Boss und Bruder


Bruce Springsteen geht mit einer neuen CD an den Start. Für Joe Grushecky ist er trotzdem zur Stelle.

Der Mann hat so ziemlich alles erreicht, wovon ein Musiker träumen kann. Mit ehrlichem, handgemachtem Rock ohne überflüssige Schnörkel spielte er sich an die Spitze der internationalen Charts, er füllte die größten Stadien der Welt und durfte sich für die einfühlsame Ballade ‚Streets Of Philadelphia‘ sogar einen Oscar ins Regal stellen. Nach dem phänomenalen Erfolg seiner ‚Greatest Hits‘ überrascht Bruce Springsteen seine Fans nun wieder mit neuem Material. Am 21. November erscheint das Album ‚The Ghost Of Tom Joad‘, das zwölf aktuelle Songs aus der Feder des Boss‘ enthält. Mit diesen Liedern besinnt Springsteen sich zum einen auf den eher introvertierten Stil seines Klassikers ‚Nebraska‘, zum anderen schlägt Bruce den Bogen zurück zu einer vergangenen Epoche Amerikas. Tom joad, die Titelfigur von Springsteens Platte, ist ursprünglich der tragische Held in John Steinbecks Roman ‚Früchte des Zorns‘ aus dem )ahr 1939. ‚The Grapes Of Wrath‘, wie Steinbecks Buch im amerikanischen Original heißt, erzählt die Geschichte einer bettelarmen Familie, die auf der Suche nach einer besseren Zukunft die beschwerliche Reise nach Kalifornien auf sich nimmt. Gut möglich, daß Springsteen bei der Steinbeck-Lektüre auch an seine eigene Jugend denken mußte: „Der war so arm“, weiß die Kellnerin eines Cafes in Asbury Park/New Jersey zu berichten, „daß er seine Klamotten ausschließlich bei der Heilsarmee holte.“ Seit Bruce vor 22 Jahren seine ‚Greetings From Asbury Park‘ in Form einer Langspielplatte unters Volk brachte, ist der leicht verlotterte Küstenort südlich von New York untrennbar mit dem Namen Springsteen verbunden. So erinnert die Wandmalerei aus dem ‚Tunnel Of Love‘-Video ebenso an die traumhafte Karriere des amerikanischen Superstars wie die ‚Student Prince Bar‘, in der Bruce einst erste Live-Erfahrungen sammelte. Und obwohl Springsteen heute das genaue Gegenteil eines armen Burschen aus der Provinz ist, schlägt sein Herz doch bis heute für die ewigen Underdogs der US-Gesellschaft. Für Joe Grushecky zum Beispiel, einen Musiker, der schon sieben Alben veröffentlicht hat und dennoch bis vor kurzem fernab der Bühne jobben mußte, um die Krankenhausrechnung für seinen Sohn bezahlen zu können. Doch das könnte nun bald ganz anders werden. Denn mit Springsteen hat Grushecky einen ebenso einflußreichen wie hilfsbereiten Verbündeten gefunden. So griff der Boss dem bis dato eher im Verborgenen blühenden Rootsrocker Grushecky, dessen Houserockers Kritikerguru Greil Marcus einmal „die großartigste Bar-Rockband Amerikas“ nannte, bei den Aufnahmen zu Joes aktueller CD ‚American Babylon‘ gleich in dreifacher Hinsicht unter die Arme: als Songschreiber, Produzent und Gitarrist. Gefeiert wird die Zusammenarbeit, natürlich, in Asbury Park – mit sechs gemeinsamen Konzerten im ‚Stone Pony‘, einer gehobenen Garage, in der Bruce vormals frühe Erfolge genoß. Beim Doppel Springsteen/Grushecky drängen sich in dem Club samt vorgebautem Zelt 1250 Fans. Das freut den Boss, denn: „Manches von Joe ist so gut, daß ich wünschte, es wäre von mir.“