Boom Tschak: Chartshow – Warum Jean Michel Jarre wiederentdeckt werden muss
Es ist an der Zeit, Jean Michel Jarre (wieder) zu entdecken.
Das Beste an Jean Michel Jarre sei seine Frau, schrieb die Musikzeitschrift „Sounds“ einmal – gemeint war die englische Schauspielerin Charlotte Rampling, die der Franzose Ende der 70er-Jahre geheiratet hatte. Auch unter Missachtung der sexistischen Komponente ist diese Aussage: Quatsch. Es ist an der Zeit, den Musiker Jean Michel Jarre wiederzuentdecken und ihn heraus aus den megalomanischen Licht-Show- Musikspektakeln auf die gute Seite zu ziehen. Und wir meinen nicht „den ganz frühen Jarre“.
Die elektroakustischen Abenteuer von DESERTED PALACE (1972) und LES GRANGESBRÛLÉES (1973) gelten längst – auch wegen des zu erwartenden Distinktionsgewinns beim Namedrop – und vollkommen zu Recht als frühe Meisterwerke der elektronischen Musik. Wir meinen die Albentrilogie OXYGÈNE, ÉQUINOXE, LES CHANTS MAGNÉTIQUES der Jahre 1976 bis 1981. Die Platten, die Jarre zu dem Superstar gemacht haben, der er heute noch ist. Weil der Beat auch schon vor fast 40 Jahren ein unverschämter Verführer gewesen ist, waren die Hitsingles aus den drei Alben – „Oxygène Part IV“, „Équinoxe Part V“ und „Le Chants Magnétiques Part 2“ – mit Beats und einem gewissen Novelty-Faktor ausgestattet.
Und doch lassen die drei Tracks nur bedingt Rückschlüsse auf die Alben zu. Mit OXYGÈNE, ÉQUINOXE und LES CHANTS MAGNÉTIQUES führte Jarre die Forschungsarbeit seiner Frühwerke weiter und auf ein höheres Level, entwickelte einen Melodienreichtum, der Elemente aus Folklore und Vaudeville mit einschloss. In diesem Konzept, das sich zwischen Ambient und Avantgarde bewegte, war freilich der Kitsch, der seine spätere Werke noch erfolgreicher werden lassen sollte, bereits angelegt. Futurismus und Wissenschaft waren seine Topoi, analog zu den Pionieren der elektronischen Musik in den 1950er- Jahren, die in ihren weißen Kitteln und mit den schrankhohen Instrumenten wie Forscher im Labor wirkten. Bitte daran denken, wenn Jean Michel Jarre demnächst wieder in einer Burg aus Synthesizern in „Die ultimative Chartshow“ auftritt.
Diese Kolumne ist in der Juni-Ausgabe 2014 des Musikexpress erschienen.