Boom Tschak
Die Electro-Kolumne von Albert Koch
Rmx: Revisited
Der Remix kann weit mehr sein als die aktuelle Antwort auf den Hit der Saison.
Jahrzehntelang bestand die Hauptfunktion des Remixes in der zeitnahen Umarbeitung eines Originaltracks. Aktuelle Songs sollten für den Dancefloor kompatibel gemacht werden. Und wenn der Song nicht mehr aktuell war, verschwand auch der davon abgeleitete Remix aus den Clubs. An die Klassiker der Musikgeschichte, an tote Künstler gar, die sich nicht mehr wehren können, wagten sich die Remixer nicht heran. Beispiele wie Bill Laswells Umdeutungen der Musik aus der elektrischen Phase von Miles Davis und der von Bob Marley vom Ende der Neunzigerjahre blieben singulär, was in diesen beiden Fällen allerdings zu verschmerzen war, weil Laswells Scheitern an den Neubearbeitungen nicht einmal das Adjektiv grandios vorangestellt werden muss.
Vor acht Jahren erschien dann das Album Replay Debussy, auf dem Musiker wie Terre Thaemlitz, Ryuichi Sakamoto, Pierre Henry und Jamie Lidell die Musik des französischen Impressionisten umarbeiteteten. Debussy war ein dankbares Objekt, weil seine Musik weit in die Moderne des 20. Jahrhunderts hineinstrahlte. Der Gedanke, die Musik eines im Jahr 1918 verstorbenen klassischen Komponist zu remixen – Pierre Henry, der älteste beteiligte Künstler auf dem Album, wurde mehr als neun Jahre nach Debussys Tod geboren – schien absurd. Später ist aus dieser Idee eine ganze Serie geworden: Recomposed der Deutschen Grammophon Gesellschaft, und spätestens mit den Beiträgen von Carl Craig und Moritz von Oswald, die Aufnahmen mit der Musik von Maurice Ravel und Modest Mussorgsky umarbeiteten, sowie von Matthew Herbert, der Gustav Mahlers unvollendete 10. Sinfonie bearbeitete, hatte die Serie ihre Legitimation erworben.
Das jüngste Beispiel der künstlerisch wertvollen Neubearbeitung klassischen Musikmaterials haben die DJs und Produzenten Ricardo Villalobos und Max Loderbauer geliefert, die sich für das Album Re: ECM durch das Archiv des renommierten Jazz- und Neue-Musik-Labels ECM remixen durften. Villalobos, Loderbauer, Craig, von Oswald, Herbert – sie alle geben Antworten auf die Frage nach der Stellung des Remixes im Pop. Nein, der Remix kann weit mehr sein als die tagesaktuelle Antwort auf Hits der Saison. Nein, der Remix ist nicht die Neubearbeitung eines Werkes, sondern die Neubearbeitung einer Aufnahme. Insofern ist es nicht absurd, sondern geht es vollkommen okay, wenn Remixer das schier unendliche Reservoir an recorded music für sich entdecken.