Bots – Marschmusik für Demos?


Mit seiner Kritik der Letzten Bots-LP löste W. Bauduin einen Sturm der Entrüstung aus. Nun entrüstete er sich selbst.

Manche Leute stehen eben mehr auf Hammer und Sichel als auf Hakenkreuz. Früher – vor 30 bis 40 Jahren – war es umgekehrt, aber man geht ja mit der Mode … gez. Stimme meines Gewissens (und das von vielen anderen).“

„Lake ist ein kurzsichtiges Arschloch!“

„Und wer da meint, Steve Miller wäre besser in der Versenkung geblieben, der ist krank! Sehr krank!“

Eine Zeitschrift, die angeblich nur positive Leserbriefe erhalt, lügt sehr wahrscheinlich. Eine Zeitschrift, die keine Leserzuschriften bekommt, ist mit Sicherheit langweilig und/oder viel zu ausgewogen. Der ME erhält viele, sehr unterschiedliche Leserbriefe. Nur leider scheinen sich in letzter Zeit politische Wirrheiten oder gar völkisch Beobachtetes breiter zu machen: siehe oben!

Auch aus der Gruppe der momentan Friedensbewegten kommen happige Bemerkungen: Ihr Typen seid wohl zu dumm dazu, solche Intentionen der Musiker zu entdecken. Bei Euch gilt nur die Perversion! Immer unpolitisch bleiben!“ Solcherart beschwerte sich Elisabeth Wiegand aus Frankfurt über die Kritik zur Bots-LP ENTRÜSTUNG im ME 12/81. In dieser Rezension hatte ich mir erlaubt, die inzwischen rund 140000 mal verkaufte zweite LP unserer derzeitigen Top-Demo-Band mit bloß einem Stern zu verreißen und insonderheit die beiden Lieder, die nicht nur Achim Wilutzky aus Neu-Isenburg (siehe ME 1/82) für die wichtigsten des Albums hält, in der Luft zu zerreißen: „Das weiche Wasser“ und „Entrüstung“. Ich wiederhole, daß ich diese mittlerweile zu Hymnen diverser Bewegungen aufgestiegenen Songs hinsichtlich Melodie, Rhythmus undText für naiv, grobklotzig und auf Dauer sogar für gefährlich halte.

Musik, beziehungsweise Songs als nach der Sprache zweitwichtigste Form der Kommunikation liefen schon immer besonders Gefahr, mißbraucht zu werden – in Gestalt von Hymnen am deutlichsten zu bemerken. Denn Hymnen verallgemeinern, bringen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner und mobilisieren Massenbewegungen. Nationalhymnen befinden sich immer auf der Kippe zum Abgrund, man beachte etwa den Text der französischen oder die (wenn auch verpönte) erste Strophe der deutschen Hymne.

Frieden ist eminent wichtig. Der einstige Friedensslogan „Make Love Not War“ klang schön und war blödsinnig: Wie man Liebe macht, mußte dem Großteil der Bevölkerung in den 60er Jahren erst durch die Aufklärungsserie eines Oswald Kolle beigebracht werden. „Das ist Entrüstung, wir haben die Schnauze voll“, singen die Bots und mit ihnen mindestens weitere 140.000, deren Wille zum Frieden unbezweifelbar ist. Aber wer entrüstet sich eigentlich nicht über Rüstung, wer will nicht den Frieden? Selbst Breschnew und Reagan gingen der Friedensbewegung (oder sollte man sagen: der Bots-Bewegung?) freiwillig voran, wenn sich genügend Fotografen dazu einfänden. Selbst Waffenfabrikanten wollen Frieden, denn ihr Frieden – auf der Basis hochgerüsteter Gleichheit – sichert das Geschäft. Die durch die Bots untermalte Kollektiventrüstung degradiert den Friedenswillen zum Schlagwort.

Aber Frieden sollte äußerst differenziert betrachtet werden. Wenn sich, wie am 10. Oktober 1981 in Bonn, Hunderttausende zur Demonstration ihrer Friedenssehnsucht einfinden, ist das nicht nur toll, sondern auch extrem wichtig. Einigkeit macht stark. Aber Einigkeit muß von unten und aus sich selbst heraus entstehen, von Hunderttausend Einzelpersönlichkeiten getragen werden. Die Entrüstung der Bots verwandelt die Friedensbewegung in eine gröhlende Masse. „Fußballfan-Gesang“ habe ich das in der LP-Kritik genannt und dabei vergessen, daß „Entrüstung“ durchaus einen Marsch-ähnlichen Rhythmus besitzt.

Daß „das weiche Wasser den Stein bricht“, wie die Bots glauben machen wollen, ist geologisch richtig, historisch völlig unhaltbar. Wenn in der Geschichte Veränderungen stattfanden, dann staatlich verordnet oder aber aufgrund massiven (und nicht weichen) Drucks.

Doch die Bots lullen mit „Das weiche Wasser“ ein, wozu die Melodie beiträgt – jeder Heile-Welt-Schlagerkomponist wäre scharf auf solche Melodien. Und was oder wer ist eigentlich das weiche Wasser? Ein weiches Wasser namens „Marsch durch die Institutionen“ ist doch wohl längst versandet.

Nun erklärte mir kürzlich eine Bots-Freundin, daß solche Melodien, Rhythmen und Texte deshalb richtig und wichtig seien, damit die Friedensbewegung nicht intellektualisiert werde, sondern bei allen ankäme – also auch bei Thekengröhlem. Nicht der Inhalt, sondern die Form als Botschaft? Steigen mal wieder die vermeintlich Klügeren im Lande zum Volk herab?

Anders herum wäre besser: Aufklärung, Ausbildung und Erziehung zum Frieden – und dies geht nur auf differenzierte Weise. Und das kostet Anstrengung. Einen Song mitgröhlen kann jeder, die Friedensfähigkeit an der Basis und im Alltag zu verwirklichen, muß ganz sicher weiter gelernt werden. Denn vom Frieden miteinander sehe ich in der Schule nicht so viel, höre ich aus Büros und Fabriken auch nur wenig, lese ich in Leserbriefen gelegentlich das Gegenteil.

Wenn sich überraschend viele Leute derartig heftig über eine LP-Kritik entrüsten, ist Vorsicht geboten – frühere Beispiele wie Bob Dylan-Platten oder ein Joan Baez-Konzert haben mich gelehrt: Nichts bringt bestimmte Leute mehr in Rage als der Angriff auf ihr Idol und dies besonders deutlich im Lager der sich meist als überdurchschnittlich kritisch verstehenden Linken und Pseudo-Linken. Ob die Drüberbügel-Songs der Bots bereits Lernwirkung erzielt haben, weiß ich nicht. Wenn aber Leser/innen wie E.W. auf meine Bots-Kritik, die ich allein verfaßt habe, mit Vorwürfen der „Perversion“ aller ME-Mitarbeiter antwortet, dann zeigt mir dies Mangel an differenziertem Denken und die Gefahr, die in Massenbewegungs-Gauk lern wie den Bots liegt.

In der Medizin würde man die Bots ein ‚Placebo‘ nennen: Ein Schein-Medikament ohne Wirkstoffe, das subjektiv-seelische Verbesserungen bringt, ohne objektiv zu heilen. Wie krank ist die Linke, wenn sie die Bots braucht? Wie unselbständig die Friedensbewegung, wenn sie „Entrüstung“ gröhlt? Welche Lükke füllen die Bots mit ihrer Tournee von Demo zu Demo und einer Langspielplatte, die außer zwei Friedensschlagern abgestandene Kritik an Bürokraten oder Disco-Poppern, altbackene Musik und ein abgekupfertes, dummes Cover enthält?