Himmel oder Regen. Ich versuche, ein sehr versteckte Qualität in meiner Umgebung zu finden; diese Stadt hat sehr schöne und ruhige Aspekte, die niemand bemerkt, weil sie versteckt sind Man muß sie finden und sie verstärken, sie übertreiben. Seitdem ich dies erkannt habe und meine Videos und meine Musik mache, lebe ich gern hier. Denn ich kann die ganze rasende, krampfhafte Qualität, die ganze Verrücktheit dieser Stadt akzeptieren, weil ich in meinem Innern auch an einem anderen Ort lebe, wo Ruhiges und Schönes passiert.“