Boom Tschak


Die Electro-Kolumne

Ewig zukünftig: Vinyl

Die 90er-Jahre waren wirklich keine gute Zeit für Vinyl. Wer damals ein bestimmtes Album als LP kaufen wollte, musste internationale Quellen anzapfen und viel Geld investieren, falls das Album überhaupt auf LP gepresst wurde. Anfang des Jahrzehnts wurden erstmals mehr CDs als LPs verkauft. Von da an ging’s bergab. Doch der Tod der Schallplatte, den die Plattenindustrie vor bald 20 Jahren verkündet hatte, trat nicht ein. Im Gegenteil, sie gewinnt seit ein paar Jahren in ihren diversen Nischen sogar kontinuierlich Marktanteile zurück. Das war einzig und allein das Verdienst der DJs. Die hatten mit ihrer Weigerung, mit CDs „aufzulegen“, in den 90ern dafür gesorgt, dass das Vinyl – als Patient im Wachkoma – überlebt hat.

In den Nuller-Jahren fanden es die Indie-Kids dann plötzlich ziemlich schick, auf Vinyl umzusteigen. Und heute ist jeder anständige Plattenladen, sind selbst die unanständigen Elektrogroßmärkte in den Innenstädten wieder voll mit Vinyl-Neuerscheinungen. Mittlerweile ist es eine Selbstverständlichkeit, dass fast jedes neue Album – auch die von Mainstream-Acts wie Madonna und Lady Gaga, ja, und natürlich auch von den Scorpions – auf Vinyl veröffentlicht wird.

Es mehren sich aber die Anzeichen, dass es wiederum die DJs sein werden, die dem Vinyl dann doch noch den langsamen Tod bereiten. Viele Plattenaufleger steigen von Vinyl auf gebrannte CDs, MP3 und DJ-Software um (Totschlagargument: ach ja, die Plattenkoffer sind so schwer). Wenn die Quote der CD- und MP3-DJs weiter steigt, werden die Labels keine 12-Inches mehr pressen (Totschlagargument: ach ja, die Produktionskosten sind so hoch). Wenn keine 12-Inches mehr gepresst werden, werden Presswerke schließen, und wenn alle Presswerke geschlossen sein werden, werdet ihr erkennen, dass man CDs nicht essen kann. Das ist der Lauf der freien Marktwirtschaft.

Schade, wo doch gerade die DJs, die Produzenten von elektronischer Musik und zuletzt auch die Indie-Hörer das Vinyl vom Ruf befreit haben, ein Medium zu sein für ewig Gestrige, für High-End-Klangfetischisten und für Nostalgiker. Die über jeden Verdacht der Ewiggestrigkeit erhabenen Macher des Kölner Kompakt-Labels nennen Vinyl „schwarzes Gold“, kleben auf die Cover ihrer LPs den Slogan „Save The Vinyl“ – und legen die Musik zusätzlich auf einer nackten CD bei. Ein Sinnbild der kulturpolitischen Bedeutung der Schallplatte. Sie ist 2010 viel mehr als ein Tonträgerformat. Pro Vinyl ist ein Statement – wider den Konformismus und die Industrialisierung der Kunst.